"Bei erster Wahl hat keiner geschaut"
Haben die Freiheitlichen ihre Anfechtung schon vor der Stichwahl vorbereitet? Haben sie von den Schlampereien bei der Stimmenauszählung zwar gewusst, aber stillgehalten und vorsorglich Munition für den Fall der Niederlage ihres Kandidaten Norbert Hofer gesammelt?
Mit derlei Spekulationen lässt jetzt ausgerechnet ein Höchstrichter aufhorchen. Die Mängel seien "in diesem Ausmaß nicht allgemein, aber offenkundig den Wahlbeisitzern dieses Kandidaten bekannt", sagt Johannes Schnizer im Falter. Und mehr noch: Die Blauen hätten in der Wahlbehörde dennoch nicht darauf hingewiesen, rechtmäßig vorzugehen.
Die Anwälte der Freiheitlichen weisen diese Vorwürfe vehement zurück. FPÖ-Rechtsanwalt Dieter Böhmdorfer gab sogar eine eidesstattliche Erklärung ab, wonach eine Anfechtung erst Tage nach der Stichwahl Thema gewesen sei. Zudem wurde ein offener Brief an Verfassungsgerichtshof-Präsident Gerhart Holzinger verfasst, in dem die Vorwürfe Schnizers als "schwerwiegende Diffamierung" bezeichnet werden (siehe rechts). FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl will medienrechtlich gegen Schnizer vorgehen.
Was ist tatsächlich dran an den Vermutungen des Höchstrichters?
Gesteuerte Aktion?
Verfassungsjurist Heinz Mayer, der die Wahlaufhebung massiv kritisiert hat, unterstützt die These Schnizers: "Ich bin mir sicher, dass die FPÖ das vorbereitet hat. Eine 152-seitige Anfechtung schreibt man nicht so einfach in einer Woche."
Experte Theo Öhlinger vermisst jedenfalls Beweise: "Ich habe Schnizer so verstanden, dass die FPÖ ihren Wahlbeisitzern vorher gesagt hat, sie sollen nicht gegen die üblichen Schlampereien auftreten, aber diese nach Wien melden, wenn sie geschehen sind. Wenn das so war, ist das eine Sache, die strafrechtliche Tatbestände berührt." Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt ja in 20 Bezirken gegen Wahlleiter und Beisitzer. "Umso schlimmer, wenn man nun sagt, das war eine gesteuerte Aktion bei dieser Wahl", sagt Öhlinger.
Justiz ermittelt bereits
Die Staatsanwaltschaft untersucht tatsächlich, ob bewusst Fehler gemacht wurden – das liege in der Natur der Sache, erklärt ein Sprecher: "Es ist zu klären, wer was gemacht hat – und ob hinter dieser Handlung ein Vorsatz steht." Die Frage nach dem Warum – also ob die FPÖ es dirigiert hat – sei erst in zweiter Linie interessant.
Klar ist: Die FPÖ ist mit dem Wahlgesetz vertraut, denn Anfechtungen sind für sie nichts Neues: Zuletzt wurde die Bezirksvertretungwahl in Wien-Leopoldstadt erfolgreich angefochten, 2015 die Bürgermeisterwahl in Hohenems. Beide wegen Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl – Kritik daran üben die Freiheitlichen seit Jahren.
Fragt man unter jenen FPÖ-Wahlbeisitzern nach, die jüngst Misstände meldeten, erntet man empörte Reaktionen auf die Vorwürfe. Isabella Lehner aus Villach, die mit ihrem Hinweis, dass in ihrer Behörde frühzeitig ausgezählt wurde, den Stein ins Rollen gebracht haben soll, sagt zum KURIER: "Das stimmt nicht. Und ich finde es eine Frechheit, so etwas zu unterstellen. Wir konnten ja vorher nicht wissen, dass die Wahl so knapp ausgeht."
Sie präzisiert das auf die Frage, warum der Aufschrei nicht bereits beim ersten Wahlgang erfolgte: "Da hat noch niemand so genau geschaut, weil Hofer ja weit vorne gelegen ist. Nach der Stichwahl war das dann legitim. Das hätten die Grünen auch gemacht, wenn Van der Bellen verloren hätte."
Lehner hat seit ihrer Einvernahme im Juni nichts mehr von der Polizei gehört. Es gibt bis dato weder Anklagen noch Einstellungen. "Wir hängen alle in der Luft. Vielleicht wird das ja erst erledigt, wenn die Wahlwiederholung vorbei ist."
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