Vranitzky und Schüssel: Wie Österreich den Nazi-Schatten hinter sich ließ

Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel
Die beiden früheren Bundeskanzler sprachen in der "ZiB2" über die Nachkriegszeit, die EU und warum man sich um die junge Generation nicht sorgen müsse.

Heute vor 75 Jahren ist der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Zu diesem Anlass waren die früheren Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP) zu Gast in der "ZiB2". 

Vranitzky war 1991 der erste österreichische Regierungschef, der eine Mitschuld Österreichs am Holocaust eingestanden und den "Opfermythos" relativiert hat. Bis dahin hieß es, dass Österreich das "erste Opfer" des Nationalsozialismus gewesen sei.

"Man hat sich einigermaßen wohl gefühlt in dieser Situation", sagt Vranitzky. Es habe damals wichtigere Dinge gegeben, als etwa die Restitution der jüdischen Bevölkerung anzugehen.

"Österreich, dieses alte Naziland"

Ausländische Beobachter und Wissenschaftler hätten diese Opferthese zunehmend kritisiert. Dann kam die Waldheim-Affäre und der Druck sei immer größer geworden, schildert Vranitzky.

Er selbst habe als Kanzler im Ausland zu hören bekommen: "Österreich, dieses alte Naziland". Das habe er nicht auf sich sitzen lassen wollen.

Seine Erklärung 1991 hätten einige dann als "Fleißaufgabe" abgetan, sagt Vranitzky, aber die große Masse war erleichtert, dass das geklärt war. Schüssel führte dann in seiner Amtszeit (2000 bis 2007) die Restitution durch - das sei die "sichtbare und materielle" Form dieses Bekenntnisses gewesen.

Vranitzky und Schüssel: Wie Österreich den Nazi-Schatten hinter sich ließ

Franz Vranitzky

Schüssel sagt, er sei damals "auf relativ wenig Widerstand" gestoßen. "Die Zeit war reif dafür." Jedes Land tue sich aber schwer, seinen Beitrag an den Untaten des Faschismus einzugestehen.

Schüssel zu Jugend: "Da ist mir nicht bang"

Und wie sieht es heute mit diesem Bewusstsein aus? Moderatorin Lou Lorenz-Dittelbacher zitiert aus einer Studie unter 1.200 Schülern, die massive Lücken im Geschichtswissen aufgedeckt hat. 81 Prozent der Befragten hatten eine unvollständige oder falsche Definition von Antisemitismus angegeben. Wie soll man diese Lücken füllen, das Interesse der Jugend wecken?

Es gehe nicht nur um das Wissen, betont Schüssel. Es gehe um die Einstellung. "Und wenn ich mir die heutige Gesellschaft und vor allem die junge Generation anschaue, dann ist mir da nicht bang."

Er glaube nicht, dass jemand mit antisemitischen oder rassistischen Vorurteilen in Österreich durchkommen könne. Mit dem Gedankengut von damals "würde heute niemand mehr Karriere machen". Denn: "Es gibt eine überwältigende Mehrheit in der Gesellschaft, die sich zur Wehr setzen würde." Das sei auch ein Erfolg, den sich Österrreich über die Jahrzehnte erkämpft habe.

Vranitzky: "Dürfen uns nicht zurückziehen"

Schüssel und Vranitzky waren acht Jahre lang gemeinsam in einer Regierung und haben Österreich mit in die Europäische Union geführt.

Vranitzky war in dieser Zeit Kanzler. Das europäische Projekt sei damals auch aus Angst vor einem Dritten Weltkrieg entstanden, erklärt er. In diesem Europa dürfe sich nicht jeder in sein eigenes Land zurückziehen und seine eigenen Wege gehen.

"Zu sagen, wir sind die Besten und die Schönsten, das reicht nicht. Wir müssen unsere Kräfte bündeln und uns auch in den Handelskriegen, die wir derzeit erleben, nicht geschlagen geben", betont Vranitzky.

Vranitzky und Schüssel: Wie Österreich den Nazi-Schatten hinter sich ließ

Wolfgang Schüssel

Ähnlich argumentiert Schüssel, den man in seiner Amtszeit als "glühenden Europäer" bezeichnet hatte, für die EU.

Österreich trat vor 25 Jahren bei - was hat sich verändert? Die Grundsätze, die Prinzipien und Werte seien gleich geblieben, sagt der Ex-ÖVP-Kanzler. Entscheidend sei die Einführung des Euros gewesen, die EU sei heute eine Handelsmacht.

Keine andere Union habe ein so dichtes Netzwerk über den Globus verstreut. "Diese wirtschaftliche Macht sollen wir auch politisch nutzen", betont Schüssel. Es lohne sich, am Projekt EU weiterzuarbeiten.

Vranitzky und Schüssel: Wie Österreich den Nazi-Schatten hinter sich ließ

Kanzler Franz Vranitzky (SPÖ) und Vizekanzler Alois Mock (ÖVP) im Februar 1987

Franz Vranitzky (*1937) war von 1986 bis 1997 Bundeskanzler (SPÖ).

Er setzte zunächst die Koalition mit der FPÖ fort, die Fred Sinowatz begonnen hatte. Nach Neuwahlen im Herbst 1987 bildete er mit der ÖVP, damals geführt von Alois Mock, eine neue Koalition. 1996 wurde Wolfgang Schüssel Vizekanzler, 1997 trat Vranitzky als Kanzler zurück.

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Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) im September 2002

Wolfgang Schüssel (*1945) war von 2000 bis 2007 Bundeskanzler (ÖVP).

2000 bildete er mit der FPÖ eine Koalition, Vizekanzlerin war Susanne Riess-Passer. 2007 trat Schüssel als Kanzler zurück, Wilhelm Molterer übernahm und bildete später eine Koalition mit der SPÖ von Alfred Gusenbauer.

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