Parlament: "Zentrum der Gewaltherrschaft"
Der autoritäre christlichsoziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß hat das Parlament 1933 ausgeschaltet, von 1938 bis 1945 wurde das Gebäude an der Wiener Ringstraße vom NS-Regime als "Gauhaus" der NSDAP genützt. Jetzt sollen diese dunklen Jahre des Parlaments untersucht werden.Im Parlament waren ab 1938 das Büro von Josef Bürckel, dem Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, untergebracht, darunter auch die Abteilung für Vereine, Organisationen und Verbände. Bürckel war für deren Zerschlagung und Beraubung zuständig. Nach dem Rücktritt von Gauleiter Odilo Globocnik wurde das Parlament 1939 auch zum Sitz der Wiener Gauleitung, die ihre Amtsräume bis dahin Am Hof 4 hatte.
Deportationen
Bis heute ist nicht geklärt, warum es zur Übersiedlung kam. Die Gauleitung übernahm 1940 der Nationalsozialist und Reichsjugendführer Baldur von Schirach. Er war für die Deportation der Wiener Juden verantwortlich. In einer Rede im September 1942 bezeichnete von Schirach die Deportationen als "aktiven Beitrag zur europäischen Kultur". Für Historiker Bertrand Perz vom Institut für Zeitgeschichte sind diese Einrichtungen im Parlament nicht bürokratische Peanuts der Nazis. "Das waren zentrale NS-Leitungsinstitutionen für die Ostmark, das Parlamentsgebäude war ein Zentrum der Gewaltherrschaft."Am Beginn der Studie, die Perz mit Historikerin Verena Pawlowsky macht, stehen viele Fragen: Warum zogen die Nazis ins Parlament? Warum wurde kein Gauhaus erbaut? Welche Spuren hinterließen die Nazis, wurde architektonisch umgebaut? Wie erfolgte der Übergang von der NS-Herrschaft zur 2. Republik?
Darauf gibt es kaum Antworten. In dieser Pilotphase bis Ende 2014 sollen Archive durchforstet und die Quellenlage geprüft werden, skizziert der Historiker. Im Parlamentsarchiv findet sich nur wenig aufschlussreiches Material.
Bücher-Rückgabe
Parlamentsdirektor Harald Dossi unterstützt die historische Aufarbeitung dessen, was in dem neoklassizistischen Gebäude während der Nazi-Zeit vor sich ging.
Begonnen hat dieser Prozess 2009 mit der Provenienzforschung und Restitution der Bibliothek, die insgesamt 340.000 Bücher umfasst. "Wir sind verpflichtet, uns an den gesamtstaatlichen Anstrengungen bei Herkunftsforschung und Restitution zu beteiligen", sagt Dossi. "Jetzt wird die Periode untersucht, in der das Parlament von 1933 bis 1945 ausgeschaltet und völlig zweckentfremdet wurde." In der Bibliothek fand man 37 Bände, die eindeutig den früheren Besitzern entzogen wurden. Nach Empfehlung des Kunstrückgabebeirats und des Nationalfonds kommen diese an die früheren Eigentümer oder Erben zurück. Weitere 1800 Bücher weisen eine bedenkliche Herkunft auf, über 2500 sind eindeutig "Gauhausbestand". Die ersten Bücher wurden kürzlich von Parlamentspräsidentin Barbara Prammer an den Präsidenten der Israelischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, übergeben.
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