Uniprofessor: Kritik an Plänen zur Sonderschule

Uniprofessor: Kritik an Plänen zur Sonderschule
Gottfried Biewer ist Österreichs einziger Uniprofessor für Sonderpädagogik. Er geht mit den Regierungsplänen hart ins Gericht.

Ohne jedes Fachwissen und ohne jede wissenschaftliche Expertise sei das, was die Bundesregierung in Sachen Sonderpädagogik plane. So hart ist das Urteil von Österreichs einzigem Universitätsprofessor für Sonderpädagogik, Gottfried Biewer von der Universität Wien. Vor allem zwei Passagen aus dem Regierungsprogramm stoßen ihm sauer auf, auch weil sie internationale Verträge unterlaufen würden, zu denen sich Österreich verpflichtet hat.

Erstes Ärgernis

„Wiedereinführung der sonderpädagogischen Ausbildung: Ausbildungserfordernisse und Inhalte der Sonderpädagogik definieren“ steht auf Seite 62. Heißt: Es soll die alten Sonderschullehrer wieder geben. Biewer sieht darin einen Rückschritt, da mit der Lehrerbildung neu die Ausbildung der Sonderpädagogen "sogar verbessert wurde". Der Lehrgang "Inklusive Pädagogik“, der seit 2016 in Wien und Niederösterreich sowie in anderen Regionen erstmals angeboten wird, führe dazu, dass diese Lehrer erstmals universitär ausgebildet werden. Mehr noch: Mit vier Jahren für den Bachelor und anschließend zwei Jahren für den Master und der Induktionsphase in der Schule dauert die Ausbildung wesentlich länger als der frühere 3-jährige Sonderschullehramtsstudiengang.

Gehörlose

Der Anteil spezifischer Inhalte, die sich mit der Bildung von Kindern mit Behinderungen befassen, sei in der neuen Lehrerbildung doppelt so hoch wie früher. So sei es jetzt möglich, eine breite Palette notwendigen neuen Wissens für angehende Lehrerinnen und Lehrer in einer Erstausbildung anzubieten. Erstmals werde zudem die Gebärdensprachpädagogik in einem eigenständigen Studiengang angeboten. Biewer: "Seit März gibt es an der Universität Wien eine gehörlose Jungwissenschaftlerin, die im Bereich der Gebärdensprachpädagogik promoviert und damit die dringend nötige Forschung in diesem Bereich in Gang bringt. Möchte man diesen erreichten Fortschritt zerstören und wieder zur alten Schmalspurausbildung zurückkehren?"

Schlecht recherchiert

Dass türkis-blau die "Ausbildungserfordernisse und Inhalte der Sonderpädagogik definieren“ will, verwundert den Pädagogik-Professor doch sehr: "Ein Blick in das bestehende Curriculum des Studiengangs Inklusive Pädagogik, das auf der Internetseite der Universität leicht auffindbar ist, hätte genügt um zu sehen, dass dort alle Themen, die sonderpädagogische Lehramtssausbildungen für Kinder mit sensorischen, sprachlichen, kognitiven und motorischen Beeinträchtigungen beinhalten, dort zu finden sind - und das ergänzt um eine Reihe von weiteren wichtigen Inhalten, die die alte Sonderschullehrerausbildung schuldig blieb."

Qualifiziert

Die Absolventen dieses Studiengangs seien befähigt, in Integrationsklassen und in spezialisierten Zentren (sog. „Sonderschulen“) zu arbeiten. Und sie haben die Lehrbefähigung, um als Sekundarstufenlehrer in „Sonderschulen“ zu arbeiten. "Diese Informationen sind im Qualifikationsprofil des Studiengangs nachlesbar und für jeden mit mittleren Recherchequalitäten innerhalb von wenigen Minuten auffindbar, offensichtlich aber nicht für die Personen der Verhandlungsdelegation, die die obige Passage in das Regierungsprogramm geschrieben haben", stellt Biewer fest.

Zweites Ärgernis

Auch dass die Regierung den Begriff Sonderschule verwendet, kritisiert Biewer scharf: Der Begriff der Sonderschule habe seine Wurzeln im NS-Staat - in Deutschland werde daher im amtlichen Sprachgebrauch von „Förderschulen“ gesprochen. "In Österreich haben wir Bezeichnungen wie z.B. ,Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik', auch wenn sich an den vorausgegangenen institutionellen Struktur nicht sehr viel verändert hat", so Biewer. Es stelle sich schon die Frage, welches ideologische Leitbild hinter dem Begriff Sonderschule steht.

Verpflichtet

Österreich hat im Jahre 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und sich damit verpflichtet, sie in nationales Recht zu übernehmen. "Dort ist in Artikel 24 nachzulesen, dass die Vertragsstaaten auf allen Ebenen ein inklusives Bildungssystem gewährleisten", erläutert Biewer.

Sein Resümee: "Von fachlicher Seite zeigen diese wenigen Passagen im Regierungsprogramm ein erstaunliches Maß an Ignoranz und Inkompetenz. Es bleibt zu hoffen, dass diese blamablen Sätze nicht ernst genommen werden und vor allem, dass niemand auf die Idee kommt, dies umsetzen zu wollen."

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