Eltern von Trans-Kindern: "Hatte Zweifel, ob sie wirklich im falschen Körper ist"

Der Brief, den Herr und Frau Roth eines Tages lesen müssen, treibt den Eltern Tränen in die Augen. Da stehen Sätze wie "Ich kann meine Stimme nicht mehr hören“ oder "Ich kann mich unmöglich in den Spiegel schauen“. Sie sei ein Junge, schreibt ihre Teenager-Tochter. Und: "Ich weiß, dass ihr das nicht verstehen könnt.“
Ein Juli-Abend in Wien. Gemeinsam mit anderen Eltern sitzen Herr und Frau Roth auf einem grünen Sofa im sechsten Stock der KURIER-Redaktion. Vor den Fenstern ziehen Regenwolken über den Kahlenberg. Die Roths heißen nicht wirklich so. Alle Namen müssen geändert werden, sonst können sie nicht öffentlich reden. Frau Roth arbeitet im Außenministerium, ihr Mann in einer großen Steuerberatungskanzlei. Freunde, Bekannte oder Arbeitskollegen dürfen sie nicht erkennen. Da ist zu viel Angst. Zuallererst um die Tochter, die in ein sektoides Getriebe geraten ist, wie sie sagen. Und man hat Angst vor Anfeindungen und Shitstorms der "Trans-Community“.
Die Roths gehören zu jener schnell wachsenden Zahl an Eltern, deren Kinder in ihrem Körper derart unglücklich sind, dass sie sich ein neues Geschlecht geben. Als "Geschlechtsdysphorie" wird das Phänomen beschrieben. Es ist keine Depression, aber eine massive Unzufriedenheit. Die Teenager verändern Frisur und Kleidung, sie nehmen im Alltag und in der Schule andere Vornamen an. Manche gehen in der „Transition“ soweit, dass sie Hormone schlucken, sich operieren lassen.
Der KURIER hat über das Trans-Thema bei Jugendlichen bereits berichtet, es ist ein breites Politikum, das in Schulklassen und Ordinationen angekommen ist. Bei den Grünen sorgte das Thema für den Bruch mit der langjährigen Integrations- und Diversitätssprecherin Faika El-Nagashi. Und am Freitag wurde ein Gesetzesantrag im Parlament diskutiert, der den Kern der Debatte - die "selbst empfundene Geschlechtsidentität“ - mit zum Gegenstand hat.
Die Zahl der Teenager mit „Geschlechtsdysphorie“ ist in Österreich binnen zehn Jahren um mehr als 4.000 Prozent gestiegen. Psychiater warnen vor langfristigen Folgen - allein 2023 wurden 122 gesunde Brüste amputiert, weil junge Frauen ein Mann sein wollten.
Betroffene Eltern organisieren sich mittlerweile in Selbsthilfegruppen wie der ROGD Österreich (www.rogdoe.at).
Leidensweg
Womit man wieder bei den Roths ist: Bei ihrer Julia beginnt es mit 15. "Sie hat gesagt: Mama, ich bin trans.“ Der Kinderarzt befundet: Das Mädchen hat Angst vor der Pubertät. "Rückblickend war das die genaueste Diagnose von allen“, sagt die Mutter. Damals freilich sucht die Familie spezielle Hilfe. Über eine Beratungsstelle findet man eine Therapeutin. Der Leidensweg beginnt. "Sie hat unsere Tochter bald gedrängt, sich in der Schule zu outen“, erzählt der Vater. "Kurz darauf wollten die Lehrer mit uns über unseren Sohn sprechen. Es war kafkaesk.“
Vor allem aber ist es eine weit reichende Entscheidung. Wer gegenüber Freunden und in der Schule das Geschlecht wechselt, gilt als mutig, steht im Mittelpunkt. Julia schnürt sich die Brust mit Bindern zurück, um keine Oberweite zu haben. Eine Technik, die nicht ohne Risiko bleibt: Die Roths und andere Eltern kennen Jugendliche, die sich mit zwei oder drei Bindern die Luft abgeschnürt haben und kollabierten.
Weil ihnen einiges falsch vorkommt, wechseln die Eltern die Betreuerin. Die Tochter wehrt sich. "Sie hat gesagt ,Die Neue kennt sich nicht aus, die kann mir nicht helfen!' Du liebst dein Kind, willst die Situation nicht noch schlimmer machen. Also machst du Kompromisse.“
Man wechselt zurück zu jener Frau, der Julia vertraut. Irgendwann erlaubt sich der Vater die Frage, ob man eine selbst gestellte "Diagnose" von Teenagern nicht hinterfragen sollte - zumal es Julia, die jetzt nur noch von ihren Eltern so genannt wird, nicht besser geht. Die Antwort der Therapeutin stößt die Eltern weiter vor den Kopf: "Ich coache ihren Sohn in die Transition.“ Soll heißen: Die Grundsatzentscheidung ist gefallen, sie wird nicht hinterfragt, man geht bestätigend ("affirmativ") vor. Wenn ein Teenager sagt, er sei im falschen Körper, dann ist das so.
Textbausteine von Therapeuten
Während die Roths von ihrer Tochter erzählen, hören andere Eltern aufmerksam zu. Die Schicksale sind verschieden - und doch in vielen Punkten ähnlich.
Da ist die Geschichte von Anja Seibert. Auch Anja schreibt ihrer Mutter mit 12 einen Brief, in dem sie erklärt, sie sei trans. Die Sätze sind wortident mit jenen anderer, briefschreibender Trans-Mädchen - die Textbausteine kommen aus dem Internet oder von Therapeuten. Auch bei den Seiberts führt der Weg über die Schulpsychologin zur Transtherapeutin. Und auch bei Anja Seibert wird der Zustand mit Fortdauer der Beratung nicht besser, sondern eher das Gegenteil. Zur Geschlechtsdysphorie kommt eine lebensbedrohliche Magersucht. Im Spital entscheidet die Kinder- und Jugendhilfe, der Teenager solle nicht mehr bei der Mutter leben. Weil Anja das so will, und weil die Mutter den Weg ihres Kindes nicht überzeugt genug mitgeht. "Ich hatte Zweifel, ob sie wirklich im falschen Körper ist." Anja kommt in eine betreute Wohngemeinschaft, ein Gericht entscheidet, dass der Teenager operative Änderungen vornehmen darf. "Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich bei einer Anwältin war", erzählt Frau Seibert. "Ich hab die Rechtsanwältin gefragt: Dürfen die das?" Ja, sie dürfen. Anja ist da gerade 16 Jahre alt. Sie muss bei Bedarf alle "geschlechtsangleichenden Therapien" bekommen, sagt der Richter. Damit sich ihre Gesamtsituation stabilisiert.
Was die Roths, die Seiberts und andere betroffene Eltern wundert, ist die Selbstverständlichkeit, mit der Politik, Medizin und Behörden den erwähnten "affirmativen Zugang" akzeptieren - er ist mittlerweile auch in Behandlungsrichtlinien des Gesundheitsministeriums verankert.
Nicht zuletzt deshalb formuliert die ROGD Österreich politische Forderungen, die in einer wissenschaftsbasierten Gesellschaft nachgerade selbstverständlich klingen. Etwa, dass gesunde Körperteile - analog zum Sterilisationsverbot - erst ab dem 25. Lebensjahr chirurgisch entfernt werden dürfen; oder dass der „affirmative Ansatz“ bei Unter-25-Jährigen so lange hintangehalten wird, bis dessen Nutzen mit längerfristigen Studien wissenschaftlich erwiesen ist.
Ein Deal
Die Geschichten der Familien, die sich an diesem Abend im KURIER treffen, enden sehr unterschiedlich. Die Roths haben mit ihrer Tochter einen "Deal" abgeschlossen: Sie geht auf die Fachhochschule, nimmt vorübergehend zwar Hormone, verzichtet aber vorerst auf Operationen und hält Kontakt zu ihren Eltern. Eine andere Mutter, deren Tochter in einer Transition ist, hat keinen Kontakt mit ihrem Kind. Und Anja Seibert, die zusätzlich auch in eine Magersucht geschlittert ist? Die gerichtlich erlaubten Operationen hat sie nie gemacht. Im Gegenteil: Irgendwann bei einem Treffen in der Wohngemeinschaft war plötzlich alles anders. "Sie hat gesagt, sie fühlt sich nicht mehr trans", erzählt ihre Mutter, die mittlerweile in gutem Kontakt ist. "Wir saßen beisammen und meine Tochter hat sich bedankt. Dafür, dass ich damals nicht zu allem Ja gesagt habe."
• Verbot von invasiven und/oder irreversiblen Eingriffen unter 25 Jahren (Gegengeschlechtliche Hormontherapien (Cross-Sex-Hormone ) im „off-label use“, Pubertätsblocker (PB) und Operationen zur Entfernung gesunder Körperteile (Mastektomie, Hysterektomie, Vasektomie, Penektomie etc.) bei Diagnose Geschlechtsdysphorie, insbesondere Verbot von Sterilisationen oder anderweitigen direkten oder indirekten Zerstörungen (von Teilen) des Reproduktionssystems an physisch gesunden Körpern von unter 25-Jährigen.
• Aussetzen des sog. affirmativen Ansatzes (in der Psychotherapie) für Betroffene unter 25 Jahren bis zur Vorlage von positiven Langzeitergebnissen, insbesondere in der explosionsartig gestiegenen Gruppe junger Mädchen, stattdessen Ausweitung der Angebote und Kostenübernahme für explorative Psycho- und Familientherapie.
• Erfassung und Publikation aktueller Daten zur Zahl der Betroffenen nach Geschlecht und Altersgruppen, Beauftragung von systematischen Überprüfungen der Evidenz und Evaluationen der derzeitigen Behandlungspraxis durch eine unabhängige interessenkonfliktfreie Institution. Langfristige Nachverfolgung aller unter 25-Jährigen in Bezug auf spätere physische und psychische Gesundheit und Behandlungsabbrüche.
• Evaluierung der derzeit gültigen Behandlungsleitlinien: Evidenzbasierte Medizin statt ideologiebasierter Behandlungsleitlinien, Überprüfung der derzeit in Österreich gültigen Behandlungsempfehlungen aufgrund aktueller Entwicklungen in der internationalen Fachwelt (Cass Review, aktuelle Studien zur geringen Diagnosestabilität unter 25 Jahren, Diskreditierung der WPATH etc.).
• Übernahme der Haftung durch die Kassen für die Folgekosten gesundheitsschädlicher und funktionszerstörender Eingriffe an vulnerablen Heranwachsenden unter 25 Jahren (Folgeschäden durch Hormontherapien und chirurgische Eingriffe wie z.B. Infertilität, Verlust der Stillfähigkeit, irreversiblen Zerstörung der körperlichen Integrität, Inkontinenz, Osteoporose, Depressionen, Erhöhung von Herz-Kreislauf- und Krebsrisiken, etc.). Vollständige Übernahme der Kosten eventueller Berufsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit sowie der Behandlung in der Detransition.