Freiwilligenarbeit: "Für immer soll es uns nicht geben"

Judith Aschenbrunner (vorne) und Zahra aus Afghanistan richten das Wintergewand im „Karussell“ her
Engagierte erzählen von den Veränderungen in der Integrationsarbeit seit 2015 am Land.

Nur noch das Post-Zeichen an der Eingangstür erinnert an den ursprünglichen Gebrauch des Gebäudes. Jetzt befindet sich ein kunterbunter Second-Hand-Shop mitten am Marktplatz von dem 2700-Seelen-Ort Maria Anzbach (Bezirk St. Pölten-Land). Judith Aschenbrenner sitzt zwischen Kartons, sortiert das Sommergewand aus und richtet jenes für den Winter her. Sie hat vor zweieinhalb Jahren damit begonnen, Kleidung für Geflüchtete zu sammeln – zuerst privat und im kleinen Rahmen. "Irgendwann haben wir so viel bekommen, dass ich das nicht mehr lagern konnte. Deswegen haben wir eine Trafik im Nachbarort hergerichtet", sagt Aschenbrenner. Als die ersten Asyl bekamen, mussten Wohnungen eingerichtet werden. Auch dabei half Aschenbrenner mit anderen Freiwilligen.

Wachstum

Das Projekt wuchs immer weiter, 2017 zogen sie nach Maria Anzbach um. Der Schwerpunkt hat sich verschoben: Im "Karussell" können heute gegen kleine Spenden Kleidung, Koch- und Schulutensilien erstanden werden. Die Kunden sind nicht mehr nur Geflüchtete, sondern auch Einheimische. Die Entwicklung des "Karussell" zeigt exemplarisch, dass sich Freiwilligenarbeit am Land verändert hat.

"Gerade in der Anfangszeit war es Nothilfe, mittlerweile ist es wichtige Integrationsarbeit in allen Fragen des Lebens geworden, die die Freiwilligen leisten", sagt Klaus Schwertner von der Caritas. Das bestätigt auch Sissi Hammerl von "Mosaik" in Eichgraben (Bezirk St. Pölten-Land): "Unsere Beschäftigung hat sich komplett verändert. Haben wir am Anfang vor allem Deutsch- und Kochkurse, sowie Kulturvermittlung gemacht, jetzt sind es Dinge des praktischen Lebens, bei denen wir helfen: Vorbereitung auf das Asyl-Interview, Konten eröffnen, Wohnungen und Jobs suchen."

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Plan K Integration Freiwilligenarbeit am Land
Mosaik, in dem sich rund 50 Freiwillige engagieren, steht derzeit vor der Entscheidung, wie es nun weitergehen soll. "Es waren sehr intensive Jahre", sagt Hammerl. Einige Freiwillige litten an Burn Out, daher haben viele Organisationen Supervisionen eingerichtet. "Richtig aufhören will niemand, weil man es viel zu gerne macht. Deswegen war es auch ärgerlich als Sebastian Kurz meinte, dass die Freiwilligen nur ihr schlechtes Gewissen beruhigen möchten", sagt Hammerl. Es sei außerdem schwierig geworden, "das gesetzliche Wirrwarr im Fremdenrecht zu durchschauen", sagt Doris Fischer-See, Obfrau vom Flüchtlingsnetzwerk Perchtoldsdorf (Bezirk Mödling).

Freundschaften

In der Zwischenzeit sind auch Freundschaften zwischen den Freiwilligen und Geflüchteten entstanden. "Es ist eine große Herausforderung, wenn dann plötzlich der zweite negative Bescheid da ist und die Person abgeschoben wird", sagt Elli Schlintl vom Flüchtlingsnetzwerk. "Nicht nur, dass man einen Freund völlig verzweifelt sieht und ihn verliert, stellt man sich auch selbst die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, was man da tut." Sehr viele Abgeschobenen seien zudem meist gut integriert und hätten bereits gute Deutschkenntnisse, sagt auch Veronika Haschka von "Connect Mödling". An den Deutschkursen halten die meisten Freiwilligen fest.

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Das Flüchtlingsnetzwerk, das maßgeblich dazu beitrug, dass Perchtoldsdorf 2015 zur KURIER-Integrationsgemeinde gekürt wurde, bietet etwa seit Neuestem auch Mutter-Kind-Deutschkurse an. "Wir haben festgestellt, dass wir es so schaffen, auch junge Mütter zum Kurs zu bringen", sagt Schlintl.

Das Engagement und die Ideen der Freiwilligenarbeit am Land scheinen ungebrochen zu sein, trotz neuer Aufgaben und Herausforderungen. "Für immer soll es uns aber nicht geben, wir sehen uns lediglich als die ‚Auf-den-Weg-Bringer‘", sagt Schlintl und lacht.

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