Schuh: "Der nationale Egoismus kann vieles zerstören"

Der Essayist und Philosoph Franz Schuh am 05.10.2017 in Wien.
Künstler-Interviews zur Wahl. Der Schriftsteller Franz Schuh gilt als einer der schärfsten Beobachter der heimischen Politik. Im Interview spricht er über das Versagen von Kern und über sein Unbehagen mit Kurz.

KURIER: Herr Schuh, wen kann man überhaupt noch wählen?

Franz Schuh: Ich wähle Die Grünen. Auch ich mache im Leben alles falsch und bin dabei ein guter Mensch geblieben. Die Grünen machen ebenso alles falsch und sind dabei gute Menschen geblieben.

Dieser Logik folgend, könnten Sie aber auch die SPÖ wählen, weil die macht ja auch sehr viel falsch.

Ja, aber sie sind dabei keine guten Menschen geblieben.

Erleben wir gerade eine große sozialdemokratische Tragödie oder ist das zu milde ausgedrückt?

Was sich abspielt, ist politisch gesehen das Übliche: Ein Apparat ruiniert eine hoffnungsvolle Person, die am eigenen Ruin tapfer mitwirkt. Es ist "die Kultur", der die Sozialdemokratie anheimfiel: Das grundsätzliche Eindringen des sogenannten „Neoliberalismus“, also einer totalitären Ideologie, deren Wesen unter anderem darin besteht, dass der historische Schlachtruf aus den französischen 30er Jahren des 19. Jahrhunderts: „Bereichert euch!“ heute nicht nur laut wird, sondern das einzige Geräusch ist, bei dem eine abgetakelte Führungsclique die Ohren spitzt. Es ist nichts, was man „Politik“ nennen könnte, sondern es ist eine Kultur, für die auch typisch ist, dass die Sozialdemokratie, weil sie unter den Leuten nicht mehr verankert ist, anstelle dieser Verankerung mit den Boulevard-Medien kooperiert.

Das geht in der Regel selten gut.

Boulevard-Medien funktionieren immer gleich. Du kannst sie eine Zeit lang benützen, weil sie selber was davon haben, aber von dem Moment an, wo sie mehr davon haben, wenn sie dir schaden, werden sie dir mit Bomben und Granaten Schaden zufügen.

Das dürfte auch auch die vielen Polit-Berater zutreffen, die den Wahlkampf dominieren.

Typisch „neoliberal“: Man umgibt sich mit Leuten, lässt sich von ihnen bedienen, glaubt sie dienen einem, obwohl sie gar nicht zur eigenen „Gesinnungsgemeinschaft“ gehören. Diese Leute sind so ähnlich wie die Fußballspieler, die plötzlich bei Hertha BSC auftauchen und vor zwei Monaten haben sie noch bei Schalke 04 gespielt ... In der Politik nennt Herr Kalina, ein Ex-Parteifunktionär und Ex- Krone-Redakteur solche Leute „externe Experten.“

So eine Art ideologische Legionäre ...

Das sind keine ideologischen Legionäre, sondern sie sind eine Kulturerscheinung. Sie verkörpern die vollkommene politische Entleerung bis hin zu einem ebenso sinnentleerten Pragmatismus. Die sprachlichen Wendungen sind signifikant: Was Kalina, der ständig im Fernsehen als Experte für das auftritt, was er in den Anfängen selber verursacht hat, „externe Experten“ nennt, nennen andere, die wissen worum es sich hier handelt, „PR-Söldner“. Und PR-Söldnern ist es vollkommen gleichgültig, wem sie dienen. Ihre Künste bieten sie überall zum Verkauf an. Ihr Geist ist egoistisch, das ist „Neoliberalismus“, den die österreichische Sozialdemokratie in ihrem Kampf um die soziale Gerechtigkeit altruistisch unterstützt.

Hätte der Bundeskanzler es bei der Auswahl seiner Berater nicht besser wissen müssen?

Wer bin denn ich, um zu wissen, was ein Bundeskanzler besser hätte wissen müssen? Kern hat „die Hoffnung“ gespielt, eine wunderbare Inszenierung, eine große Rede, und dieses unerträgliche: „Yes, wie can!“ - seit der Obama-Zeit, als jeder Vernünftige gewusst hat, das ist nicht anders als ein leerlaufender Gag, der die Stimmung ein wenig hebt. „Yes, we can!“. Kerns Stern ist zu schnell verglüht. Er hat geglaubt, er kann souverän die Kanzler-Rolle mit dem Mitterlehner weiterspielen, währenddessen hat Kurz ihn mit einer Strategie, die ich bei der FPÖ „Vulgärmachiavellismus“ genannt habe, einfach ausgespielt. Die Kurz-Partie hat den strahlenden Sieger, der wie ein Phönix aus der ÖBB auferstanden ist, sofort ausgleiten lassen.

Wie schätzen Sie Sebastian Kurz ein, glaubt man den Meinungsumfragen, wird er der nächste Kanzler sein?

Schuh: "Der nationale Egoismus kann vieles zerstören"
Der Essayist und Philosoph Franz Schuh am 05.10.2017 in Wien.
Also am liebsten schätze ich ihn überhaupt nicht ein, denn beim Einschätzen wäre ich von äußerst unbehaglichen Gefühlen bewegt. Denk’ ich an Kurz, sehe ich eine triste österreichische Zukunft vor mir. Kurz ist die FPÖ mit menschlichem Antlitz. Wenigstens etwas in einem Land, in dem es sogar möglich ist, H. C. Strache als „Vordenker“ zu plakatieren. „Vordenker“ ist das einzige, was ihm bleibt, weil er ein Nachläufer hinter Kurz geworden ist. Kurz ist es mit seiner Bewegung gelungen, uns verschreckten Österreichern, die gern viel radikaler und extremistischer wären, als wir es wagen, ein Gesicht mit milden Zügen zu geben. Kurz kann man wählen, auch wenn es in einem schon brodelt und das Wutbürgertum samt AfD-Virus in einem sich längst schon ausgebreitet hat. Kurz kann man wählen, ohne dass man die Angst haben muss, jetzt kommt ein Extremismus, für den man dann auch noch gerade stehen muss.

Um die Reihe der Kandidaten abzuschließen, wir haben mit Mathias Strolz und Peter Pilz auch noch zwei Nebendarsteller.

Also, der eine steht mir zu nah, das ist Peter Pilz, ich war mit ihm Redaktionssklave in einer Zeitung, die heute leider niemand mehr kennt, dem „Extrablatt“ - auch eines dieser zugrunde gegangenen Projekte von Menschen, die alles falsch machen, die aber – und damit meine ich nicht Peter Pilz - gute Menschen geblieben sind.

Peter Pilz ist kein guter Mensch?

Gewiss nicht. Das ist auch nicht seine Aufgabe. Pilz muss im Dreck wühlen, im Akten-Dreck, so gut er kann und dabei kann er nicht gut bleiben. Also, der eine steht mir zu nahe, er ist mir ein Freund, Strolz ist mir zu fremd. Der betreibt einen verbalen Aktionismus, der sogar mir, der an Wörtern und an rhythmischer Sprache hängt, wie gequirlte Scheiße aus Wörtern vorkommt.

Es wird im Wahlkampf gerne bemängelt, dass es keine Sachdiskussionen mehr gibt. Warum eigentlich?

Das ist idiotisch: „Es gibt keine Sachdiskussion.“ Sogenannte „Sachlichkeit“ kann ja gar nicht sein, weil auch das sogenannte „Sachargument“ nur eine Investition in die Übertrumpfung des Gegners ist. Es ist dieser wahnwitzige Wettbewerbscharakter, auf den die Neoliberalen so stolz sind, dass sie ihn sogar für ein Zeichen von Freiheit halten: Der Beste setzt sich durch! Keine Red’ davon, aber was wirklich passiert, ist, dass es um nichts als um den Sieg geht. Und in den Medien berichten Leute von Sieg und Niederlage, die grundsätzlich darauf trainiert sind, Pseudoinformationen zu geben. Unter Pseudoinformationen verstehe ich nicht Informationen, die falsch sind, aber es sind solche, die einen protokollarischen, rein positivistischen Charakter haben, die gar nicht miteinbeziehen, was dieses oder jenes Ereignis „bedeutet“. Für die Bedeutung haben sie Experten, seltsamer Weise immer die selben, ob in der Zeit im Bild 2 oder in der „Krone.“

Wie sehen Sie in der gegenwärtigen Wahlauseinandersetzung die Rolle des Boulevard, vornehmlich der Tageszeitung Österreich, die einen beispiellosen Feldzug gegen den Kanzler und seine Gattin fährt?

Bei Fellner werde ich zum Physiognomiker, was man absolut nicht sein darf. Wer dieses Grinsen in einer seiner OE24-Sendungen gesehen hat - da grinst einem ein extra glänzend lackiertes Hutschpferd entgegen und simuliert eine Souveränität über die Phänomene, die es nicht im Geringsten hat. Sehr witzig, wenn Fellner eine seiner Angestellten, die mitdiskutieren darf, als „Politik-Insiderin“ vorstellt.

Jetzt wird die Wahl – wenn man den Meinungsumfragen glaubt – die ÖVP gewinnen. Es könnte also zu einer Neuauflage von Schwarz-Blau, aber auch zu Schwarz-Rot kommen.

Ich bin Partei. Das Konzentrat aller Schreckensbotschaften lautet für mich: Hofer Außenminister und Doskozil Vizekanzler! Mir geht es dabei nicht um sogenannte „Ideologie“, und gar nicht darum, die Freiheitlichen „auszugrenzen“. Es ist nur ein Gebet: „Der Herr behüte uns ...“

Aber die Ausgrenzung der FPÖ wurde ja quasi aufgehoben.

Dass sie sich zu einer akzeptierenden und akzeptierten Partei gewandelt haben, hat auch lustige Seiten, siehe Strache, der so viel Kreide gefressen hat wie kein Wolf in den Märchen jemals Kreide fressen konnte. Er ist jetzt in der Mitte angekommen und zeigt ein Unsicherheitsgefühl, welche Show er nun zum Besten geben soll. Er könnte ja der Andreas Gabalier der Politik sein, ein Volks Rock’n-Roller, oder ein Staatsmann, hervorragend positioniert der Geschichte gegenüber. Ich habe jüngst den Kickl rufen hören in ein Mittagsjournal-Mikrophon: „ Nur für Staatsbürger, nur für österreichische Staatsbürger!“. Interessant, dass der Egoismus des Liberalismus nahtlos übergeht in eine Art von Nationalismus, in eine Art von „es geht in der Politik um die eigenen Leute zuerst“. Das ist „in the long run" zerstörerisch, vor allem für Österreich, dessen Erfolg auch darauf beruht, im Windschatten des deutschen Staates und des deutschen Kapitalismus zu blühen. Sollte es in Europa zu einem Zusammenschluss aller rechtsradikalen oder rechtsextremen Parteien kommen, haben die ja den Widerspruch, dass sie ihren Nationalismus nur gegen die etablierte, mäßig nationale Politik richten können, sonst sind die ja untereinander auch ein ständiges Feindschaftspotential. Jeder für sich zuerst, heißt schnell: alle gegen alle. Meine Farbenlehre lautet: Schwarz-Blau, oder noch ärger Rot-Blau oder Blau-Rot sind politische Versuche, über Entsolidarisierung und Dehumanisierung möglichst viele Menschen in den Abgrund zu begleiten.

Sie zeichnen ein sehr düsteres Bild. Gibt es irgendeine Hoffnung?

Was haben die Leute gehofft? Dass ihnen erspart bleibt, was sie nicht lassen können? Und die Hoffnung besteht eben darin, dass dann, wenn diese Erfahrungen gemacht worden sind, eine Rückbesinnung erfolgt, deren Chancen davon abhängen, wie viel wirtschaftlich durch den nationalen Egoismus und durch die antieuropäischen Tendenzen für immer zerstört wurde.

Zur Person:

Der Schriftsteller Franz Schuh wurde 1947 in Wien geboren. Er arbeitet auch für Radio und Fernsehen und ist als Kolumnist tätig. 2017 erschien mit „Fortuna. Aus dem Magazin des Glücks“ sein aktuellestes Buch. 2011 wurde er mit dem „Kunstpreis für Literatur“ ausgezeichnet.

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