Vorbild Merkel? Was die Deutschen besser machen

Merkel setzt ihre Macht in Partei und Regierung diskret ein, ÖVP-Chef Spindelegger prescht oft voran.
Eine Analyse der Regierungsverhandlungen ergibt: In Deutschland begegnen sich die politischen Partner mit mehr Respekt.

Deutsche Politik ist in viel höherem Maße konsensfähig. Nicht Schau- und Hahnenkämpfe stehen im Vordergrund, sondern deutsche Interessen.“ Diese Grundhaltung sei für Tempo und Inhalt der Koalitionsverhandlungen in Berlin bestimmend gewesen, sagt Joachim Riedl, Leiter der Österreich-Seiten der deutschen Wochenzeitung Die Zeit.

Machtpolitisch war die Ausgangslage für Regierungsverhandlungen in Wien und Berlin eine völlig andere: Die große Koalition in Berlin (vorausgesetzt, die SPD-­Basis stimmt zu) stützt sich auf rund 80 Prozent des Wählerpotenzials, in Österreich kämpfen SPÖ und ÖVP ums Überleben. „Den beiden Parteien geht es nicht um die Zukunft, nicht um politische Inhalte, sondern nur um Klientelpolitik und Aufrechterhaltung der Macht“, analysiert Riedl.

Unterschiedliche Führung

Der Österreich-Korrespondent des Handelsblattes, Hans-Peter Siebenhaar, sieht in den unterschiedlichen Führungsqualitäten von Angela Merkel und Sigmar Gabriel sowie Werner Faymann und Michael Spindelegger das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der Koalitionsgespräche. „SPÖ und ÖVP sind programmatisch schwach, auch ihre jeweiligen Führungspersönlichkeiten sind schwach. Mit der FPÖ sitzt ihnen zudem eine starke populistische Partei im Nacken.“

Merkel und Gabriel seien als „führungsstarke Persönlichkeiten in die Koalitionsgespräche gegangen und haben kluge Team-Politik betrieben“. Sowohl CDU/CSU als auch SPD konnten gesichtswahrend vom Tisch gehen. Beide Seiten zeigten Kompromissbereitschaft, gleichzeitig konnten CDU/CSU und die SPD ihre Wahlversprechen in vielen Bereichen durchsetzen: Keine Steuererhöhungen lautete das Ziel der CDU/CSU; für die SPD war es der Mindestlohn.

Kein Vergleich

Cathrin Kahlweit, Korrespondentin für die Süddeutsche Zeitung, will die Koalitionsverhandlungen in Berlin und Wien nicht vergleichen. Warum? „In Deutschland gab es bislang überhaupt nur zwei Mal eine Große Koalition, in Österreich ist es de facto ein ewiges Modell. In Deutschland ging die SPD lädiert in die Verhandlungen, Frau Merkel gibt den Ton an, während in Österreich beide Parteien bei der Wahl verloren haben und beschädigt sind“, betont Kahlweit.

Eines sei außerdem noch wichtig: „Die deutschen Bundesregierungen haben in den vergangenen zehn Jahre den Reformstau sichtlich abgebaut. Maut und Mindestlohn sind jetzt ausgehandelt worden und werden als große Errungenschaften verkauft, während echte Strukturprobleme, wie die Renten, schon vor Jahren geklärt wurden.“

Dem „neutralen“ Beobachter des schweizer Tagesanzeiger, Bernhard Odehnal, fällt zu einem Vergleich zwischen Österreich und Deutschland nur eines ein: „Die Gespräche in Deutschland waren von gegenseitigem Respekt getragen. In Deutschland machten sich Partner gegenseitig nicht fertig. Es galt das Prinzip ,Leben und leben lassen‘. In Österreich ist das nicht der Fall“, befindet der Korrespondent.

Für Politikwissenschaftler Anton Pelinka waren die deutschen Regierungsverhandlungen von „hoher Transparenz“ geprägt. Dieser Stil und diese Verhandlungskultur waren eine „heilsame Methode“, die Verhandlungen unter drei Parteien (CDU/CSU und SPD) zügig zu führen. Für Angela Merkel war es offensichtlich auch erleichternd, mit Sigmar Gabriel, dem ehemaligen Oppositionschef, an einem Tisch zu sitzen und nicht mit dem ehemaligen Regierungspartner FDP.

„In Österreich wirken Werner Faymann und Michael Spindelegger durch die langjährige Koalition wie mieselsüchtige Ehepartner, die aufeinander angewiesen sind“, stellt der Professor an der Central European University in Budapest wie ein Therapeut politischer Paare fest. „Dieser Zwang fördert auch keine Harmonie mehr.“

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