Wie Wahlkampf in einer illiberalen Demokratie funktioniert

FILE PHOTO: Hungary PM Orban delivers annual state of the nation address
Kaum Plakate, kaum Sendezeit: Die Oppositionsparteien haben es in Ungarn sehr schwer.

"Was Viktor Orbán seit Beginn des EVP-Parteiausschlussverfahrens gesagt und getan hat, kommt einem Austritt gleich. Ich gehe davon aus, dass die Fidesz im Herbst nicht mehr der EVP angehört."

Für Othmar Karas, den Spitzenkandidaten der ÖVP bei der EU-Wahl, ist die Sache klar: Ungarns Regierungschef hat sich in Europa und auch innerhalb der europäischen Volkspartei ins Out manövriert. Denn selbst wenn Orbáns Fidesz-Partei formal noch der EVP angehört: Realpolitisch zählt der umstrittene Ungar längst zum Lager der Rechtspopulisten.

 

Wie Wahlkampf in einer illiberalen Demokratie funktioniert

Othmar Karas, EU-Spitzenkandidat der ÖVP

Besonders deutlich zeigt sich das an der Art und Weise, wie Orbán in Ungarn die politische Konkurrenz wahlkämpfen lässt, oder genauer: Wie er sie nicht lässt.

Denn während in Österreich alle Parteien auf Plakaten, in Zeitungen und insbesondere im Fernsehen ihre Kandidaten präsentieren dürfen, gehen die Uhren in Ungarn anders.

Erst am Montag hatte SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Schieder seinen Parteifreund von den ungarischen Sozialisten, István Ujhelyi in Wien zu Gast. "Und es war deutlich zu spüren, wie sehr er sich darüber gefreut hat, dass er seine Meinung endlich unverblümt und unzensuriert in eine Fernsehkamera sagen darf."

Wie Wahlkampf in einer illiberalen Demokratie funktioniert

Andreas Schieder, EU-Spitzenkandidat der SPÖ

Fünf Minuten im TV

Gibt es in Ungarn kein Fernsehen? Natürlich. "Allerdings haben die ungarischen Sozialdemokraten im staatlichen Fernsehen genau fünf Minuten Sendezeit zugesprochen bekommen. Für den gesamten Wahlkampf, wohlgemerkt", sagt Schieder.

Das klingt seltsam. Doch was freie Medien und Wahlkampfberichterstattung angeht, ist Ungarn auf dem Weg in die Vergangenheit, wie auch Neos und Grüne von ihren ungarischen Schwesterparteien wissen.

Einige Beispiele: Plakatflächen sind für Oppositionsparteien in Ungarn schwer bis gar nicht zu haben.

"Die Sozialdemokraten mussten über Stroh-Firmen Flächen mieten, weil die Firma, die die Plakatflächen besitzt, einem Freund von Viktor Orbán gehört", so der SPÖ-Spitzenkandidat. Das Ergebnis: 300 Flächen konnten Ungarns Sozialdemokraten mieten. Orbáns Fidesz affichiert auf 20.000.

Ein anderes Beispiel: Politische Kundgebungen.

Laut den Neos dürfen Oppositionsparteien in Ungarn zwar vereinzelt Wahl-Veranstaltungen abhalten. Diese sind allerdings nicht ganz einfach durchzuführen: Sie sind zeitlich extrem begrenzt und werden mit bürokratischen Argumenten des Öfteren kurzfristig verhindert.

Finanziell geschwächt

Der Europareferent der österreichischen Grünen, Gerhard Jordan, erzählt, dass die ungarische Schwesterpartei – wie alle Oppositionsparteien – bei der Wahlwerbung auch deshalb keine großen Sprünge machen kann, weil sie immer wieder vom Rechnungshof geprüft und mit Strafzahlungen belegt wird. "Die ohnehin knappe Parteikasse wird so geschwächt. Im Gegenzug wird die Regierungspartei Fidesz de facto gar nicht mehr überprüft."

Pressekonferenzen der Opposition kommen in der staatlichen Nachrichtenagentur erst gar nicht vor – sie werden von den Mitarbeitern nicht besucht. Regierungspropaganda werde als "normale Nachrichten" verpackt.

Und wenn Oppositionspolitiker so genannten Journalisten des Staatsfernsehens ein Interview geben, filmen sie aus Sicherheitsgründen immer mit. Warum? Weil sonst die Gefahr besteht, dass ihre Antworten sinnentstellend geschnitten und nachträglich mit anderen Fragen versehen werden.

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