Minister Totschnig verteidigt Rückschritte: "Es ist zu viel Bürokratie entstanden“

Minister Totschnig verteidigt Rückschritte: "Es ist zu viel Bürokratie entstanden“
Norbert Totschnig. Der Landwirtschaftsminister (ÖVP) ist auch für Klimaschutz zuständig. Im Gespräch mit dem KURIER verteidigt er die Rückschritte beim Green Deal und ist skeptisch vor dem UN-Klimagipfel.

Heute, Dienstag, verhandeln die 27 EU-Umweltminister über die gemeinsame Position beim UN-Klimagipfel in Brasilien sowie über das Klimaziel 2040.

KURIER: Welche Umweltkrise macht dem Umweltminister eigentlich die größte Sorge?
Norbert Totschnig: Die größte Herausforderung ist ohne Zweifel das Klimathema. Der Klimawandel ist real, das zeigen alle Messungen – wir hatten zuletzt das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Es ist daher klar, dass wir gegensteuern müssen. Wir setzen auf drei zentrale Hebel: die Reduktion von Treibhausgasen, die Anpassung an den Klimawandel und die Kreislaufwirtschaft. Ohne eine funktionierende Kreislaufwirtschaft werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen.

Ihr Parteikollege Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer hat kürzlich im KURIER fast alle Klimainstrumente infrage gestellt – vom CO2-Preis über den Zertifikatehandel bis zum Verbrenner-Aus. Ist Klimaschutz für die Regierung nicht mehr prioritär?
Das Ziel der Klimaneutralität bleibt bestehen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Wirtschaft wieder wächst und die Inflation sinkt, das ist ein Ziel der Bundesregierung. Das Bekenntnis zum Klimaschutz bleibt aber aufrecht. Der Wirtschaftsminister hat etwa die Verlängerung der Gratis-Zertifikate für die Industrie gefordert, und das halte ich für absolut nachvollziehbar. Wenn etwa die Stahlindustrie auf Wasserstoff umstellt, braucht sie Zeit und Infrastruktur. Das stellt das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 aber nicht infrage.

Sie sagen 2050 – im Regierungsprogramm steht für uns 2040.
Das EU-Klimagesetz schreibt die Klimaneutralität bis 2050 fest. National haben wir uns im Regierungsprogramm vorgenommen, bis 2040 klimaneutral zu werden. Dazu soll ein Klimafahrplan erstellt werden. Das Klimagesetz, das derzeit in Arbeit ist, wird die Grundlage sein.

Beim Klimagesetz regen sich die Neos auf, dass bisher gar nicht verhandelt wurde.
Wir haben im Sommer einen Entwurf vorgelegt und die Meinungen dazu eingeholt. Gespräche laufen, ich kann dazu derzeit nur sagen: Wir führen Gespräche.

Ja, aber mit wem?
Wir führen Gespräche.

Heute, Dienstag, sind Sie beim Rat der EU-Umweltminister, bei dem es um die Klimaziele 2035 und 2040 und eine gemeinsame Position der EU bei der UN-Klimakonferenz geht. Davon scheinen wir so weit entfernt wie schon lange nicht mehr.
Es stimmt, die letzten Wochen haben gezeigt, dass es hier eine sehr vielfältige, sehr diversifizierte Diskussion auf europäischer Ebene gibt.

Die Slowakei lehnt alles ab, auf der anderen Seite sind die Dänen sehr ambitioniert. Wo positioniert sich Österreich da?
Die Dänen sind sicher sehr ambitioniert. Was Ungarn, Tschechien, die Slowakei betrifft – Ungarn stellt nicht alles infrage, sondern will nur einen anderen Zielpfad. Wir sagen ganz klar: wir stehen zu einer ambitionierten Umwelt- und Klimapolitik unter Voraussetzungen, die uns mit Rücksicht auf den Wirtschaftsstandort und Arbeitsplätze die Zielerreichung ermöglichen.

In Brüssel sieht man nur mehr Rückschritte beim Green Deal im Namen der Wettbewerbsfähigkeit und des Bürokratieabbaus. Wie geht es Ihnen damit?
Es ist zu viel Bürokratie entstanden. Deshalb arbeiten wir an Vereinfachungen, um Berichtspflichten zu reduzieren. Das Ziel Klimaneutralität 2050 bleibt, nur der Weg soll praktikabler werden.

Offenbar wird der Klimaschutz in Konkurrenz zur Wettbewerbsfähigkeit gesehen – ist das so?
Nein, im Gegenteil. Europa will beweisen, dass beides zusammengeht: Klimaneutralität und eine starke, wettbewerbsfähige Wirtschaft.

Das bringt uns zum Streit über das Verbrenner-Aus 2035. Österreich ist da skeptisch und spricht sich für „Technologieoffenheit“ aus – Sie auch?
Wir halten an der Klimaneutralität bis 2050 fest, aber der Weg dorthin muss technologieoffen bleiben. Innovation und grünes Wachstum sind der Schlüssel. Elektromobilität wird beim Individualverkehr die Hauptrolle spielen, aber im Schwerlastverkehr, in der Luftfahrt und bei den bestehenden Verbrennern brauchen wir klimaneutrale Treibstoffe.

Also E-Fuels? Die sind extrem ineffizient – nur rund 15 Prozent der eingesetzten Energie werden am Ende genutzt.
Dennoch brauchen wir für bestehende Fahrzeuge Lösungen. Wir haben in Österreich rund fünf Millionen Verbrenner auf der Straße. Auch deren Emissionen müssen sinken – daher ist ein Angebot an klimaneutralen Treibstoffen wichtig.

Greenpeace wirft Ihnen vor, Sie hätten die EU-Entwaldungsverordnung sabotiert. Wie reagieren Sie auf diesen Vorwurf?
Wir sind klar gegen die Abholzung des Regenwaldes – aber wir brauchen praxistaugliche Gesetze. Die vorliegende Verordnung ist ein Bürokratiemonster. Die will ein Problem lösen, das in Europa gar nicht existiert. Wir wollen, dass Länder ohne Entwaldungsrisiko – wie Österreich – von überzogenen Berichtspflichten ausgenommen werden. Das ist kein „Sabotieren“, das ist gesunder Menschenverstand.

Dennoch gab es zuletzt zwei Jahre, in denen Österreichs Wald mehr CO2 abgegeben als aufgenommen hat!
Ja, das bereitet Sorge. 2018, 2019 und 2023 war der Wald tatsächlich eine CO2-Quelle. Grund sind Extremwetterereignisse und der Borkenkäfer. Wir brauchen eine nachhaltige Waldbewirtschaftung, um den Wald als Senke zu erhalten. Dieses Thema bringen wir auch in die EU-Verhandlungen ein.

In wenigen Tagen startet die 30. UN-Klimakonferenz, was erwarten Sie davon?
Es wird eine harte COP, es geht um Treibhausgasreduktion, Anpassung an den Klimawandel und die Klimafinanzierung. Entscheidend wird, ob die neuen nationalen Beiträge zur Emissionssenkung mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar sind. Viele Länder zeigen derzeit zu wenig Ambition. Wir müssen aber auch verhindern, dass wieder nur über Geld gesprochen wird und nicht über konkrete Emissionsreduktionen.

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