Welche Gefahren Österreich bedrohen

Klaudia Tanner weiß noch genau, wie spät es war: Sieben Minuten nach vier Uhr früh weckt sie das Mobiltelefon. Der Anrufer: ihr Generalstabschef. Es ist der 24. Februar. Und Robert Brieger sagt sinngemäß: Es hat begonnen, wir haben Krieg.
42 Tage nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hält die Verteidigungsministerin ein Referat zum Jahresbericht der „Direktion für Verteidigungspolitik und internationale Beziehungen“.
In normalen Zeiten wird der Bericht vornehmlich im Heer und von Experten besprochen.
Doch die Zeiten sind alles andere als normal: Die eine Krise, die Pandemie, wird nahtlos von einer anderen, dem Krieg, abgelöst. Und wohl auch deshalb ist am Donnerstag der Saal im Raiffeisen-Forum gut gefüllt.
„Der 24. Februar ist eine Zäsur in der Geschichte Europas“, sagt Tanner. Sie wird erklären, „dass der konventionelle Krieg eine Realität ist“, und warum das Heeresbudget von derzeit 0,6 auf bald 1,5 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung anwachsen müsse. Angesichts der Bedrohungen müsse man das Bundesheer „möglichst breit aufstellen“ (siehe rechts).
Was aber sind sie, die großen Bedrohungen für Österreich und dessen Armee?
Ein Blick auf die Matrix von „Risikolandschaft Österreich 2022“ zeigt: Cyberangriffe, ein großer Konflikt zwischen Europa und China oder Terroranschläge gelten mittlerweile bereits als „sehr wahrscheinlich“. Und auch mit einem Blackout oder einer Eskalation des Ukraine-Krieges (im Baltikum, nach Polen, etc.) ist demnach sehr ernsthaft zu rechnen.

Sie bleibt dabei: Am Donnerstag hat Verteidigungsministerin Klaudia Tanner ihre Forderung wiederholt, wonach das Regelbudget im Bundesheer auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen soll – und zwar innerhalb der kommenden fünf Jahre.
Unterstützt wird sie dabei etwa von Erwin Hameseder, dem Milizbeauftragten der Armee. Hameseder fordert nicht nur eine Erhöhung von „deutlich über einem Prozent des BIP“, sondern zudem die Wiedereinführung der verpflichtenden Milizübungen. „Nur wer regelmäßig übt, kann seinen Auftrag erfüllen.“
Dass das Heeresbudget aufgestockt werden muss, gilt koalitionsintern als Konsens. Strittig ist, wie genau die Aufrüstung aussieht bzw. wie hoch das Budget letztlich ansteigen soll.
Schon vor dieser aktuellen Debatte hat sich der schwedische Saab-Konzern in Stellung gebracht.
Denn abgesehen von der generellen Aufrüstung der Streitkräfte muss das Bundesheer die Frage beantworten, wie es mit der Luftverteidigung und den Eurofightern generell weitergeht.
Saab bietet sich als kostengünstige Alternative zum Eurofighter an. Konkret könne man den Gripen mit 23.000 Euro pro Flugstunde anstatt der derzeit 65.000 bis 70.000 Euro beim Eurofighter betreiben.
Da das Bundesheer den Eurofighter ohnehin aufrüsten und zudem Jets beschaffen muss, um die ausgemusterte Saab 105OE zu ersetzen, wäre laut Saab eine Flotte, in der ausschließlich der Gripen für Ausbildung und Abfang-Aufgaben herangezogen wird, um rund 50 Millionen Euro pro Jahr günstiger als beispielsweise die Variante mit nachgerüsteten Eurofightern.

Alles Denkbare
„Prinzipiell muss alles gedacht werden, was denkbar erscheint“, sagt Brigadier Peter Vorhofer, einer der Autoren der Analysen.
Dazu gehört, dass die EU komplett zerfällt (gilt als unwahrscheinlich, aber möglich); dass Europa einen „Eisernen Vorhang 2.0“ (Vorhofer) aufzieht (plausibel); oder dass irgendwann für längere Zeit das Strom- bzw. Energienetz zusammenbricht (wahrscheinlich).
Die Österreich und Europa drohenden Gefahren sind an diesem Vormittag das eine.
Das andere sind die Lehren aus den gerade erlebten Krisen – und diese sind durchaus bemerkenswert.

Florence Gaub etwa räumt mit einer großen Hoffnung auf. „Ein Krieg zwischen Staaten geht nie schnell zu Ende, im Schnitt sprechen wir hier von 15 Monaten“ , sagt die stellvertretende Direktorin des Instituts der Europäischen Union für Sicherheitsstudien in Paris. Ihr Nachsatz: „Kriege brauchen Zeit. Das ist eine Ressource, die wir nicht haben.“
Gute Nachrichten klingen anders. Und auch die Sorge, die Robert Brieger umtreibt, macht nicht gerade Mut. Immerhin sieht der Generalstabschef die Gefahr, dass Moskau nun versucht sein könnte, den „Handlungsspielraum auszutesten“.

Was meint der General damit? „Zum Beispiel, dass sich Russland ansieht, ob
ein Vorgehen im Baltikum tatsächlich eine kollektive Antwort der NATO auslöst.“
Soviel das Unerfreuliche und Realistische zum Krieg.
Was die andere Krise angeht – die Covid-19-Pandemie –, ist an diesem Tag Katharina Reich berufen, einiges einzuordnen. Und die Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit hat Positives zu berichten: So sei etwa der eImpfpass ausnehmend schnell, ja sogar viel schneller umgesetzt worden, als man ursprünglich vorhatte. Und: Die Zusammenarbeit zwischen Bundesheer und zivilen Gesundheitsbehörden sei nicht immer leicht, aber letztlich sehr erfolgreich.

Gecko-Chefin Katharina Reich
Besser werden muss Österreich – und damit ist man bei den Lehren aus Covid-19 – vor allem dort, wo falscher Kantonsgeist zu unnötigen Verzögerungen geführt hat. Reich diplomatisch: „Wir müssen schneller das Gesamtstaatliche suchen.“
Was noch? Reich fällt vor allem das Pandemie-Paradoxon ein, das auch 2022 wieder schlagend werden könnte. „Im Sommer werden die Zahlen gut sein, und dann wird uns die Pandemie wieder nicht mehr interessieren.“ Das müsse sie aber. „Denn nur, wenn wir uns im Sommer gut vorbereiten, wird der Herbst auch gelingen.“
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