Über die Zeit aus den Fugen und einen mit dem Hund wedelnden Schwanz

Über die Zeit aus den Fugen und einen mit dem Hund wedelnden Schwanz
Das „Österreichische Jahrbuch für Politik“ schlägt einen pessimistischen Grundton an – auch mit Blick auf die Krise der Volksparteien.

Es ist so etwas wie ein politisches Kompendium des jeweils vorangegangenen Jahres: das seit 1977 erscheinende „Österreichische Jahrbuch für Politik“, herausgegeben von der Politischen Akademie der ÖVP unter Ägide eines Gremiums mit Parteiurgestein Andreas Khol an der Spitze.

„Ist die Zeit aus den Fugen?“, fragen die Herausgeber (neben Khol Wolfgang Sobotka, Stefan Karner, Bettina Rausch-Amon und Günther Ofner) gleich eingangs – und treffen damit wohl eine weitverbreitete Stimmungslage (wenngleich es wohl keine Zeit gegeben hat, die nicht „aus den Fugen“ war). Der Grundton ist pessimistisch: „Die Zeichen stehen auf Zusammenbruch“, steht da geschrieben – bezogen auf die überkommene Weltordnung. Neben globalen Kriegen und Konflikten ist von der Krise der Demokratie die Rede, vom Bröckeln der „bewährten Volksparteien links und rechts der Mitte“ und vom Vertrauensverlust der Regierungen, die „ihren Sturz durch die nächsten Wahlen“ befürchten. Könnte auch Österreich gemeint sein. Auch dass „Neutralität und fehlender Selbstschutz“ hierzulande „kritischer gesehen“ werden, ist zu lesen, ungeachtet der Tatsache, dass der Kanzler die Neutralitätsdebatte für beendet erklärt hatte, bevor sie begann.

Mit Blick auf das Wahljahr 2024 kommt den zahlreichen innenpolitischen Beiträgen naturgemäß besondere Bedeutung zu. Als „desaströs“ bezeichnet KURIER-Herausgeberin Martina Salomon die inhaltliche Positionierung der Parteien für die bevorstehenden Urnengänge: „verwaschen (ÖVP), nicht mehrheitsfähig und unrealistisch (SPÖ), kaum vorhanden (FPÖ), eher unklar (Neos)“. Am ehesten sieht Salomon noch klare Konturen bei den Grünen als „Single Issue“-Partei (Klimawandel), denen sie konzediert, in der Regierung mit der ÖVP den Eindruck erweckt zu haben „als wedle der Schwanz mit dem Hund“. Nicht schmeichelhaft für den „Hund“, bei dem die Autorin zwei Probleme sieht: ein hausgemachtes, „die eigene Ängstlichkeit“ vor kantigen Positionen, und ein von außen kommendes, nämlich das die ÖVP „begleitende Dauertrommelfeuer der Skandalisierung“. Das Ausschließen der Kickl-FPÖ als Koalitionspartner „nimmt ihm (Nehammer; Anm.) Optionen“, aber Salomon plädiert indirekt auch für eine (Wieder-)Annäherung von ÖVP und SPÖ.

„Integralismus von links“

Der Positionierung der katholischen Kirche in politischen Fragen widmet sich der katholische Publizist (vormals Kleine Zeitung) Hans Winkler. Sein Befund lautet zwar nicht „desaströs“, fällt aber doch einigermaßen kritisch aus. Winkler sieht einen „Integralismus von links“, den „Versuch eines Bündnisses mit den diversen neuen Bewegungen, von Klima bis zu Gender“. Wobei die Kirche dort „bestenfalls als Trittbrettfahrer zugelassen“ sei und kaum wirkliche Partner oder Freunde finden würde. „Dazu muss man nur die Feindseligkeit gesehen haben, die der ÖVP-Abgeordneten Gudrun Kugler mit ihrem Gebetsfrühstück im Parlament entgegengeschlagen ist.“ Und: „Warum ausgerechnet in kirchlichen Kreisen eine solche Feindschaft gegenüber der Marktwirtschaft grassiert, ist unverständlich.“

Ein Highlight wie jedes Jahr: der „satirische Jahresrückblick“ von Alexander Purger (SN). Der fragt sich unter anderem, wieso die Regierung „den ORF mit Geld überschüttet“ und offenbar „nicht das geringste Interesse daran“ hat, „den unabhängigen Zeitungen das Überleben zu sichern“.

Über die Zeit aus den Fugen und einen mit dem Hund wedelnden Schwanz

Andreas Khol et al. (Hg.): „Österreichisches Jahrbuch für Politik 2023“, Böhlau, 630 Seiten, 50 Euro

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