Die Wiederauferstehung Österreichs

Die Wiederauferstehung Österreichs
Hitler war immer noch an der Macht, der Zweite Weltkrieg wütete nach wie vor, die Österreicher hungerten und trauerten um gefallene und ermordete Angehörige. Da gründeten einige Männer unter Einsatz ihres Lebens die ersten demokratischen Einrichtungen des Landes: SPÖ, ÖVP und Gewerkschaftsbund.

Das Land liegt in Schutt und Asche, die Bevölkerung hungert in diesen April-Tagen des Jahres 1945, Hitler ruft trotz auswegloser Situation von seinem "Führerbunker" aus zur "unbedingten Fortsetzung des Krieges und der Judenvernichtung" auf – Befehle, die in den letzten Stunden des Dritten Reichs immer noch Tausende Menschenleben vernichten. Und doch. Inmitten des Mordens, der Zerstörung österreichischer Städte und chaotischer Zustände entsteht eine neue Republik. Eine Republik, die von Parteien getragen wird, die sich der Demokratie verpflichtet fühlen. Und damit zu einer Staatsform, die es in Österreich seit elf Jahren nicht mehr gegeben hat.

Die Gründung der Großparteien

Als erste Partei wird am 14. April 1945 die Sozialistische Partei Österreichs gegründet – zu einem Zeitpunkt, als weite Teile des Landes immer noch von den Nazis kontrolliert werden. Nur einen Tag nach dem Ende der blutigen "Schlacht um Wien" wählt die SPÖ im Roten Salon des schwer beschädigten Wiener Rathauses den späteren Vizekanzler und Bundespräsidenten Adolf Schärf zu ihrem ersten Vorsitzenden.

Am 17. April 1945 treffen Politiker wie Leopold Figl, Julius Raab und Felix Hurdes im Wiener Schottenstift zusammen, um den 74-jährigen christlichen Arbeiterführer Leopold Kunschak zu ihrem Parteichef zu wählen. Auch wenn das Schottenstift als Versammlungsort vermuten lässt, dass die Österreichische Volkspartei ebenso klerikal sein würde wie es die Christlichsozialen in der Ersten Republik waren, versuchen die Gründungsväter der Nachfolgepartei diesen Eindruck zu vermeiden: Das Schottenstift wurde wohl deshalb als Treffpunkt gewählt, weil die meisten anderen für eine Versammlung geeigneten Gebäude zerstört waren.

Noch schneller als SPÖ und ÖVP sind jene 17 Gewerkschafter, die bereits am 13. April 1945 in der Privatwohnung des späteren Bau- und Holzarbeiter-Funktionärs Josef Battisti zusammenkommen, wo sie die Gründung als erste demokratische Institution im wiederauferstehenden Österreich beschließen. Am selben Tag erfolgt die Befreiung Wiens durch die Rote Armee. Die Vorbereitungen zu den ersten Treffen von SPÖ, ÖVP und den Gewerkschaftern erfolgten unter Einsatz des eigenen Lebens der Funktionäre, da die Nazis in diesen Tagen ihre Gegner immer noch eiskalt hinrichteten.

"Schwarze" und "rote" Politiker nehmen sich vor, die Fehler der Ersten Republik, in der sie aufeinander geschossen haben, zu vermeiden. Die Versöhnung hatte bereits im März 1938 begonnen, als sich Christlichsoziale und Sozialdemokraten in den Konzentrationslagern trafen und die Nationalsozialisten als ihren wahren Feind erkannten.

Die beiden späteren Großparteien treten mit dem festen Vorsatz, Österreich gemeinsam wieder aufzubauen, eine fast nicht zu bewältigende Aufgabe an. Städte wie Graz, Steyr, Wels und Wiener Neustadt sind weitgehend zerstört, Wien hat einige seiner bedeutendsten Baudenkmäler verloren:

Am 12. März 1945 liegt die Staatsoper durch amerikanische Bombardements in Schutt und Asche, am 12. April brennt das Burgtheater.

Zwischen 8. und 11. April wird der Stephansdom ein Raub der Flammen, nachdem zivile Plünderer in benachbarten Geschäften Feuer legten, die auf den "Steffl" übersprangen.Am 23. April erscheint die erste Nummer der von ÖVP, SPÖ und KPÖ herausgegebenen Tageszeitung Neues Österreich.

Am 24. April wird das "Apollo"-Filmtheater nach der allgemein kriegsbedingten Theatersperre als erstes Wiener Kino wiedereröffnet.Am 27. April wird – obwohl der Krieg noch nicht beendet ist – die Wiederherstellung der Republik Österreich proklamiert und eine Provisorische Regierung unter dem 74-jährigen Staatskanzler Karl Renner gebildet. Sie besteht aus zehn Sozialisten, neun ÖVP-Mitgliedern, sieben Kommunisten und drei Parteilosen. Es gehört zu den ersten Amtshandlungen Karl Renners, an die vier Besatzungsmächte zu appellieren, für die hungernde Bevölkerung Lebensmittellieferungen zu organisieren.

Ebenfalls am 27. Aprildirigiert Clemens Krauss im Wiener Konzerthaus ein Festkonzert der Wiener Philharmoniker. Die Stromversorgung ist so mangelhaft, dass während der Vorstellung das Licht ausfällt. Das Orchester spielt im Finstern weiter, und die Wiener scheinen trotz allem ihren Humor nicht verloren haben. Ein Mann jedenfalls fragt in der Pause seinen Sitznachbarn: "Glaubst hat der Krauss im Finstern weiterdirigiert?"

Am 29. Aprilnimmt die RAVAG als erste Radiostation ihren Sendebetrieb auf.

Am 30. Aprilbegeht Hitler in Berlin Selbstmord, am 7./8. Mai kapituliert das Deutsche Reich, jetzt erst ist der Krieg offiziell beendet.

Am 27. August erscheint die erste, damals von den Amerikanern herausgegebene Ausgabe des Wiener KURIER.

Im Nationalrat wird die Inkraftsetzung der Verfassung von 1920 beschlossen und ein NS-Verbotsgesetz geschaffen. In anderen Fällen wendet Karl Renner Tricks an, um Gesetze durchzubringen. "Manchmal", überlieferte ÖVP-Staatssekretär Karl Gruber, "trug Renner im Ministerrat wichtige Vorhaben mit so leiser Stimme vor, dass sie von weiter entfernt sitzenden Regierungsmitgliedern kaum verstanden wurden. Als er seine Vorstellungen verlesen hatte, stellte der Staatskanzler fest: ,Kein Widerspruch – angenommen!‘"

Die ÖVP dominiert die Politik

Die Wiederauferstehung Österreichs
Bei den Wahlen im Herbst 1945 gewinnt die ÖVP die absolute Mehrheit, Renner wird Bundespräsident, Leopold Figl löst ihn als Kanzler ab. Von nun an dominiert die ÖVP die österreichische Politik und stellt als stärkere Partei vier Regierungschefs, ehe Bruno Kreisky 1970 das Ruder herumreißt und die SPÖ zur stärksten Fraktion macht, die sie (mit einer Unterbrechung) bis heute geblieben ist.

Im Jahr 1946 sind immer noch 64 Prozent der männlichen Jugend Wiens und nicht viel weniger ältere Menschen stark unterernährt, nur wer einen Fleischhauer kennt oder seine Lebensmittel direkt vom Bauern beziehen kann, ist besser dran. Darunter sind die wohlbeleibten Mitglieder des Wiener Stadtsenats Franz Novy, Gottfried Albrecht und Josef Afritsch. Ein Umstand, der Bürgermeister Theodor Körner zu der Bemerkung veranlasst: "Und mit diesen ausg’fressenen Stadträten muss ich das hungernde Wien repräsentieren."

Bemerkenswert ist, dass die Achse zwischen "Rot" und "Schwarz" in den Nachkriegstagen mitunter besser funktioniert als die Verständigung innerhalb der eigenen Parteien. Karl Renner etwa konnte mit Leopold Figl besser als mit seinem Parteifreund Adolf Schärf. Und Raab war ein enger Freund des Gewerkschafters Johann Böhm, mit dem er die Sozialpartnerschaft schuf. Als Böhm einmal mit seinen Forderungen für die Arbeitnehmer zu weit zu gehen schien, erwiderte Raab in Anspielung an die Zustände in der Zwischenkriegszeit: "Mei liaber Freund, weil’s damals allen gleich schlecht gangen is, kann’s ja jetzt net allen gleich guat gehen."

Herrenlose Betriebe

Johann Böhm, gelernter Maurer und nach dem Krieg erster Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, verstand es, den Arbeitern trotz der verheerenden Situation, in der sich die Betriebe befanden, Zuversicht zu vermitteln. Viele Unternehmen waren "herrenlos", da die nationalsozialistischen oder "reichsdeutschen" Firmenchefs aus Angst vor Repressalien die Flucht ergriffen hatten. Um das Funktionieren der Betriebe zu gewährleisten, wurden vorübergehend 6000 öffentliche Verwalter eingesetzt, Betriebsräte gewählt und schrittweise ein neues Sozial- und Arbeitsrecht geschaffen. Dabei ging es Böhm darum, nicht nur für gerechte Löhne, sondern auch für stabile Preise zu kämpfen und dennoch die wirtschaftliche Realität im Auge zu behalten.

Große Koalition und Sozialpartnerschaft erwiesen sich für den Wiederaufbau Österreichs als Glücksfall. Sie brachten große sozialpolitische Fortschritte und eine nie da gewesene Verbesserung der Lebensbedingungen. Allerdings blühten von Anfang an Proporz und Packelei, zumal "Schwarz" und "Rot" bemüht waren, ihren Funktionären größere und kleinere Posten zuzuschanzen. Was zu diesem Kuriosum geführt haben soll: Als in den ehemals kaiserlichen WC-Anlagen von Schönbrunn eine "schwarze" Klofrau beschäftigt wurde, musste auch eine mit "rotem" Parteibuch angeheuert werden.

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