Analyse: Volksparteien? Und tschüss!

Analyse: Volksparteien? Und tschüss!
Helmut Brandstätters Blick: Die großen Volksparteien zerfallen oder werden zu „Bewegungen“. Ein Rückblick in andere, bessere (?) Zeiten

In Deutschland liegt die Union aus CDU und CSU bei Umfragen nur mehr bei 26 Prozent auf Platz zwei, die Grünen führen mit 27 Prozent. Ach ja, und die Sozialdemokraten? Gerade noch 13 Prozent. Da könnte sich die SPÖ, die bei der Sonntagsfrage bei 21 Prozent liegt, durchaus als Siegerin fühlen. Wenn, ja wenn sie nicht eine von innen ständig neu angeheizte Personaldebatte hätte, die zu Beginn eines Wahlkampfs an Geist und Gefühl aller SPÖ-Granden zweifeln lässt.

Die Volksparteien zerbröseln also, aber warum ist dann die ÖVP mit rund 38 Prozent relativ gut aufgestellt? Weil Sebastian Kurz aus ihr eine sogenannte Bewegung gemacht hat, mit dem kurzfristigen Vorteil, dass er sich um alte Strukturen und Befindlichkeiten einer Partei nicht kümmern muss, und mit dem Nachteil , dass die türkise Farbe außer für die Marke Kurz für nichts steht, aber das ist eben so in Zeiten von Ich-betonten Inszenierungen.

Ein grosses Ego hatten auch die erfolgreichen Anführer der Volksparteien in Deutschland und Österreich nach dem 2. Weltkrieg. Aber Kanzler wie Konrad Adenauer oder Leopold Figl, oder nach ihnen Willy Brandt oder Bruno Kreisky hatten den Hass der Zwischenkriegszeit erlebt, wo ideologisch oder religiös determinierte bis fanatische Parteien die Demokratie den Nazis zum Fraß vorwarfen.

Nach 1945 wollten die neuen Volksparteien, auch wenn sie sich „christlich“ oder „sozialistisch“ nannten, die Menschen aller Milieus und Berufsgruppen ansprechen. Die SPD brauchte dafür länger, erst mit dem Godesberger Programm des Jahres 1959 wurde die Marktwirtschaft akzeptiert, bis dahin war die Abschaffung des Kapitalismus eine ihrer Forderungen.

Charisma – gestern und heute

Die Veränderungen der Gesellschaft wie der Rückgang der Anzahl der Bauern oder die zunehmenden Rechte für Frauen konnten die Sozialdemokraten besser nutzen, aber schon damals ging es auch um Persönlichkeiten, erst recht mit dem Aufkommen des Fernsehens als Massenmedium. „Lasst Kreisky und sein Team arbeiten“ hieß es 1971, als die SPÖ nach der Minderheitsregierung die absolute Mehrheit anstrebte, mit „Willy wählen“ sicherte die SPD im Jahr 1972 die Wiederwahl Brandts zum Kanzler.

Heute geht es erst recht um Personen. Annegret Kramp-Karrenbauer ist von Angela Merkel als Nachfolgerin vorgesehen, die Deutschen sehen das aber nicht so. Laut ZDF-Politbarometer konnten sich das im März immerhin noch 49 Prozent der Wähler vorstellen, im Juni nur mehr 29 Prozent.

Drei Hauptgründe gibt es, warum Volksparteien nicht mehr funktionieren. Zunächst ist die Bindung der Wähler zu Parteien geschwunden, die SPÖ profitiert noch etwas von der großen Organisationskraft des ÖGB. Dann haben sich die klassischen Milieus aufgelöst, die eindeutig ansprechbar waren. Das trifft vor allem die Jugend. Sie geht nicht in Parteilokale, sondern auf YouTube-Channels. Und sie wechselt die Themen schneller, als eine Partei das begreifen kann. Jetzt ist es die Ökologie, aber das muss nicht so bleiben. Und drittens gibt es nicht mehr so viel zu verteilen wie in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg, die Parteien können auch keine Sicherheit bieten.

Stimmungsdemokratie

Künftig werden Parteien erfolgreich sein, die schnell und geschickt die Emotionen der Menschen in Stimmen ummünzen. Und Persönlichkeiten, die diese Emotionen, die oft Ängste sind, in die Gesellschaft zurückspiegeln, mit dem Anspruch, Ängste kontrollieren zu können. Das war das Geschick der Berater von Sebastian Kurz im Jahr 2017, das gelingt im Moment dem Grünen Robert Habeck, der die Sorgen um die Umwelt nicht mit einem sauertöpfischen Gesicht herumträgt.

Das Spüren und Verstärken von Emotionen, verbunden mit einer glaubwürdigen Person, das ist das Programm für eine Stimmungsdemokratie, die erst begonnen hat.

Wenn wir im Zuge dieser Entwicklung die liberale Demokratie – eine andere gibt es nicht – und den Rechtsstaat erhalten wollen, müssen wir umso mehr deren Grundlagen ausbauen. Dazu gehören vor allem die Rechte des Parlaments und jegliche Absicherung einer unabhängigen Justiz. Und Respekt der Politik vor den Medien. Da ist also für die Verantwortlichen einiges zu lernen.

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