Vom falschen Kampf gegen richtige "Fake News"
Würde es stimmen, wäre es ein Skandal. "Umgangsrecht: Merkel-Regime will Kritik an Asylpolitik mit Kindesentzug bestrafen", lautet der Titel eines Artikels, der von der Seite Anonymousnews.ru in den Äther geblasen wurde. Ein ausgemachter Blödsinn, "Fake News", wie das heutzutage heißt. Schnell widerlegt, und trotzdem 65.646 Mal (laut Eigenangaben) aufgerufen. Wie viele der Leser das letztlich tatsächlich glaubten, sei dahingestellt, regelmäßige Besucher der rechtsradikalen Seite dürfte die drakonische Strafe des "Merkel-Regimes" aber nicht weiter verwundert haben.
Täglich wird dort ein neuer Skandal rund um die Flüchtlingskrise aufgekocht, der eigentlich nur deshalb entrüsten sollte, weil er so dreist erlogen ist.
Seit den US-Präsidentenwahlen wird über den Umgang mit vermeintlichen Nachrichten wie diesen heftig diskutiert, würden sie doch den Boden für eine Politik der Angstmache bereiten, sagen Kritiker. Eine ganze Reihe kleinerer Aufklärungs-Initiativen wie mimikama.at, die solche Falschmeldungen aufdecken, gibt es bereits, die großen Player Google und Facebook hielten sich lange zurück. Jetzt kommt jedoch Bewegung in die Sache.
In den vergangenen Tagen kündigte Google an, seinen Algorithmus neu eichen zu wollen, um unseriöse Quellen auf die hinteren Ränge zu verbannen (mehr dazu lesen Sie hier); Facebook stellt eine eigene Managerin ein, die gegen die virale Verbreitung von Falschmeldungen vorgehen soll (mehr dazu hier); und in Österreich soll es ab dem Sommer die seit langem angekündigte Meldestelle für Hasspostings geben (mehr dazu lesen Sie hier). Denn natürlich bleiben Artikel wie jener von Anonymousnews.ru nicht ohne Folgen in den Kommentarsektionen auf Facebook. Die deutsche Seite, dessen Inhaber "Deutscher Widerstand" laut Impressum in Prag sitzt, landet auch in Österreich regelmäßig in den vorderen Reihen der Social-Media-Charts.
Der Kampf gegen "Fake News" wird also endlich aufgenommen? Gut so. Ganz so einfach ist die Sache nicht, wie ein zweites Beispiel zeigt.
Nachrichten mit Twist
"Schweden: McDonald's verkauft Produkte nun auch auf Arabisch", heißt eine der aktuellen Geschichte auf unzensuriert.at. Tatsächlich handelt es sich bei dem Beispiel mit der schwedischen McDonald's Filiale um eine echte Werbekampagne. Unzensuriert.at nimmt den Vorfall aber gleich zum Anlass, um Arabisch zur (vermeintlich) neuen "Hauptsprache in Schweden" auszurufen. Schließlich gebe es ja schon Arbeitsmarktkurse und ein eigenes Radioprogramm in der Sprache der "neuen Zuwanderer".
"Im deutschsprachigen Raum sind komplett erfundene Artikel eine Seltenheit", sagt Buchautorin („Hass im Netz“) Ingrid Brodnig. "Das größere Problem ist die Irreführung und das Arbeiten mit unterschiedlichen Methoden der Täuschung." Also: Irreführende, zugespitzte Überschriften, die sich oft schon im Text desselben Artikels als falsch herausstellen, tendenziöses Vokabular, falsche Verknüpfungen, Rückschlüsse oder das Herauspicken kleiner Details wie es das oben genannte Beispiel zeigt. Denn von einer "neuen Hauptsprache", wie in dem Bericht behauptet, kann freilich keine Rede sein.
Mit den Initiativen von Google und Facebook ist solchen tendenziösen Berichten, die wie normale Nachrichtenmeldungen daherkommen, kaum beizukommen, sagt Ingrid Brodnig.
Begriffsverwirrung
Es ist eben auch eine schwierige Diskussion. Es geht ums Ganze, wie auch das Motto der heute gestarteten Journalismustage in Wien zeigt: "Der Wert der Wahrheit" lautet der Titel der Veranstaltung. Also: Was ist falsch, was lauter? Ab wann ist etwas "fake"? Und ist alles faktisch Falsche automatisch auch "Fake News"? Kleine Fehler, falsche Berichte - früher nannte man sie Zeitungsenten - passieren schließlich auch in der täglichen Nachrichtenproduktion abseits von politischen gefärbten Motiven.
Was "fake", und was "wahr" ist, definiert aktuell jedoch jeder nach seiner Fasson. Während der Begriff "Fake News" in der medialen Meta-Debatte - wohl auch aus schlichter Ermangelung besserer Alternative - unbeirrt weiterverwendet wird, um das generelle Phänomen der Irreführung im Netz zu beschreiben, betitelt US-Präsident Donald Trump gleich die gesamte Bandbreite der "Mainstream-Medien" so. Sogar unliebsame Artikel über eine Privatstiftung in Niederösterreich sollen unter "Fake News" fallen. Jedenfalls wenn es nach Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) geht.
Wie verworren die Debatte inzwischen ist, zeigte sich zuletzt am Beispiel von Dietrich Mateschitz' neu ins Leben gerufenem Projekt "Quo Vadis Veritas". Vom verantwortlichen Journalisten Michael Fleischhacker hieß, es handle sich lediglich um eine Rechercheplattform zur "Wiederherstellung einer Faktenbasis für eine gesellschaftliche Debatte". Ausländische Medien deuteten den im Namen mitgelieferten Wahrheitsanspruch hingegen als Auftakt für ein rechtsgerichtetes Meinungsportal der Marke Breitbart News. Dass das Medienprojekt als rechtes Meinungsportal interpretiert worden war, lag zum Teil auch an Mateschitz selbst, sprach er in einem Interview mit der Kleinen Zeitung, das er auch dazu nutzte sein Projekt vorzustellen, von einer "Meinungsdiktatur" und "dass sich niemand mehr die Wahrheit zu sagen traut, auch wenn jeder weiß, dass es die Wahrheit ist". Eine Argumentation, die man so oder so ähnlich auch von Pegida-Veranstaltungen kennt.
Eine alte Debatte
Es ist diese Begriffsverwirrung, die verschleiert, dass sich auch die Diskussion um "Fake News" letztlich um genau jene Debatte dreht, die man schon von den "Lügenpresse"-Rufern aus Dresden kennt. Es geht um die Deutungshoheit im Netz, die von so genannten alternativen Medien aus unterschiedlichen Richtungen mit unterschiedlichen Motiven - dafür durchwegs fragwürdigen Mitteln angegriffen wird - stets mit dem Ziel, das eigene Weltbild zu bestätigen, die Filterblase in den sozialen Medien zu füttern.
Seiten wie Anonymousnews.ru sind Teil einer wachsenden Front rechtsradikaler bis rechtsgerichteter Seiten, die schon seit Jahren gegen den vermeintlichen "Mainstream" mobil machen, sich untereinander fleißig verlinken – und damit vor allem in den Sozialen Medien Erfolge feiern.
Flankiert werden sie von verschwörungstheoretisch angehauchten Seiten wie Compact-Online, denen politische Verbindungen zur AfD nachgesagt werden, oder russophilen Seiten wie Sputniknews.com (gesponsert vom Kreml).
In diese Reihe ist auch die Medienphalanx, die die FPÖ inzwischen aufzubieten hat – von FPÖ-TV auf Youtube über Straches Facebook-Seite bis hin zu unzensuriert.at zu stellen. Um neutrale Berichterstattung geht es nämlich, natürlich, auch hier nicht. Wobei es legitim ist, dass Parteien ihre eigenen Kanäle haben, findet Ingrid Brodnig. "Problematisch wird es dann, wenn das Ganze intransparent ist – und etwa eine Webseite nicht darüber aufklärt, wer der Geldgeber ist, wer also dahinter steht."
Genau das ist bei unzensuriert.at aber der Fall. Im Impressum wird lediglich die "1848 Medienvielfalt Verlags GmbH" als Inhaber angegeben. Die personellen wie finanziellen Verbindungen sind augenscheinlich. Geschäftsführer Walter Asperl war Büroleiter von Martin Graf (FPÖ), aus dessen Privat-Blog die Webseite 2009 erwuchs. Die Fraktion zum EU-Parlament "Europa der Nationen und der Freiheit" inseriert fleißig auf der Seite, Harald Vilimsky ist regelmäßiger Gastautor. Dass Parteichef Heinz-Christian Strache (FPÖ), mit seinen mehr als 590.000 Followern eine echte Macht auf Facebook, regelmäßig die Artikel seiner alten Parteifreunde teilt, gehört ohnehin längst zum Usus.
Um es vorsichtig zu formulieren: Nach einem unabhängigen Medium klingt das nicht. Korrekturen von Falschmeldungen wie jener Bericht auf unzensuriert.at, nachdem Asylwerber im AKH bevorzugt behandelt würden, sucht man ohnehin vergebens. So lange keine Namen genannt und Bevölkerungsgruppen "nur" pauschal verunglimpft werden, ist solchen Berichten auch rechtlich nicht beizukommen.
Und so kann sich auch in Zukunft jeder weiter selbst zurechtbiegen, was nun "Fake" ist und was nicht. Die Diskussion bringt das kaum weiter.
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