El-Nagashi: An meiner Haltung hat sich gar nichts geändert. Aber das Thema wurde ein anderes. Als ich mit 19 begonnen habe mich zu engagieren, haben Gesetze Schwule und Lesben diskriminiert. Die Ehe für alle war weit weg, in vielen Bereichen wurden Homosexuelle schlechter behandelt. Mit „Trans“ war damals die Transsexualität bei Erwachsenen gemeint, die einen großen Leidensdruck mit ihrem Körper erleben. Heute sprechen wir von der freien Wahl des Geschlechts als Zeichen von Selbstbestimmung – ohne über die Folgen reden zu dürfen. Wir sprechen von einer Vielzahl von Geschlechtern und – mit einer Selbstverständlichkeit – über Kinder und Jugendliche, die angeblich im falschen Körper sind. Gerade in diesem Bereich läuft vieles schief.
Inwiefern?
Es beginnt damit, dass Aktivisten fordern, Kinder und Jugendliche, die sich als „trans“ identifizieren, darin zu bestätigen und in ihrer Transition zu begleiten – sei es sozial, rechtlich oder medizinisch. Also in der Schule mit anderem Namen und Geschlecht zu führen, den Personenstand zu ändern oder hormonell und chirurgisch zu behandeln. Das hat gefährliche Folgen. Viele Länder haben dies in Teilen bereits verboten, weil Studien die massiven Schäden und Nebenwirkungen nachgewiesen haben. Die Pubertät kann man nicht einfach auf Pause stellen.
Wenn NGOs Behandlungen fordern, die Jugendliche in Gefahr bringen, müsste es dann nicht einen Aufschrei von Medizinern, Pädagogen und anderen geben, die sich mit Pubertät und Sexualität gut auskennen?
Absolut. Aber es gibt viele Gründe, warum das kaum passiert. Einer davon: Vor allem Konservative wissen, dass sie in der Vergangenheit im Umgang mit Homosexuellen viel falsch gemacht haben. Man will die Fehler nicht wiederholen, entsprechend zurückhaltend ist man nun bei der Kritik an überschießenden Forderungen von NGOs. Ein weiterer Grund: Den Aktivisten ist es gelungen, Transsexualität zum Menschenrechtsthema zu machen. In dieser falschen Logik müssen alle, die für Menschenrechte sind, für alle Forderungen der Trans-Bewegung eintreten. Und: Es wird den betroffenen Familien Angst gemacht.
Wie denn?
Eltern wird gesagt, ihre Kinder seien selbstmordgefährdet, wenn man ihnen nicht erlaubt, ihr Geschlecht selbst festzulegen und ihren Körper zu ändern. Beispielsweise hören Eltern von Töchtern dann oft den Satz „Wollen Sie einen lebenden Sohn – oder eine tote Tochter?“ Das ist ein Übergriff, der jede seriöse Diskussion verunmöglicht. Ich will nicht falsch verstanden werden: Bei Jugendlichen, die leiden, kann es zu selbstverletzendem Verhalten kommen – bis hin zur Lebensgefahr. Eine professionelle Diagnostik und Therapie sollte die Umstände klären und die Jugendlichen ergebnisoffen unterstützen, statt sie auf den Pfad der Transition zu setzen. Viele von ihnen wachsen mit Alter und körperlicher Reifung aus dem Thema heraus oder sind als Erwachsene einfach lesbisch oder schwul.
Man soll sich das Geschlecht nicht aussuchen dürfen?
Sofern wir über biologisches Geschlecht sprechen, ist das einfach nicht möglich. Die menschliche Spezies ist zweigeschlechtlich. Es gibt Männer, es gibt Frauen. Wie wir mit dieser Realität miteinander leben, ändert sich ständig und kann und soll von uns gestaltet werden. Aber unser Geschlecht ändert sich nicht.
Aber wäre es nicht einfach liberal, Vielfalt zuzulassen?
Vielfalt ja – aber innerhalb eines Regelwerks. Wenn wir als Gesellschaft keine Grenzen setzen, wird Zusammenleben schwierig. Ich will, dass jeder würdevoll und ohne Diskriminierung leben kann. Warum gibt es nach Geschlecht getrennte Krankenzimmer in Spitälern? Warum sind Duschen und Umkleiden getrennt? Männer sind im Allgemeinen und im Durchschnitt größer, schneller und stärker als Frauen. Und sie haben mehrheitlich ein sexuelles Interesse an Frauen. Die getrennten Räume sichern Privatsphäre und physischen Schutz. Wenn jeder für sich definiert, ob er eine Frau ist, wird vieles, wofür Feministinnen gekämpft haben, zerstört.
Warum tun die Trans-Aktivisten das?
Die Lesben- und Schwulenbewegung in Westeuropa hat kaum noch rechtspolitische Forderungen offen. Die rechtliche Gleichstellung ist weitgehend erreicht, auch in Österreich gibt es die Ehe für alle, das Adoptionsrecht und andere Errungenschaften. Natürlich ist es für Jugendliche auch heute herausfordernd, lesbisch oder schwul zu sein, insbesondere in konservativen Familien. Doch es hat sich vieles verbessert. Und weil NGOs und die Bewegung weiterhin politische Relevanz für sich beanspruchen, hat sich der Fokus in den letzten Jahren verstärkt auf die Trans-Thematik verlagert. Es liegt aber nicht nur am Aktivismus. In vielen Bereichen wurde die notwendige Debatte lange vermieden – aus Sorge, als rückständig zu gelten. Mittlerweile ist vieles inhaltlich völlig aus dem Gleichgewicht geraten, und es kommen Gesetzesvorschläge auf den Tisch, deren Inhalte vielen unklar bleiben und bei näherem Verständnis wohl auf breite Ablehnung stoßen würden.
Sie haben nicht nur mit Aktivisten, sondern auch mit der Partei gebrochen. Warum?
Weil die Partei eine dogmatische Haltung an den Tag legt, die keine Abweichungen zulässt. Eine NGO kann und darf vieles fordern. Als Partei, und gerade als eine, die zuletzt in einer Regierung war, muss ich diese Forderungen aber reflektieren, diskutieren und prüfen, ob sie sich auch als Parteiprogramm eignen.
Und das passiert bei den Grünen nicht?
Nicht mehr. Es herrscht eine intellektuelle und politische Faulheit, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und es finden sich kaum noch Personen, die sich die Mühe machen, von außen kommende Forderungen durchzudenken. Man müsste klar sagen: Grundhaltungen wie die körperliche Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen stehen für uns als Partei nicht zur Disposition. Auch nicht im Namen der Selbstbestimmung.
Sie sehen da wirklich reale Gefahren?
Im Parlament liegen Gesetzesanträge, die Experten bei der Geschlechtsfrage außen vor lassen. In diesen Entwürfen sind Therapeuten nur noch dafür vorgesehen, die „selbst empfundene Identität“ der Minderjährigen zu bestätigen. Das bedeutet: Kinder und Jugendliche entscheiden selbst über ihr Geschlecht, die Therapeuten müssen zustimmen. Die ÖVP blockiert das Gesetz momentan noch – zu Recht. Denn alles andere wäre verantwortungslos.
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