Parteien kommen die Stammwähler abhanden

Politologe Plasser: Traditionsparteien SPÖ und ÖVP sollten nicht weiter auf Stammwähler hoffen.
Immer weniger Wähler können sich mit einer Partei identifizieren. Wechselwähler bilden die Mehrheit.

Eine Untersuchung unter 1100 Wählern und 400 Nicht-Wählern nach der EU-Wahl im Mai zeigt, dass sich in Österreich immer weniger Menschen an die traditionellen Parteien gebunden fühlen. Konkret, so die Politikwissenschafter Fritz Plasser und Franz Sommer im Ö1 Mittagsjournal am Samstag, würden sich sich fast 60 Prozent nicht mehr mit einer Partei identifizieren.

Keine Garantie auf Stammwähler

Früher konnten SPÖ und ÖVP auf das ältere Wählersegment zählen, sagt Plasser im Interview, aber die traditionelle Parteienbindung sei in Auflösung begriffen. Diese Tendenz zeigte sich auch bei der vergangenen Europawahl.

Jene Wähler und Wählerinnen, die in jüngeren Jahren keine Parteineigung hätten, würden auch in späteren Jahren nicht zu gebunden Stammwählern werden, so Plasser. Das bedeute auch, dass SPÖ und ÖVP nicht mehr darauf hoffen sollten, dass Wähler ab einem bestimmten Alter für die Partei votieren.

Das loyale Wählerverhalten werde, so die Prognose, in den kommenden 15 bis 20 Jahren noch weiter abnehmen. Es werde dann nur noch eine Minderheit geben, die sich stark mit einer Partei identifizieren kann.

Kommunikation muss sich ändern

In den 1970er-Jahren konnten sich noch 65 Prozent der Wähler in Österreich mit einer Partei identifizieren, heute sind es nur noch 42 Prozent. Es zeige sich einmal mehr, dass die Traditionsparteien ihre Kommunikation Richtung Wählerschaft verändern müssten, erklärt Plasser. Es werde einfach nicht mehr ausreichen, dass die SPÖ in Wahlkampfzeiten ganz allgemein auf ihre Kernkompetenz im Sozialen verweise oder die ÖVP auf die Wirtschaft.

Nach dem Politikwissenschafter müssten sich SPÖ und ÖVP mit ihren Botschaften an die stark wachsenen Wechselwähler wenden - "tun sie das nicht, ist ihr Abstieg de facto vorprogrammiert".

Wahlrechtsreform von Nöten

Bei den vergangen Nationalratswahlen ging es sich mit einer großen Koaltion zwischen ÖVP und SPÖ noch knapp aus. Aber um nach künftigen Wahlgängen überhaupt noch klare Mehrheitsverhältnisse für eine Regierungsbildung zustande zu bringen, bedürfe es einem Mehrheitswahlsystems - Plasser rät deshalb zu einer umfassenden Wahlrechtsreform.

Dann könnte auch eine Partei eine handlungsfähige Regierung bilden, die über ihre Stammwählerschaft hinausgeht - "sofern sie im Wahlkampf eine Mehrheit zustande gebracht hat", sagt Plasser. Dass der Wille zu einer Reform bei den derzeitigen Parteien im Parlament aber kaum ausgeprägt ist, weiß auch der Politologe.

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