Was, wenn Mitterlehner als Kanzler nicht abdankt?

Reinhold Mittlerlehner wird zum Kanzler ernannt.
Zum Rücktritt zwingen kann Mitterlehner niemand, aber der Bundespräsident könnte ihn entlassen.

Das gab es noch nie: Der amtierende Kanzler tritt ab, ohne dass gewählt wurde oder sein Nachfolger bereits feststeht. Werner Faymann wollte nach seinem plötzlichen Rücktritt nicht weiter mit den Amtsgeschäften betraut sein, sagt Ludwig Adamovich, Verfassungsexperte in der Hofburg und ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofes. Dass sein Vizekanzler ihn nun ersetzt, klingt zunächst logisch, ist aber eigentlich gar nicht zwingend. "Das war die Entscheidung des Bundespräsidenten", sagt Adamovich. Es hätten zwar auch andere Mitglieder der Bundesregierung zum Kanzler ernannt werden können. Nun tauchen sogar Theorien auf, dass seine Ernennung verfassungswidrig sei, was "absurd" sei, sagt Adamovich. Aber was passiert eigentlich, wenn Mitterlehner sich in seiner neuen Rolle gefällt und nicht abdankt? Verfassungsrechtler Theo Öhlinger klärt auf.

KURIER: Dem abgetretenen Kanzler Werner Faymann folgte sein Vize-Kanzler Reinhold Mitterlehner vom Koalitionspartner ÖVP – sieht die Verfassung vor, dass das der Vizekanzler sein musste?

Theo Öhlinger: Nein. Das hätte auch irgendwer anderer aus der Bundesregierung sein können. Der Bundespräsidenten ist frei zu ernennen, wen immer er ernennen möchte. Aber er hat es wohl auf Vorschlag der Bundesregierung gemacht.

Gab es schonmal einen Interimskanzler?

Grundsätzlich gibt es den nach jeder Wahl – da werden der Bundeskanzler und seine Regierung mit der Weiterführung der Amtsgeschäfte betraut, bis es eine neue Regierung gibt. Aber den Fall, dass ein Kanzler in der laufenden Legislaturperiode zurücktritt und es noch keinen Nachfolger gibt – den hat es noch nie gegeben.

Gibt es die Position des Interimskanzlers eigentlich oder ist Mittlerlehner jetzt einfach Kanzler?

Ja doch, in der Verfassung steht, dass wenn ein Regierungsmitglied aus dem Amt scheidet, jemand mit der Fortführung der Verwaltung betraut wird. Das Provisorische hat aber keinen rechtlichen Gehalt – die Kompetenzen sind dieselben und die Amtszeit des Interimskanzlers endet auch nicht automatisch.

Was passiert, wenn Mitterlehner nach der Präsentation des neuen SPÖ-Chefs nicht zurücktritt?

Dann liegt der Ball beim Bundespräsidenten. Er kann ihn nicht mit vorgehaltener Pistole zwingen zurückzutreten. Er kann aber einzelne Mitglieder der Bundesregierung – und damit auch den Bundeskanzler – entlassen. Auch der Nationalrat könnte ihm ein Misstrauensvotum aussprechen. Es muss jedenfalls einen Akt des Bundespräsidenten zur Beendigung von Mitterlehners Kanzlerschaft geben – ob einvernehmlich oder nicht. Sie endet nicht automatisch. Ich gehe aber nicht davon aus, dass Mitterlehner es darauf anlegen wird.

Laut eines „Kommentar der Anderen“ von Verfassungsrechtler Wieser im Standard ist Mitterlehners Ernennung ein verfassungsrechtliches Problem, weil nur Mitglieder der „scheidenden Bundesregierung“ mit der Fortführung der Amtsgeschäfte betraut werden können – und Mitterlehner ja nicht aus dem Amt scheiden wird. Sehen Sie das auch so?

Nein. Er hat ja nicht die gesamte Regierung entlassen. Wieser klammert sich an ein Wort, das nur einen Sinn hat, wenn die ganze Regierung ausscheidet. Das ist eine sinnwidrige Auslegung. Ich halte das absolut für falsch.

Die hypothetische Frage ist trotzdem spannend: Was könnte passieren, wenn Mitterlehner verfassungswidrig Kanzler wäre? Könnte dagegen geklagt werden?

Nein, da könnte niemand von uns klagen. Angefochten könnte das nur indirekt werden. Das heißt, wenn er einen Akt setzt, dann könnte dieser angefochten werden mit der Begründung, dass der Bescheid von einer unzulässigen Behörde erlassen wurde. Dann wäre jedes Gesetz, das unter Mitterlehner kundgemacht wurde, ungültig.

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