Van der Bellen: „Werde mich nicht in jede Schlacht werfen“
Presseclub Concordia statt Hofburg: Bundespräsident Alexander Van der Bellen suchte sich einen neutralen Boden für den Interview-Marathon zu seiner Wiederkandidatur am Dienstag aus. Im Halbstundentakt wechselten die Interviewer, beobachtet nicht nur von seinem Wahlkampfteam, sondern auch vom Präsidentenhund.
KURIER: Wann haben Sie sich für die zweite Kandidatur entschieden und was war ausschlaggebend?
Alexander Van der Bellen: Ende Jänner, Anfang Februar. Ausschlaggebend waren meine Erfahrungen und die Feststellung: Ich kann das, ich will das, es macht Sinn für das Land und mir auch Freude. Aber dann kam der Schock des Krieges dazwischen.
Sie haben Präsident Putin öfter getroffen. Hätten Sie diese Entwicklung erwartet?
Ich habe ihn das erste Mal vor rund 20 Jahren getroffen, als er im Parlament in Wien zu Besuch war, und das letzte Mal vor drei Jahren in Sotschi. Damals haben wir den sogenannten Sotschi-Dialog zu initiieren versucht: ein Austausch auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Nein, ich habe diese Entwicklung absolut nicht erwartet.
Hat der Westen Putin zu wenig zugehört? Eine Zeitlang bekundete er Interesse, an einer westlichen Sicherheitsarchitektur teilzunehmen.
Vielleicht haben wir alle Präsident Putins Aussagen zu wenig beachtet und ernst genommen. Bei Putin scheint ein imperialer Gedanke dahinter zu stehen: dass die Ukraine integraler Bestandteil von Großrussland ist. Wobei er aber vollkommen das veränderte Selbstbewusstsein der Ukrainer übersehen hat.
Muss man nun auch Österreichs Rolle und seine Neutralität neu debattieren?
Debattieren ist immer gut.
Oder auch neu definieren.
Ich bin da vorsichtig, auch wenn ich verstehe, dass man sich in Schweden und Finnland angesichts des Angriffskriegs Russlands bedroht fühlt. Wenn wir eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland hätten, wäre die Stimmung wohl auch anders. Österreich ist über Jahrzehnte mit der Neutralität sehr gut gefahren. Das ist aber kein Selbstläufer. Wir haben uns zu lange nicht um die umfassende Landesverteidigung gekümmert. Es gibt einen riesigen Investitionsrückstau.
Wäre das nicht Ihre Aufgabe als Oberbefehlshaber des Heeres gewesen, darauf aufmerksam zu machen?
Das tue ich ja seit fünf Jahren ununterbrochen.
Das Bundesheer aufzurüsten war nie die Kernkompetenz der Grünen, wo Sie lange Klubobmann und Parteichef waren.
Wir reden jetzt aber von meiner Bundespräsidentschaft. Und ich habe seinerzeit schon im Parlamentsklub erfolgreich für die „partnership for peace“ mit der NATO argumentiert. Österreich beteiligt sich an internationalen Einsätzen in einem Maß, das sich pro Kopf durchaus sehen lassen kann. Unsere Neutralität ist sehr wichtig, wenn man auf neutralem Boden verhandeln will. Ein typisches Beispiel sind die Atomverhandlungen mit dem Iran. Es ist kein Zufall, dass sie in Wien stattfinden.
Fanden Sie es richtig, dass Bundeskanzler Karl Nehammer zu Wladimir Putin und Wolodimir Selenskij gefahren ist?
Ich kritisiere das nicht. Was mir in diesem Zusammenhang aber wichtig ist: Die aktuelle militärische Auseinandersetzung soll nicht dazu führen, dass wir alle automatisch glauben, jetzt der NATO beitreten zu müssen. Und wir müssen nicht nur die Landesverteidigung, sondern auch die Diplomatie ernster nehmen. Die Ressourcen des Außenministeriums müssen dementsprechend gestärkt werden.
Werden Sie Österreich als Ort für Friedensverhandlungen aktiv anbieten?
Sicher, auch hier hilft unsere Neutralität. Wir müssen nur den richtigen Zeitpunkt abwarten – und sinnvollerweise in Abstimmung mit dem Außenminister und dem Bundeskanzler.
Ist nicht auch der Zustand der Justiz beklagenswert und müssten Sie nicht längst hinter der Tapetentür Gespräche mit der Justizministerin führen? Es gibt Intrigen, illegal mitgeschnittene interne Sitzungen, Streit.
Es stimmt schon, dass einzelne Ereignisse in der Justiz ein gewisses Stirnrunzeln verursacht haben, aber ich sehe keinen Grund, der Justiz das Vertrauen abzusprechen.
Ex-Staatsanwältin Linda Poppenwimmer hat zum Beispiel schwere Kritik an der WKSta geübt und ihr vorgeworfen, interne und externe Kritiker zu diskreditieren.
Das kann ich nicht beurteilen. Ich finde, die Staatsanwaltschaften sollen unabhängig ihre Arbeit tun und in angemessener Zeit Entscheidungen fällen. Wo ich meine Bedenken habe: dass einzelne Fälle zu lange in der Schwebe bleiben, was für die Beschuldigten und die Öffentlichkeit unangenehm ist.
Haben Sie schon einmal den Neujahrsvorsatz gehabt, rauchfrei zu werden?
Ich leugne nicht, dass es gesundheitsschädlich ist und man es tunlichst lassen soll. Statistisch gesehen, scheine ich ein Ausnahmefall zu sein, ich vertrage es.
Werden Sie diesmal in TV-Wahl-Duellen auftreten?
Die Würde des Amtes steht hier über allem, und die gilt es zu wahren. Wir werden sehen, wer Gegenkandidat ist. Als amtierender Bundespräsident kann ich mich nicht in jede beliebige Schlacht mit aller Verve werfen.
Die Pandemie erforderte starke Eingriffe in die Bürgerrechte. Gab es Fehler?
Sicher. Aber im internationalen Vergleich haben wir in Österreich sogar eher gut abgeschnitten. Zweimal haben wir geglaubt, die Pandemie sei vorbei, aber dann ist es wieder losgegangen.
Das wurde besonders Ex-Kanzler Sebastian Kurz sehr vorgeworfen. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?
Am Anfang ein bisschen schwierig, Stichwort: message control. Wenn auch nur ein Hauch an Kritik an der Bundesregierung durchklang, stand er schon bei mir in der Präsidentschaftskanzlei.
Er war empfindlich?
Ja. Aber dann hat es sich zu einem guten Arbeitsverhältnis entwickelt.
Betreiben nicht auch Sie message control? Ihr Vorgänger Heinz Fischer war weit offener, was Interviewanfragen betraf.
Wenn das Ihr Eindruck ist, dann nehme ich mir vor, in der zweiten Amtsperiode ein bisschen großzügiger zu sein.
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