Ein Jahr nach der Wahl: Was Konservative modern macht

Ein Jahr nach der Wahl: Was Konservative modern macht
Der CSU droht heute in Bayern eine Schlappe, die ÖVP feierte in Wien ein Jahr Wahlsieg. Was Kurz besser kann.

Bayern ist etwa so groß wie Österreich, die Wirtschaftskraft ist in beiden Ländern Europaspitze und derzeit sogar auf Rekordniveau.

So weit der Gleichklang. Politisch gehen die Uhren anders. Während die regierende Christlichsoziale Union ( CSU) in Bayern heute einer historischen Wahlschlappe entgegen zittert, steigen in Österreich die Zustimmungsraten zur ÖVP, zu Sebastian Kurz und zu der von ihm geführten Regierung. „Kurz ist ein Hoffnungsträger in Europa. Er ist ein moderner Konservativer“, lobt der bayrische Ministerpräsident Markus Söder den österreichischen Kanzler.

Söder hat Kurz im Wahlkampffinale am Freitag am Abend nach München gebeten, um zu helfen , in letzter Minute noch Unentschlossene zu mobilisieren.

Tags darauf feiert Kurz mit seiner türkisen Bewegung in Wien den Jahrestag seines Wahlsiegs. Eine Gelegenheit für eine Vergleichsanalyse – der KURIER beobachtete die beiden Events in München und in Wien.

Vorausschicken muss man, dass die CSU in Bayern auch nach ihrem prognostizierten Absturz immer noch irgendwo Anfang oder Mitte der 30 Prozent zu liegen kommen wird. Damit ist sie auf dem Niveau der ÖVP, die bei der Nationalratswahl im Vorjahr 31,5 Prozent erreichte und in der neuesten KURIER-OGM-Umfrage bei 34 Prozent liegt. In der gesamten EU gibt es kaum eine Partei, die mehr als 30 Prozent hat.

Dennoch – Sieg und Niederlage liegen knapp beisammen: Die CSU rasselt von einem 50 Prozent-Niveau runter, die ÖVP kletterte von einem 20 Prozent-Level in die Höhe.

CSU hoppelt AfD hinterher

„Zeit für Neues“ lautet die Marschrichtung der Austro-Türkisen. Eine Ansage, mit der sich die ÖVP als Underdog in der rot-schwarzen Koalition freilich leichter tat als die CSU, die in Bayern immer schon regiert. Genau diese Kunst, sich auch als Regierungspartei an die Spitze einer Veränderung zu setzen, hat die CSU diesmal nicht zustande gebracht. Sie hoppelte erschrocken der rechten AfD hinterher und übersah dabei ganz, den Bayern zu erzählen, warum sie sie eigentlich wiederwählen sollten.

Die CSU hätte in ihrer eigenen Parteigeschichte nachblättern sollen: Edmund Stoiber hat mit dem legendären Slogan „Laptop und Lederhose“ (der eigentlich von Roman Herzog stammt) zwei Mal 53 Prozent und 2003 sogar die Zweidrittelmehrheit im bayrischen Landtag erobert. „Damals haben wir neidisch nach Bayern geschaut“, erinnert sich Stephan Pernkopf von der niederösterreichischen ÖVP. Die Symbiose aus Tradition und Weltoffenheit hat Erwin Pröll auch in Niederösterreich zum Leitmotiv gemacht, aber „die CSU war uns damals auch in ihrer Wahlkampfführung weit voraus. Das haben wir uns dann von ihr abgeschaut“, erzählt Pernkopf.

CSU im Bierzelt, ÖVP im modernen Tower

Heute ist es umgekehrt. Heute könnte die CSU bei den Türkisen in die Lehre gehen. Angefangen bei der Location. Biertische, Bierkrüge, Bierbrez’n, Bierlokal, Blasmusik am Freitag in München.

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Dreifaltigkeit aus CSU, Bayern und Bierkultur: Zu viel Konzentration auf die rechte AfD, zu wenig Blick in die Zukunft im Wahlkampf

Am Samstag in Wien das schicke Platinum, das Foyer im Uniqa-Tower-Tower am Donaukanal. Glas-Stahlkonstruktion, reichlich Licht von oben. Angenehme Klaviermusik. Durch einen türkisen Türrahmen gelangen die Besucher ins türkise Universum: Ein Spalier von Sebastian Kurz-Bildern erzählt die politischen Stationen des letzten Jahres nach, die Redner sprechen in türkise Mikrofone auf einer in Türkis getauchten Bühne. Sogar der Poncho der stellvertretenden ÖVP-Obfrau Bettina Glatz-Kremsner ist, erraten, türkis.

Die Darbietung wechselt, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln. Kurze Interviews, Statements, ein Video, ein paar Scherzchen des Moderators. Die Hauptrede des Kanzlers dauert nur eine halbe Stunde.

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Stahl-Glas-Konstruktion im schicken Uniqa-Tower in Wien

Kurz’ Erzähltechnik erinnert an amerikanische TV-Serien. Immer dieselben Personen spielen in neuen Szenen. Die Mutter, der Vater, die Freundin, der Axel (Melchior, Bundesgeschäftsführer) und der Gerald (Fleischmann, enger Berater). Mit der Zeit glaubt man sie alle zu kennen. Mit kleinen Geschichten lässt Kurz seine Zuhörer mit ihm mitleben, an seinem Politikeralltag teilhaben.

Auch Söder ist kein schlechter Redner, in konventioneller Hinsicht der bessere als Kurz. Aber eben im hergebrachten Stil mit politischen Aussagen und ideologischer Abgrenzung.

Im Outfit hat er sich angepasst. Wie Kurz trägt er weißes Hemd, keine Krawatte und offenen Kragen.

Inhaltlich trennen Kurz und die CSU wenig, Kurz sieht seine ÖVP „fast ein bisschen näher an der CDU“.

Aber auch das ist eine Frage von Nuancen.

Die Schöpfung bewahren. Für ein geeintes Europa kämpfen. Die digitale Infrastruktur nicht verschlafen, für solide Staatsfinanzen sorgen. „Und wer heute nicht regelt, wer in seinem Land einwandern darf, wird sich bald im eigenen Land fremd fühlen“: Das sind zentrale Botschaften des Kanzlers zum Jahresjubiläum. Damit können sich wohl auch CSU oder CDU identifizieren.

Gemeinsamkeit: "Starke Mitte"

Es gibt aber auch kleine Sticheleien in der konservativen österreichisch-deutschen Parteienfamilie.

Dass die türkis-blaue Regierung in Österreich das Rauchverbot zurücknimmt, wird in der bayrischen Staatskanzlei spitz kommentiert: „Nirgends in Europa darf man mehr rauchen, und bei euch ist jede Skihütte verqualmt.“

Umgekehrt belächeln türkise Strategen die Fehler der CSU beim Migrationsthema im Wahlkampf. „Man kann nicht Angela Merkel in München kritisieren, und ihr gleichzeitig in Berlin den Steigbügel als Kanzlerin halten. Wenn man sie kritisiert, muss man sie stürzen. Wenn man sie nicht stürzen will, darf man sie nicht kritisieren, sondern muss gemeinsam mit ihr agieren. Aber aufreiben, und dann zurückziehen – das spielt nur der AfD in die Hände“, meint ein türkiser Stratege.

Was den Sozialdemokraten dies- und jenseits der Grenze zu denken geben müsste: Sie werden mangels Masse kaum noch als Konkurrenz gesehen. „Unsere Länder macht eine starke Mitte aus. Und die sind wir“, sagt Kurz in Bayern und in Wien.

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