Wer soll den Sozialstaat finanzieren?
"Wir können uns entscheiden, ob wir Digitalisierung, Roboterisierung und Globalisierung gestalten wollen und als Chance begreifen – oder ob wir ein riesiges Projekt der Umverteilung von unten nach oben zulassen. Unsere Antwort ist eindeutig: gestalten!", gibt sich Bundeskanzler Christian Kern auf Facebook kämpferisch. Es geht um seinen Vorschlag zur Sanierung des Sozialstaates. Schon kurz nach seiner Angelobung im Mai ließ er mit der Idee einer "Wertschöpfungsabgabe" aufhorchen, links der Mitte wurde applaudiert, rechts der Mitte kritisiert. Seit Samstag liegt ein konkretes Modell vor, was sich der SPÖ-Chef vorstellt:
Pilotprojekt
Sein Konzept zum Einstieg in eine neue Finanzierung des Sozialsystems beginnt bei der Umstellung der Finanzierung des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF): In einem Pilotprojekt sollen neue Beiträge für den FLAF auf Basis von Unternehmensgewinnen eingehoben werden. Die Arbeitgeber-Beiträge, die auf Basis der Lohnsumme eingehoben werden, sollen entsprechend um rund 2,5 Milliarden Euro gesenkt werden. Auch Fremdkapitalzinsen, Mieten und Pachten sollen zur Finanzierung der sozialen Sicherungen herangezogen werden.
Derzeit ist der FLAF, aus dem Leistungen wie Schülerfreifahrt, Kinder- und Karenzgeld bezahlt werden, so geregelt: Arbeitgeber zahlen 4,5 Prozent der Bruttolohnsumme an den Fonds. Kanzler Kern schlägt nun vor, die Arbeitgeberbeiträge zu senken und dafür drei Prozent der Nettowertschöpfung von Unternehmen einzubehalten.
ÖVP überwiegend ablehnend
Das schnellste "Njet" holte sich Kern gleich von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner ab, der via Twitter ("Retro-Konzepte, mit uns sicher nicht umsetzbar!") den Vorschlag ablehnte. Wenig später folgte Industrie-Kapitän Georg Kapsch ("Vollkommen unverständlich, dass nicht an Einsparungen und Umschichtungen auf der Aufgabenseite nachgedacht wird"), dann für den ÖVP-Wirtschaftsbund Generalsekretär Peter Haubner ("Mit uns keine neuen Steuern. Da fährt die Eisenbahn drüber").
Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl meinte knapp: "Anstatt immer wieder Umverteilungskonzepte zu präsentieren, sollte vielmehr über eine Entlastung der Betriebe nachgedacht werden."
Kein Vorbild Italien
Übrigens: Einen ähnlichen Versuch einer Wertschöpfungsabgabe gibt es in Italien seit 1998. Die "Regionalsteuer auf produktive Tätigkeit" greift auf Lohnsumme, Gewinne und Fremdkapitalzinsen zu. Auf Druck der Wirtschaft wurden die Steuersätze mehrmals gesenkt, somit hat die Steuer nicht zu mehr Beschäftigung geführt, weil der Faktor Arbeit kaum entlastet wurde.
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