„Wir würden in diesem Szenario mit unserer Souveränität und Freiheit bezahlen.“ Für realistisch hält er, dass Putin das Gas drosseln oder einstellen wird. Genau deshalb gelte es vorbereitet zu sein – auch für ein „grundlegendes Umdenken“ in der Gesellschaft. Denn Van der Bellen ist sich sicher: „Es liegen herausfordernde Jahre vor uns.“ Doch Österreich wie auch Europa seien zur Bewältigung der Krise imstande, zumal: „Wir sind in dieser Situation eine Schicksalsgemeinschaft.“
"Kunst darf nicht kapitulieren"
Festspiele abzuhalten, während Krieg herrscht, das ist in den Augen von Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer nicht nur möglich, sondern nachgerade notwendig. Es gehe, sagt Haslauer in seiner einprägsamen Rede, nicht um „Ausgelassenheit, sondern um Reflexion“. Man müsse Anteil nehmen am Schicksal und eigene Werte verteidigen. Bei aller Betroffenheit gelte: „Die Kunst darf vor dem Krieg nicht kapitulieren.“
Dass die Kunst oft auf problematische Weise mit der Welt der Machthungrigen und Geldgierigen verflochten ist, weiß der von den Festspielen als Eröffnungsredner geladene deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow auf eine gleichsam poetische wie provokante Weise darzustellen.
Ausbeuterische Praktiken von Konzernen werden von Trojanow mit der Kriegstreiberei Putins in Verbindung gesetzt – etwa, wenn er sagt, dass der rücksichtslose Bergbau in Guatemala oder Sierra Leone ein „permanenter Krieg gegen unsere Mitmenschen und gegen die Natur“ sei. Konkret nimmt der in Bulgarien geborene Trojanow auf die Aktivitäten des Schweizer Solway-Konzerns Bezug, der bis vor Kurzem in einem Sponsoring-Verhältnis zu den Festspielen gestanden war: dieses wurde aber nach Einleitung einer – noch nicht abgeschlossenen – Untersuchung von Vorwürfen zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen beendet.
„Die zynische Erwiderung, wer von uns habe schon saubere Hände, darf nicht gelten“, erklärt Trojanow und fordert ein weiterführendes Umdenken: „Wenn Wohlstand nur entstehen kann, indem Mitmenschen geknechtet werden und Natur zerstört wird, wird es höchste Zeit, das System zu ändern, nicht nur die Sponsoringregeln.“
Trojanow nennt konkrete Namen: Er verweist auf eine Recherche von Mitarbeitern des inhaftierten Alexei Nawalny, die den Dirigenten Valery Gergiev „als Großgrundgewinnler“ zeige: „Dutzende Immobilien, vor allem in Italien – eine Villa mit 18 Zimmern in einem Golfklub, ein ganzes Kap in Amalfi, dreißig Hektar in Rimini, 800.000 qm in Mailand, ein Palazzo in Venedig und und und. Das Ass im Ärmel dieses Dirigenten ist sein eigener Wohltätigkeitsfonds, an dem er sich nach Belieben bedient, gefördert von den mafiösen Banken und von der Moskauer Regierung.“
Die Kunst erscheine vor dem Hintergrund in anderem Licht, so Trojanow: „Nun, da wir das wissen, stellt sich die giftige Frage: Was hören wir, wenn wir seiner gefeierten Interpretation von Le sacre du printemps lauschen? Was wird geopfert, die Jungfräulichkeit oder der Anstand?“
Kunst in ihren vielen Erscheinungsformen stehe in Opposition zur Eindimensionalität, die der Krieg und seine Wegbereiter – die Gier und der Nationalismus – hervorbringe. Während man gegen Fernsehbilder abstumpfe, gäbe es „gegen die Aufschreie der Kunst keine Immunisierung, solange wir noch Gefühle haben“. Trojanows Fazit: „Desertieren wir aus der Eintönigkeit des Krieges in die Vieltönigkeit der Kunst.“
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