Den politischen Gegner noch rasch von seiner Meinung überzeugen zu wollen, kann man sich schenken“, sagt Staatswissenschaftler Wolfgang Müller von der Uni Wien. Diese Zeit und Energie könnten sich die Parteien getrost sparen. Jetzt gehe es um die Mobilisierung der Stammwähler und – ganz wichtig – das Erreichen der Unentschlossenen.
Denn, rund drei Wochen vor der Wahl sind rund ein Viertel aller Wähler oder gut eine Million Wahlberechtigte, noch immer wankelmütig, sagt Politikforscher Peter Ulram. „Die Erfahrung zeigt, die Leute zögern ihre Entscheidung immer weiter hinaus.“ Zu den Unentschlossenen gehören auch Wechselwähler, Erstwähler und potenzielle Nicht-Wähler, die nicht verschreckt werden dürfen. Ulram: „In welche Richtung sich diese Gruppen bewegen, wer auf wessen Kosten hier zu Stimmen kommt, wird man aber erst in der Nachwahlbetrachtung genauer sehen.“
Verteilung
Derzeit sieht es so aus: 27,2 Prozent für die SPÖ, 23,2 Prozent für die ÖVP, 19,5 für die FPÖ, 15 für die Grünen und acht für das Team Stronach – sowie jeweils unter vier Prozent für BZÖ und Neos. Das sind die durchschnittlichen Parteipräferenzen aus den Umfragen von OGM, Market, Gallup und Karmasin.
Mit diesem Wissen ausgestattet setzen SPÖ, ÖVP und FPÖ für Ulram auf eine Defensivstrategie. Der sprichwörtliche Ball werde bei praktisch allen Themen längst „sehr flach gehalten“. Grüne, Stronach und BZÖ fahren hingegen eine Offensivstrategie. Wobei das Handicap der Grünen Wien sei (Stichwort: Fußgängerzone Mariahilfer Straße), wo ein Fünftel aller Wahlberechtigten leben. Und für Stronach seien es die TV-Auftritte, die zum Problem werden könnten. Er konnte bisher gerade einmal acht Prozent der Zuseher überzeugen, wie der KURIER am Samstag berichtete.
Inhaltlich seien die Themen jedoch gesetzt, sodass nun die Mundpropaganda am Arbeitsplatz, im Freundeskreis und unter Bekannten entscheide sowie „möglichst viel Beinarbeit“ der Sympathisanten und Funktionäre, weiß Meinungsforscher Günther Ogris. Da gehe es um „Mikro-Targeting“ und „regionale Zielstrategien“, also zum Beispiel die Tür-zu-Tür-Arbeit im Gemeindebau.
Grünen-Chefin Eva Glawischnig. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
Parteiwerbung
Von der Werbung her, also jenen Botschaften, die über Plakate, Inserate und TV unters Volk gebracht werden, ist Straches „Nächstenliebe“ bisher am meisten ins Auge gestochen, zeigt eine OGM-Umfrage für den KURIER. Knapp dahinter die ruhige Hand des SPÖ-Kanzlers und mit etwas Abstand die Grünen.
Während den meisten Wählern in aller Regel die Werbung jener Partei auffällt, zu der sie sich ohnehin hingezogen fühlen, ist das bei der SPÖ dieses Mal anders. 60 Prozent der selbstdeklarierten ÖVP-Wähler sagen, ihnen sei besonders die SPÖ-Werbung aufgefallen – nur 44 Prozent der SPÖ-Wähler sagen das von sich. OGM-Chef Wolfgang Bachmayer verweist aber noch auf einen zweiten Aspekt: Männern fällt vor allem die SPÖ-Werbung auf, Frauen vor allem jene der FPÖ. Und das, obwohl die Freiheitlichen „normalerweise“ eine Männerpartei sind. Wegen der Frauen liegt die FPÖ bei der Werbung insgesamt in Führung.
In Australien ist es soeben geschehen, in Norwegen wird es wohl ab Montagabend feststehen, und in den USA hat ihn sich Barack Obama mit dem Schlachtruf „Change“ erkämpft: den politischen Wechsel. Dass dies hierzulande so gut wie unmöglich ist, ist das größte demokratiepolitische Problem Österreichs. Der Wahlausgang ist relativ egal – am Ende kann eigentlich wieder nur eine „Große Koalition“ stehen.
Damit wird der im Wesentlichen sozialdemokratische Weg auf kleinstem gemeinsamen Nenner fortgesetzt. Im Windschatten von Rot und Schwarz haben es sich parteinahe Institutionen und Manager gemütlich eingerichtet. Nur zwei Politiker haben in den vergangenen 43 Jahren die Fesseln gesprengt: Bruno Kreisky und Wolfgang Schüssel. Beide mithilfe der (letztlich regierungsunfähigen) Blauen, die Kreisky schnell wieder abschüttelte. Ohne Behinderung durch einen annähernd gleich starken Regierungspartner konnten sie große Änderungen angehen: Kreisky eine Schul-, Justiz- und Heeresreform, Schüssel Reformen des Abfertigungs- und des Pensionssystems. Wenn es einen Wechsel gibt, können Systeme nie so arg verfilzen, Skandale fliegen eher auf. So gesehen bräuchte Österreich längst ein Mehrheitswahlrecht – wozu es nicht kommen wird, weil das einer Zweidrittelmehrheit bedarf. Aber keine Kleinpartei schafft sich gern selbst ab.
Man sollte sich nicht lustig machen, wenn engagierte Einzelkämpfer – Frank Stronach, Matthias Strolz & Hans Peter Haselsteiner – versuchen, das starre heimische System aufzubrechen. Aber angesichts der politischen Verfasstheit des Landes wäre es besser, sie würden ihren Einsatz und ihr Ego in die etablierten Parteien einbringen, um diese von innen zu verändern. Das ist der deutlich mühsamere Weg, aber langfristig bietet nur er eine nachhaltige Chance auf die notwendige Veränderung.
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