Inside Parlament: Von Smokings, Handys und Wutausbrüchen
Am Mittwoch konstituiert sich der neue Nationalrat. Der KURIER hat mit Experte Werner Zögernitz darüber gesprochen, was Tabus sind - und was lebendiger Parlamentarismus.
Er gilt als wandelndes Lexikon – niemand kennt das Parlament besser als er: Werner Zögernitz. Für den KURIER kramt der langjährige ÖVP-Klubdirektor und Präsident des Instituts für Parlamentarismus in seinen Erinnerungen.
Bei der heutigen konstituierenden Sitzung können die 183 Abgeordneten nicht viel falsch machen. „Man braucht nur aufstehen und sagen: Ich gelobe“, so Zögernitz über das Prozedere bei der Angelobung. Ein Fauxpas fällt ihm ein:
In den 1970er-Jahren sei ein Freiheitlicher im Smoking erschienen. „Der hat das als Festveranstaltung gesehen“, sagt Zögernitz lachend – mit ernstem Nachsatz: „Abgeordneter ist man nicht zum Selbstzweck, sondern im Auftrag seiner Wähler.“
Auch der Umgang mit der Technik im Hohen Haus will gelernt sein: 1980 dürfte dem damaligen Nationalratspräsidenten Anton Benya (SPÖ) nicht klar gewesen sein, dass sein Mikrofon noch eingeschaltet war. „Haltet’s amal die Goschn, ihr Trotteln da unten“, sagte er, weil sich ein Tumult unter den Abgeordneten gebildet hatte. Ein Sager, der im ganzen Parlament und in die Klubbüros übertragen wurde.
Legendär ist auch der Auszucker von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in der Sitzung vor der Sommerpause: Mit hochrotem Kopf brüllte er Jörg Leichtfried (SPÖ) während dessen Rede an. Von seinem Platz als ÖVP-Abgeordneter aus, betont Zögernitz – nicht als Präsident. „Gut ist es nicht, wenn einem die Nerven durchgehen, aber er ist halt auch nur ein Mensch.“
Apropos schlechte Umgangsformen: Darf ein Abgeordneter während der Sitzung am Handy herumspielen? „Früher haben sie halt Zeitungen gelesen“, zeigt sich das Parlaments-Urgestein gelassen. Außerdem: „Die Abgeordneten sollen sich ja informieren, was draußen los ist.“
Dabei sind Plenarsitzungen oft ja recht unterhaltsam: Man erinnere sich an fantasievolle Reden von Neos-Gründer Matthias Strolz oder an Ausrufe wie: „Wer schafft die Arbeit?“ von der damaligen FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein („Die Wirtschaft schafft die Arbeit!“), die im Netz für tausende Klicks gesorgt haben. „Ich habe schon bessere Gags erlebt“, sagt Zögernitz trocken. Prinzipiell sei es ja in Ordnung, wenn Abgeordnete das Plenum nutzen, um die Standpunkte ihrer Partei an die Öffentlichkeit zu bringen. „Lächerlich machen sollte man sich aber nicht.“
„Gags“, die den „lebendigen Parlamentarismus“ ausmachen, seien etwa von Langzeit-Parlamentarier Josef Cap, SPÖ, gekommen. „Schlagfertig, aber seriös und intelligent“, sind die Kriterien für Zögernitz.
Auch Peter Pilz hat der ÖVP-Mann „sehr geschätzt“. Wie das? „Er war gescheit. Er ist immer bis an die Grenzen gegangen, hat die Schwächen seines Gegenübers ausgetestet und genützt.“ Politisch bleibe wenig, sagt Zögernitz, „außer viel verbrannter Erde“.
Ein trauriges Dasein dürfte Philippa Strache im Nationalrat fristen. Ohne Klub dürfen „Wilde“ nur abstimmen und Reden halten – in Ausschüssen sind sie „teure Zuhörer“, sagt Zögernitz.
Ein „Demokratie-Schock“ war für Zögernitz die Ibiza-Affäre. Auch die Nachwehen – das Misstrauensvotum gegen die gesamte Regierung, der Einsatz der Übergangsregierung, das freie Spiel der Kräfte im Nationalrat – sieht er kritisch. Nach diesen turbulenten Zeiten „muss viel geschehen, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen“.
Zur Person:
Werner Zögernitz, geboren 1943 in Wien, ist Jurist. Nach seiner Pensionierung wurde er Präsident des Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen. Zögernitz ist Co-Autor der beiden Standardwerke des österreichischen Parlamentarismus, den Kommentaren zur Geschäftsordnung des Nationalrates und des Bundesrates.
Seine Laufbahn begann 1970 als Klubsekretär bei der ÖVP, 1989 wurde er Klubdirektor und hatte dieses Amt bis 2009 inne. Zögernitz ist zudem seit vielen Jahren Mitglied der Bundeswahlbehörde und befasst sich mit Rechts- und Verfassungsfragen bei Wahlen. Die ÖVP berät er in Geschäftsordnungs- und Verfassungsfragen.
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