Trend: Europas neue Generation Grün

Trend: Europas neue Generation Grün
Von Deutschland bis Irland konnten die Grünen die jungen Wähler für sich gewinnen. Die große Welle von rechts blieb aus.

Kamera an – Hände in die Höhe: Die Begeisterungsstürme in der Berliner Zentrale der Grünen liefen am Wahlabend anfangs ganz nach der gewohnten Routine. Schwer auszumachen, wer auf die Idee kam, Beethovens „Ode an die Freude“ anzustimmen, plötzlich aber sang die grüne Parteispitze lauthals, falsch und tief bewegt die Europahymne. Einer der wenigen wirklich europäischen Momente dieser von nationalen Konflikten und Parteienstreit geprägten EU-Wahl.

Trend: Europas neue Generation Grün

Jubel in der grünen Parteizentrale

 

Und fast ebenso europäisch war die Wahlbewegung, die ihn ausgelöst hatte. Von Berlin bis London, von Dublin bis Wien: In Westeuropas oft etwas müden Demokratien haben sich die jungen Wähler in auffallender Geschlossenheit den Grünen zugewandt. Und dieses, wenn auch zarte politische Erdbeben hatte ein Epizentrum: Deutschland.

Stärkste Partei bei Jungen

Unter der Führung von Robert Habeck

Trend: Europas neue Generation Grün

Auf der Erfolgswelle: Robert Habeck

 

eilt die Partei seit Längerem längerem in Deutschland von Erfolg zu Erfolg. Doch mehr als 20 Prozent der Stimmen und der zweite Platz bei diesen EU-Wahlen, hinter der gebeutelten CDU und vor der am Boden zerstörten SPD, das rückt die Partei endgültig wieder in den Brennpunkt der deutschen Politik.

Möglich gemacht wurde das durch die Wählergruppe, nach der sich alle Parteien sehnen: die Jungen. Bei den unter 30-Jährigen wurden die Grünen stärkste Partei, bis zum Alter von 60 liegen sie vor Konservativen und Sozialdemokraten. Auch in Österreich waren es die Jungen, die den Grünen nach dem Untergang bei den Nationalratswahlen 2017 wieder Leben einhauchten. Bei den unter 30-Jährigen waren sie mit Abstand die stärkste Partei. Das Thema, das diese Wähler – weit vor allen anderen – bewegte, war der Umwelt- und Klimaschutz.

Und die Ebene, auf der sie es angegangen wissen wollen, ist für eine klare Mehrheit nicht die nationale, sondern die europäische. Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der deutschen Grünen, zeigte sich gegenüber dem Deutschlandfunk ebenso überrascht wie begeistert: „Das ist eine Repolitisierung der Jugend. Durch sie bekommt der Klimaschutz endlich die Bedeutung, die das Thema verdient.“ Für eine Partei und für ein Land, analysiert der Grüne, sei das Thema ohnehin zu groß: „Wir müssen in Europas Zusammenhalt investieren.“

Grün und europäisch gemeinsam zu denken, das fällt nicht nur in Deutschland den Jungen leichter als der älteren Generation. Quer durch Europa verschafften sie den grünen Parteien Aufschwung. In Frankreich belegte man mit 13,4 Prozent den dritten Platz. In Irland waren es 15 Prozent, in Finnland 16 Prozent und der zweite Platz. Sogar in Großbritannien dachten zumindest elf Prozent der Wähler statt immer nur an den Brexit an den Klimaschutz und wählten die Grünen.

Was hinter diesem Trend steht, das können auch Meinungsforscher nicht punktgenau festmachen. Klar ist, die von der Schwedin Greta Thunberg ausgelöste „Fridays for Future“-Bewegung spielt für die jungen Wähler eine größere Rolle, als es die laue Berichterstattung in traditionellen Medien nahelegt.

Doch an denen operieren für die Jugend wichtige Stimmen ohnehin vorbei, wie das Beispiel des deutschen YouTubers Rezo zeigt. Dessen mit wissenschaftlichen Argumenten gespickte Video-Attacke gegen die regierende Union und Kanzlerin Merkel wurde mehr als zehn Millionen Mal geklickt.

Der grüne Aufschwung ist also ein europäisches Phänomen. Entsprechend geschlossen werden die Grünen nun im Europaparlament auftreten, dafür sorgen, dass die pro-europäischen Kräfte an ihnen nicht mehr vorbeikommen.

Rechte punkten vereinzelt

Die große rechte Welle dagegen, die bei diesen Europawahlen – wie seit Monaten herbeigeredet – alles überfluten sollte, schlug an den Wahlurnen nur in einigen Ländern auf. Matteo Salvini, Italiens rechter Vizepremier, setzte seinen politischen Triumphzug fort – vor allem auf Kosten seines linkspopulistischen Chaos-Koalitionspartners, der Fünf-Sterne-Bewegung. In Frankreich profitierte – nicht zum ersten Mal – die Rechte Marine Le Pen von der Schwäche eines Präsidenten, auch wenn sie selbst keine Stimmen dazugewann. Diesmal war es Emmanuel Macron, der die Gelbwesten nicht unter Kontrolle kriegte.

In Großbritannien war es keine Frage von rechts und links, sondern schlicht das planlose Irrlichtern der Großparteien, das Nigel Farages Brexit-Partei triumphieren ließ.

In Ungarn demonstrierte Viktor Orbán, wie sehr er sein Land inzwischen – politisch und medial – im eisernen Griff hat. Sein Verbündeter, die rechte PiS in Polen, setzte sich ebenfalls gegen die liberalen Pro-Europäer durch, wenn auch weit knapper. Politische Schlagkraft auf europäischer Ebene lässt sich aber daraus kaum destillieren. Wie es sich für nationalistische Europa-Skeptiker gehört, geht jeder von ihnen seinen eigenen Weg.

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