Kocher zur Energie-Knappheit: "Im Notfall klare Vorgaben für Haushalte"
Zurück aus dem Urlaub war die erste Maßnahme von Wirtschaftsminister Martin Kocher in der vergangenen Woche, einen Krisenstab einzurichten. Im Interview mit dem KURIER gibt Kocher einen Ausblick auf einen schwierigen Herbst und Winter.
KURIER: Herr Minister, kommt heuer statt eines Virus-Lockdowns ein Energie-Lockdown?
Martin Kocher: Ich hoffe nicht. Die Gasspeicher füllen sich, und wir haben als Bundesregierung erstmals eine strategische Gasreserve angelegt, die mit 1. November zur Verfügung steht. Diese Reserve gehört der Republik und ist eine Absicherung für den Fall, dass es zu längeren Lieferunterbrechungen kommt.
Für wie wahrscheinlich halten Sie einen längeren Gas-Ausfall?
Das ist ein Szenario, das ich für sehr unwahrscheinlich halte, aber ausschließen kann man nichts. Sollte es zu größeren Ausfällen kommen, dann muss man über alles reden: Betriebsschließungen, Kurzarbeit, die Folgen für Lebensmittelpreise.
Wird die Bevölkerung beitragen müssen, dass es zu keinen Energieausfällen kommt?
Aufgrund der hohen Energiepreise hat jeder einen Anreiz, Energie einzusparen. Es wird auch eine Energiesparkampagne der Regierung mit konkreten Tipps geben. Verpflichten können wir die privaten Haushalte zu nichts, das ließe sich auch gar nicht kontrollieren.
Auch im ärgsten Notfall wird es keine Verpflichtungen geben?
Nein, aber klarere Vorgaben.
Welche Maßnahmen sind sinnvoll? Bringt der Verzicht auf Weihnachtsbeleuchtung was?
Kaum. Beim Heizen lässt sich hingegen viel einsparen.
Werden wir also im Wollpullover im Büro sitzen?
Darüber würde das Krisenteam diskutieren. Zum Beispiel ist laut Arbeitsrecht 19 Grad im Büro die erforderliche Mindesttemperatur, in Produktionsstätten könnte sie niedriger sein.
Die Versorgung ist das eine. Das Zweite ist der Preis, der wird offenbar noch mehr steigen, wie Gazprom angekündigt hat. Was gedenken Sie dagegen zu tun? Es wäre gut, wenn wir mit einem gemeinsamen Gaseinkauf auf EU-Ebene vorankämen. Im Moment haben wir das große Problem, dass wir uns in Europa gegenseitig Konkurrenz machen um Gasmengen und dadurch den Preis nach oben treiben.
Die Anti-Teuerungspakete der Regierung sind bei den Leuten offenbar nicht durchgedrungen, denn die Umfragen der Regierung sind schlecht, und die Opposition, die täglich neue Pakete fordert, legt zu. Müssen Sie Ihr Förderkonzept ändern?
Da gibt es einen psychologischen Effekt: Ich sehe täglich im Supermarkt oder an der Tankstelle, wie sich die Preise erhöhen. Andererseits sehe ich nicht so klar, wo ich mehr am Konto habe, weil ich es mir einmal im Monat anschaue. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Direkthilfen der bessere Weg sind als einige populistische Forderungen der Opposition.
Aber in anderen Ländern funktionieren Preiseingriffe.
Mit einem Preisdeckel fördere ich jene mehr, die mehr verbrauchen. Die obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher fahren fünf Mal so viel Auto wie die untersten 20 Prozent. Unsere direkten Hilfen stellen hingegen eine massive Förderung der Bezieher niedriger Einkommen dar. Wir beabsichtigen aber eine Rechnungsbremse beim Strom, die eine Basisversorgung mit Energie stützt, aber darüber hinaus Anreize zum Sparen setzt, weil man Marktpreise bezahlen muss.
Ihr Koalitionspartner will Übergewinne der Energieversorger abschöpfen. Die ÖVP hat keine klare Position, der Kanzler stieß mit seinem Vorstoß auf Gegenwind. Was ist Ihre Meinung?
Ich bin skeptisch. Wichtig ist, klarzustellen: eine Abschöpfung von Übergewinnen, wie auch immer sie aussieht, reduziert keinen einzigen Preis. Man muss aber auch sagen, dass die höchsten Übergewinne jene Unternehmen machen, die erneuerbare Energie erzeugen. Aber der grüne Koalitionspartner hat angekündigt, einen Vorschlag vorzulegen, und wenn es gute Ideen gibt, muss man sich das sehr genau anschauen.
Zum Arbeitsmarkt. Wir hatten mit knapp vier Millionen noch nie so viele unselbstständig Beschäftigte, und dennoch klagen alle Branchen über Arbeitskräftemangel. Wo sind die Leute alle hinverschwunden?
Niemand ist verschwunden. Es ist so viel Arbeit da. Selbst im Tourismus gibt es mehr Beschäftigte, als es vor der Pandemie 2019 waren. Die Situation überrascht viele, denn vor zehn Jahren noch herrschte die Meinung, es werde uns die Arbeit ausgehen. Passiert ist das Gegenteil: Wir haben in zehn Jahren fast 500.000 Beschäftigungsverhältnisse in Österreich aufgebaut.
Werden wir trotz Digitalisierung in Zukunft mehr Arbeitskräfte brauchen?
Wenn man in Produktionshallen geht, dann sind da nur mehr fünf Mitarbeiter, wo vor zehn Jahren noch hundert waren. Fragt man die Unternehmen, wie viele Arbeitsplätze sie abgebaut haben, lautet die Antwort stets: Wir haben verdoppelt oder verdreifacht. Nur arbeiten die in anderen Bereichen. Und diese Jobs sind zumeist besser, auch besser bezahlt, erfordern aber eine höhere Qualifikation.
Qualifizierung wird weiter auf der Tagesordnung bleiben?
Sie wird noch wichtiger werden. Nur über Qualifizierung kann ein Export- und Hochlohnland die industrielle Basis behalten. Bei fast jedem Treffen der europäischen Arbeitsminister ist Qualifizierung ein zentrales Thema. Wir sagen, dass 60 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jährlich eine Fortbildung genießen sollten.
Wird man die Alten aus der Pension zurückholen?
Das wird nicht so leicht gelingen, und auch nicht das Problem am Arbeitsmarkt lösen. Wichtig ist, bis zum Pensionsantritt tätig zu bleiben. Da hilft die Digitalisierung, weil die schweren Tätigkeit zunehmend wegfallen. Aber gut wäre es angesichts des Arbeitskräftemangels, wenn ein paar Prozent der Beschäftigten auch nach dem gesetzlichen Pensionsalter freiwillig weiter tätig wären. Da sind wir mit dem Finanzministerium dran, uns Anreize zu überlegen. Es geht aber nicht um eine Verpflichtung oder eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters.
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