Morten Bödskov ist ein selbstbewusster Politiker. Als der dänische Finanzminister kürzlich gefragt wurde, was er von einem elektronischen Ausweis hält, der Corona-Geimpften Einschränkungen erspart, da antwortete Bödskov nicht mit Bedenken wegen des Datenschutzes, sondern so: „Wir können zu den Ersten gehören, die diesen Ausweis haben – und die es dem Rest der Welt zeigen.“
Was die Covid-19-Pandemie angeht, scheint es Dänemark Europa tatsächlich „zu zeigen“. Denn während Österreich und andere EU-Nachbarn bei der 7-Tages-Inzidenz bei Werten von 100 und darüber halten, ist das Königreich im Norden mit nicht einmal 54 Infektionen fast doppelt so gut.
Ein wesentlicher Faktor scheint dabei die hohe Affinität zur Digitalisierung im Gesundheitswesen zu sein.
Und mit dem Blick auf die Daten stellt sich zunehmend die Frage: Wieso funktioniert das nicht auch in Österreich? Immerhin kann die Sozialversicherung seit Jahren mit einem digitalen Versichertenausweis – der eCard – aufwarten; und immerhin betreibt man seit mehr als zehn Jahren die Elektronische Gesundheitsakte, kurz ELGA, die einen digitalen Zugriff auf Befunde, Laborberichte und Entlassungsbriefe ermöglicht.
Wer wissen will, wie es um die Digitalisierung des Gesundheitswesens bestellt ist, der kommt an Franz Leisch nur schwer vorbei. Leisch ist Arzt und Geschäftsführer der ELGA. Und er lässt die Behauptung nicht einfach gelten, dass Österreich die Digitalisierung im Gesundheitswesen grundsätzlich verschlafen hat.
Es fehlt an „Zügen“
Was die Infrastruktur angehe, sei man sehr gut aufgestellt, befindet Leisch. „Um ein Bild aus dem Verkehr zu verwenden: Wir haben ein Schienen-Hochleistungsnetz. Die Herausforderung besteht jetzt darin, dass auf diesem hochwertigen Netz noch nicht so viele Züge fahren, wie es möglich und sinnvoll wäre.“ Anders bzw. kritischer formuliert: Österreich investiert mit rund zehn Millionen Euro im Jahr zwar genug in die digitale Infrastruktur von ELGA, um das System zu warten und am Laufen zu halten. Für große Innovationen und Fortschritte fehlt aber der Mut.
Besonders deutlich zeigt sich die unentschlossene Haltung am Beispiel des elektronischen Impfpasses. Schon 2008 (!) wurde in der Sozialversicherung ein Bericht zum „eImpfpass“ erstellt; zudem gab es eine Kosten/Nutzen-Analyse. Zehn Jahre lang passierte wenig bis nichts. Erst als die Covid-Pandemie 2020 über das Land hereinbrach, stellte die Politik ein Sonderbudget zur Verfügung, um die Corona-Schutzimpfungen zentral zu erfassen – die Geburt des eImpfpasses.
„Das Projekt des digitalen Impfpasses kostet inklusive aller Nebenkosten rund drei Euro pro Österreicher“, sagt Franz Leisch.
Drei Euro pro Patient? Das scheint ein fairer Preis dafür zu sein, dass alle Patienten und Ärzte Einblick bekommen, wogegen wer wie lange noch durch diverse Impfungen geschützt ist.
Doch es wäre zu einfach, würde man den Status quo allein auf mangelnden Investitionswillen zurückführen.
Tatsächlich wird an der Digitalisierung sichtbar, was im gesamten Gesundheitssystem für veritable Reibungsverluste sorgt, nämlich: die Kleinteiligkeit des Systems, man könnte auch sagen: der falsch verstandene Föderalismus.
Abgesehen von den rund 7.500 niedergelassenen Kassenvertragsärzten, die in ihren Ordinationen bis zu 70 verschiedene Software-Systeme einsetzen, müssen auch 8.000 Wahlärzte, neun Landessanitätsdirektionen, 1.000 Schulärzte, die Militärärzte sowie 900 Pflegeeinrichtungen harmonisiert werden – sie alle betreiben unterschiedliche Computersysteme und sind nach wie vor nur zum Teil an ELGA angeschlossen. So sind zwar alle Spitäler und Apotheken digital vernetzt, für mehr als 90 Prozent der Pensionistenwohnheime gilt dies aber nicht. Die Konsequenz: Als entschieden wurde, dass die Corona-Schutzimpfung vor Ort in den Heimen verabreicht wird, musste Österreich in Südkorea spezielle, weil besonders datensichere Tablets besorgen – andernfalls hätte man die Impfungen in den Heimen nicht zentral und digital erfassen können.
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