Verhandlungspoker: Was uns erspart blieb

"Die SPÖ ist nicht pragmatisiert im Bundeskanzleramt." - Wird sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache denken, sagt aber VP-Obmann Michael Spindelegger. (Mai 2011)
Politik von innen: Die Doppel-Strategie des Vizekanzlers, warum Andreas Schieder in der SPÖ ins Zentrum rückte – und welche Panne das Sparpaket beinahe gefährdete.

Zehn Wochen lang mussten sie dicht halten. Kein Dampfablassen, kein öffentliches Verpetzen, keine Beschwerden über die Kontrahenten am Verhandlungstisch – alle Emotionen mussten zurückgestellt werden, um das gemeinsame Ziel nicht zu gefährden.

Am Freitagabend – die Parteigremien von SPÖ und ÖVP hatten das Sparpaket gerade einstimmig gebilligt – fiel dann die Anspannung rapide ab. „2016 werden wir erstmals seit fünfzig Jahren wieder einen ausgeglichenen Staatshaushalt erreichen“, sagte ein merkbar erleichterter Bundeskanzler in die Live-Kamera des ORF.

Werner Faymann und Michael Spindelegger haben allen Grund, erleichtert zu sein. Denn das Setting zu Beginn der Verhandlungen verhieß jede Menge Stoff für Zoff. Den Regierungsspitzen war zwar seit Herbst, als sich auf deutschen Druck die europaweite Schuldenbremse abzeichnete und die Rating-Agenturen mit dem Verlust des Triple-A drohten, klar, dass ein dramatisches Sparpaket nötig ist. Doch Faymann musste erst seine Partei davon überzeugen, dass ein Ruhestand ab 52 nicht mehr drinnen ist.

In der ÖVP war die Lage noch komplizierter: Michael Spindelegger lief Gefahr, zwischen den ÖVP-Blöcken zerrieben zu werden – zwischen Beamten und Bauern, die am öffentlichen Geldhahn hängen einerseits und der „Keine-neuen-Steuern“-Fraktion andererseits.

Es dauerte einige Wochen, bis der ÖVP-Chef eine Linie gefunden hatte, auf die er seine Partei einschwören konnte: Er definierte sechs Punkte für Strukturreformen und stellte sie als Bedingung für Steuererhöhungen.

Ihm selbst war von Beginn an klar, dass er um Steuererhöhungen nicht herumkommen würde. „Wir sind in einer Koalitionsregierung“, sagte er im November in interner Runde. Öffentlich hielt er den Druck gegen die 22 Steuerwünsche der SPÖ jedoch aufrecht. Einmal passierte bei dieser Doppelstrategie eine Panne – als Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner das geheime Verhandlungsziel, 70 Prozent Sparmaßnahmen und 30 Prozent Steuererhöhungen, zu früh publik machte.

Panne

Verhandlungspoker: Was uns erspart blieb
Daniela Kittner

Die Panne hatte auch ihr Gutes. „Als klar war, dass die ÖVP Steuererhöhungen akzeptieren wird, gab es in den Gesprächen einen Ruck. Ab da ging’s voran“, erzählt ein SPÖ-Verhandler. Das war kurz nach Weihnachten.

Auf SPÖ-Seite hatten Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Finanzstaatssekretär Andreas Schieder die schwierigsten Rollen. Hundstorfer musste eine Pensionsreform aufstellen, die die beiden sensibelsten Machtblöcke der SPÖ betrifft: die roten Gewerkschafter und die Pensionisten. Dass Hundstorfer schlussendlich mit mehr als sieben Milliarden Euro den größten Brocken zum Sparpaket beisteuert, bringt ihm Bewunderung auch von der ÖVP. „Er hat eine sehr positive Rolle gespielt“, lobt ein schwarzer Verhandler.

Schieder hatte die Aufgabe, der ÖVP möglichst viele Steuern herauszureißen. Ihm war klar: Je mehr „Reichensteuern“ er nach Hause bringt, umso eher würde die rote Basis Einschnitte bei den Pensionen schlucken.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf haben sich Hundstorfer und Schieder frühzeitig abgestimmt und wechselseitig in den Verhandlungen mit der ÖVP unterstützt.

Nicht immer verlief die Front zwischen den Verhandlern nach der Parteilinie. Finanzministerin Maria Fekter schaffte es mehrmals, rote und schwarze Gemüter gegen sich aufzubringen. Nicht nur, dass sie notorisch zu spät zu den Verhandlungen erschien, warf sie mehrfach mühsam erstellte Berechnungen über den Haufen, indem sie ständig neue Zahlen vorlegte. Dabei ging es nicht nur um Kleinigkeiten. Einmal, bei der Zinsersparnis, musste sie einen Milliardenbetrag nachreichen. Als sich „das Chaos wieder einmal verdichtete“, fauchte Spindelegger, er wünsche in Zukunft ein haltbares Zahlenwerk. „Man muss Fekter aber zugute halten, dass sie hart im Nehmen ist. Sie ist nicht beleidigt, wenn sie kritisiert wird. Und wenn man etwas vereinbart, hält es“, beschwichtigt ein SPÖ-Verhandler.

Sechserrunde

In der Sechserrunde, bestehend aus Hundstorfer, Schieder und Staatssekretär Josef Ostermayer für die SPÖ, Fekter, Mitterlehner und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner für die ÖVP, dürfte es mitunter recht turbulent zugegangen sein. Fekter verlor sich in Endlos-Details, Mikl-Leitner spielte den schwarzen Polit-Kommissar (gegen die ÖBB), Mitterlehner schob trockene Kommentare dazwischen und Hundstorfer würzte das Ganze mit Schmäh. Allen Differenzen zum Trotz klang jede Sitzung bei einem gemeinsamen Achterl aus. „Man kann sich auch verstehen, wenn man nicht einer Meinung ist“, erzählt ein Teilnehmer.

Gestiegen ist in der Achtung der ÖVP der rote Steuerverhandler. „Andreas Schieder hat eine wichtige Rolle gespielt, und er hat das sehr konstruktiv erledigt“, heißt es in der ÖVP. Es war übrigens auch Schieder, der gemeinsam mit Fekter die Idee einbrachte, jene Österreicher, die ihr Geld an der Steuer vorbei in der Schweiz bunkern, zur Kasse zu bitten.

Skurrile Vorschläge

Bei manchen Themen können die Österreicher froh sein, dass sich die Regierung nicht einigte. Zum Teil lagen skurrile Vorschläge auf dem Tisch, die gleich wieder abgeräumt wurden. Darunter: Zehn Prozent Lohnkürzung für über 50-Jährige; die Wiedereinführung der Steuerpflicht für Niedrigverdiener (beides Einzelmeinungen aus der ÖVP). Den Studenten bleiben Studiengebühren, den Beamten Arbeitsplatzsicherungsbeiträge und den Konsumenten eine höhere Mehrwertsteuer erspart.

Insgesamt, so sagen Verhandler, habe das Sparpaket die Regierung zusammengeschweißt. Sie habe versucht, ihren Job bestmöglich zu erledigen, wissend, dass sie es nicht jedem recht machen kann. Spitz bemerkte Spindelegger im kleinen Kreis: „Selbst wenn wir über das Wasser des Bodensees gehen, wird irgendwer sagen: Schaut her! Der Spindelegger kann nicht schwimmen.“

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