Nationalrat: Kogler attackiert FPÖ, Rendi-Wagner plädiert für Neuwahlen
Drei Tage nach der Angelobung präsentiert sich die neu aufgestellte Regierung heute in einer Sondersitzung dem Nationalrat. Neo-Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) erklären, wie sie die kommenden Regierungsmonate gestalten wollen. Zudem wird der U-Ausschuss zu vermeintlichen ÖVP-Korruptionsaffären eingesetzt.
Das ungewöhnliche an der Regierungserklärung ist, dass die letzte vor nicht einmal einem Monat stattgefunden hatte. Da präsentierte sich noch Alexander Schallenberg als Kanzler den Abgeordneten. Nunmehr nimmt er wieder als Außenminister auf der Regierungsbank Platz.
Zu sehen bekommen die Abgeordneten auch den neuen Innenminister Gerhard Karner, Bildungsminister Martin Polaschek, Finanzminister Magnus Brunner und die neue Jugend-Staatssekretärin Claudia Plakolm. Nicht mehr vor Ort: Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der sich bekanntlich aus der Politik zurückgezogen hat und einen neuen Job in Aussicht haben soll - möglicherweise in den USA. Am Donnerstag legte er offiziell sein Mandat zurück.
Als alten, neuen Klubobmann hat der ÖVP-Klub August Wöginger am Donnerstag einstimmig bestätigt. Die VP-Nationalratsmandate von Plakolm und Kurz übernehmen Andrea Holzner und Irene Neumann-Hartberger. Sie wurden direkt zu Beginn der Sitzung als Abgeordnete angelobt.
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Nehammer: Dank an Ehemalige und Neue
"Es ist mir eine große Ehre, heute eine Regierungserklärung abgeben zu dürfen", sagte Nehammer. Er bedankte sich ausdrücklich bei Sebastian Kurz, "für alles, was er erreicht und für die Menschen getan" habe, sowie bei Schallenberg, der "in einer schwierigen Zeit" der Republik als Kanzler gedient und den gemeinsamen Weg, das Virus zurückzudrängen, "erfolgreich fortgesetzt" habe.
Dann begrüßte Nehammer die neuen Kolleginnen und Kollegen. Neo-Finanzminister Brunner, betonte Nehammer, verfüge über viel Erfahrung dabei, Finanzen zu verwalten und zu gestalten. Bildungsminister Polaschek werde seine Erfahrungen als Grazer Uni-Direktor einbringen. Innenminister Karner, so Nehammer, kenne er schon lange, und zwar als "politischen Vollprofi und Verfassungspatrioten". Staatssekretärin Plakolm - mit 26 Jahren jüngstes Glied im neuen Team - sei trotz ihrer jungen Jahre ebenfalls bereits ein Politprofi, sagte Nehammer.
Nehammer charakterisierte sich als Politiker auch kurz selbst: Er habe im Nationalrat immer "hart in der Sache argumentiert", aber Wertschätzung und Respekt seien ihm ebenso wichtig. So möchte er es auch weiterhin halten.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
"Suchen Sie Gespräch mit einem Arzt"
Für Irritationen sorgt Nehammers erste politische Handlung: Dass der Bund den Lockdown beendet hat und die Bundesländer nun unterschiedlich verschärfen. Dass Kommentatoren deshalb "abschätzig" von einem "Fleckerlteppich" an Maßnahmen sprechen würden, möchte Nehammer so nicht stehen lassen: "Wir haben ein maßgeschneidertes Sicherheitsnetz angeboten, das für die gesamte Bundesrepublik gilt und aus starken Seilen besteht."
Eine Botschaft an Impfskeptiker hatte Nehammer auch, damit "wir alle wieder in Freiheit" leben können: "Suchen Sie das Gespräch mit einem Arzt, der sie kennt und begleitet, der schon immer wichtig war in Ihrem Leben. Konfrontieren Sie den Arzt mit ihren Fragen und Ängsten, er ist dafür ausgebildet."
Koglers Attacke auf die FPÖ
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) wünschte sich anfangs "Respekt und Anerkennung" für die Arbeit der zurückgetretenen Minister.
Dann wurde er deutlich, und zwar in Richtung FPÖ: "Bei allem Verständnis für das Gemeinsame, dürfen wir die Augen nicht vor dem verschließen, was auch vor uns steht. Es ist eben nicht egal, ob berechtigte Sorgen und Ängste der Menschen missbraucht werden. Diesen Missbrauch sollten wir missachten und auch dementsprechend dagegen auflehnen." Da gehe es "nicht nur um harmlose Falschmeldungen", so Kogler, es gehe um die Spaltung der Gesellschaft, "als Agitationsprinzip und als Aktionsprinzip" gewisser Politiker. Vielleicht fühle sich ja jemand angesprochen, sagte der Vizekanzler.
"Ich habe nicht nur kein Verständnis dafür, sondern wir müssen mit dieser Klarheit auch Stellung beziehen, was dort vorgeht, wenn Staatsverweigerer, Neofaschisten und Neonazis durch unsere Städte spazieren", sagte Kogler und erntete wütende Reaktionen von blauen Abgeordneten. "Es ist doch so, es ist doch so!", polterte Kogler zurück. "Die freiheitliche Fraktion fühlt sich offensichtlich angesprochen."
Kickl attestierte Kogler daraufhin "moralische Verwahrlosung". Mit solchen Ansagen "treiben Sie die Leute auf die Straße, da muss ich gar nix mehr machen", sagte Kickl und sprach von einem "schwarz-grünen Volkssturm". Kickl erhielt für seine Rede vier Ordnungsrufe.
Rendi-Wagner plädiert erneut für Neuwahlen
SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte, dass die Regierung gestritten und die ÖVP munter ihre Köpfe ausgetauscht habe, anstatt die Pandemie zu bekämpfen. "So viel gegenseitiges Danke habe ich in zwei Reden schon lange nicht mehr gehört. Wofür eigentlich?", fragte Rendi-Wagner nach den Reden Nehammers und Koglers. "Für den vierten Lockdown, den Sie verschuldet haben?"
Rendi-Wagner attestierte der Regierung zu viele Fehler, zu viele leere Bekenntnisse und Versprechen. "Es hat der Mut gefehlt in den letzten Monaten, auch unpopuläre Maßnahmen zu setzen. Vielleicht hat Ihnen nicht nur der Mut gefehlt, vielleicht auch der Glauben an sich selbst", urteilte Rendi-Wagner und kritisierte, dass die nun unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern sehr wohl ein "Fleckerlteppich" seien. Allerdings: Die SPÖ-regierten Bundesländer Wien, Burgenland und Kärnten konnten sich ebenso auf kein einheitliches Vorgehen einigen und gehen drei unterschiedliche Wege.
Rendi-Wagner wiederholte ihr Plädoyer für Neuwahlen im Frühjahr. Die türkis-grüne Bundesregierung sei nicht in der Lage, die künftigen, großen Aufgaben zu meistern. "Sie sollten nach dem Ende dieser vierten Welle auch die Aufrichtigkeit haben, den Weg freizumachen", forderte die rote Parteichefin.
Kickl zitiert Mediziner Sprenger
Die Bundesregierung sei nunmehr ein "politisches Laufhaus", polterte FPÖ-Chef Kickl. Das Austauschen von Köpfen ändere nichts an dem Grundproblem von Türkis-Grün: "Man kann Ihnen kein Wort mehr glauben." Kickl fuhr mit einem "Studienprojekt" fort und zitierte ein Schriftstück des Mediziners Martin Sprenger. Sukkus: Die Regierung habe "faktenbefreit eskaliert" und somit das Vertrauen der Bevölkerung verspielt.
Bevor Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger diesen Vertrauensverlust ebenso ansprach, übte Sie Kritik an Kickl, dessen Worte man erst gar nicht ernst nehmen sollte: "Mir ist es nicht egal, welches Bild wir als Hohes Haus der Bevölkerung darstellen."
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