Oekostrom-Chef zu Netzkosten in Österreich: "Das ist ein unfaires System"

Streibl leitet die Oekostrom AG, die neben dem Stromhandel und der Vermarktung knapp 40 Windkraft- und Sonnenenergieanlagen betreibt.
Ulrich Streibl, Chef der Oekostrom AG, des größten privaten Energieversorgers in Österreich, ist über Politik und Energiegesetze wenig erfreut.
Vor 20 Jahren wurde der Strommarkt in Österreich liberalisiert. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Ulrich Streibl: Die Liberalisierung ist ein Erfolgsmodell. Laut einer Studie der E-Control haben Haushalte und Unternehmen seither rund 13 Milliarden Euro gespart. Zusätzlich sind 10.000 Arbeitsplätze entstanden, und die Energiewirtschaft hat 0,4 Prozent zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Früher waren Kundinnen und Kunden bloß „Versorgungsfälle“, heute sind sie tatsächlich Kunden. Preise, Qualität und Service sind besser geworden. Ohne Liberalisierung hätten wir heute wohl noch das „Vierteltelefon“ – wie einst in der Telekombranche.
Warum dominieren dennoch der Verbund und die Landesenergieversorger den Kundenmarkt?
Natürlich würden wir uns noch mehr Wettbewerb wünschen. Wir haben in Österreich geringe Wechselraten weit unter 10 Prozent, das ist in anderen Ländern viel höher mit 15 bis 20 Prozent. Man kann deshalb aber nicht sagen, dass es kein Wettbewerb gibt, im Stromvertrieb gibt es schon ein hartes, wettbewerbliches Umfeld, unsere Margen sind immer sehr knapp, weil alle Marktteilnehmer den Strom an den Börsen kaufen müssen.
Warum wechseln die Menschen ihren Stromanbieter so wenig?
Viele wissen nicht, wie einfach das mit zwei Mausklicks ist. Viele haben auch Angst, dass plötzlich kein Strom geliefert werden könnte, das kann in Wahrheit nicht passieren, es wird immer Strom fließen. Dann scheint die Stromrechnung für viele eben nicht so relevant zu sein, wie wir glauben. Aber bei einem Wechsel gehen zehn Prozent Ersparnis fast immer, oft auch 20 oder 30 Prozent. Aber eben nur beim reinen Strompreis, der macht aber nur rund 40 Prozent der Stromrechnung aus.
Und der Rest der Stromrechnung?
Die anderen 30 Prozent sind die Stromnetze und 30 Prozent Steuern und Abgaben. Um niedrigere Energiekosten zu bekommen, hilft nur eines: der schnelle Ausbau der Erneuerbaren, das ist längst die günstigste Erzeugungsform. Tun wir das nicht, bleibt der Strompreis hoch. Bei den Netzen könnte man aber Milliarden sparen. Und bei den Steuern kann der Staat ebenfalls entlasten, weil 30 Prozent sind jedenfalls zu hoch.
Ulrich Streibl: Ökonom, Energiewirtschaftsexperte mit über 25 Jahren Erfahrung, arbeitete zuvor bei e.on und OMV, seit 2020 im Vorstand der Oekostrom AG.
Oekostrom AG: Laut eigenen Angaben größter unabhängiger Produzent und Anbieter von Strom aus 100 Prozent erneuerbaren Energiequellen. Entstand aus der Anti-Atom- und Klimaschutzbewegung vor 25 Jahren.
Stromrechnung: Verrechnet wird neben dem Energiepreis die Netzkosten (Netznutzungsentgelt, Netzverlustentgelt, Entgelt für Messleistungen) und Steuern und Abgaben – konkret eine Gebrauchsabgabe, Elektrizitätsabgabe, die Erneuerbaren-Förderkosten und die Umsatzsteuer.
Und die Stromkosten würden sinken, wenn es ausreichend erneuerbare Energieproduktion gibt?
Genau so ist. Das fossile Gas macht den Strom teuer. Wir hätten das Geld und die Flächen für mehr Windkraft und mehr Photovoltaik, aber wir nutzen es nicht. Nur um da alle Illusionen zu nehmen, wenn das nicht passiert, werden die Preise auch nicht billiger werden. Erneuerbare Energie hat Zukunft, fossile Energie hat keine Zukunft. Elektromotoren haben Zukunft, Verbrennermotoren haben keine Zukunft. Wärmepumpen haben Zukunft, Gaskessel haben keine Zukunft. Genau das ist Sache der Politik, das anzuschieben.
Wie kann man bei den Netzkosten Milliarden einsparen?
Die Netze sind ein Monopol, wie die Autobahnen oder Schienennetzen. Das ist auch sinnvoll. Aber heute braucht man für den Netzausbau 40 Prozent Eigenkapital, und der wird mit acht Prozent Rendite bewertet. Das ist absurd, weil Netze ein fast risikoloses Geschäft sind. Eigenkapital ist immer teuer. Da verdienen sich die Eigentümer der Netzgesellschaften ein schönes Körberlgeld. Zudem ist die Abschreibungsdauer mit 25 Jahren viel zu niedrig, das sollte auf 40 oder mehr Jahre erhöht werden. Drittens könnte der Staat das Monopol viel günstiger finanzieren, wenn er Garantien oder andere Finanzierungsformen zur Verfügung stellt. Damit ließe sich locker 20 Prozent der Kosten sparen, das sind Milliardenbeträge. Nur um das grundlegend zu ändern, bräuchte die Politik viel Mut, und die kann ich nicht erkennen.
In Österreich gibt es 114 Netzbetreiber – ist das auch ein Grund für die hohen Netzkosten?
Relevant sind in Wahrheit genau 10 Betreiber, das Höchstspannungsnetz der APG, die gehört dem Verbund, und die neun Landesnetze. Wobei mir kein Mensch schlüssig erklären kann, warum aus energiewirtschaftlicher Sicht Netze an den Landesgrenzen enden müssen. Die neun Betreiber müssen sich ja koordinieren und schon alleine das treibt die Kosten.
Es wird auch die Idee einer Netz-Asfinag, also eines staatlichen Fonds, diskutiert. Sinnvoll?
Ja. So eine gesamtösterreichische Lösung, die nicht an Bundesländergrenzen endet, die auf energiewirtschaftlicher Logik basiert und für eine optimale Netzplanung mit optimalen Finanzierungskosten sorgt, alles unter Aufsicht des Staates, halte ich für einen sehr guten Vorschlag.
Nun wird über ein neues Stromwirtschaftsgesetz verhandelt. Da steht unter anderem drin, dass die Stromversorger in öffentlicher Hand nicht auf Profitmaximierung setzen sollen, sondern den Strom als Gemeinwohl möglichst günstig anbieten sollen. Ist das sinnvoll aus Ihrer Sicht?
Nein, das ist nicht nötig. Die Energiewirtschaft kann rein privatwirtschaftlich organisiert sein, das ist immer die bessere Form und der Wettbewerb führt immer zu den besten Preisen. Es ist also unnötig und macht überhaupt keinen Sinn, so etwas vorzugeben. Genau das ist diese Überregulierungswut der Politik, obwohl das überhaupt keinen Regulierungsbedarf hat. Das macht das System nur schlecht und teuer und führt zu unheimlich vielen Rechtsstreitigkeiten.
Und dass es künftig Direktverträge zwischen Erzeugern und Verbrauchern gibt, ist das gut?
Ja, das ist grundsätzlich in Ordnung. Wichtig wäre aber, dass alle an den Systemkosten, also den Netzkosten, beteiligt sind, und genau das ist nicht gut geregelt im neuen Gesetz.
Aber da gab es massive Kritik, dass auch private PV-Besitzer künftig Netzkosten zahlen müssen.
So haben wir aber ein volkswirtschaftlich unfaires System. Es kann nicht so sein, dass Menschen, die sich eine Photovoltaikanlage leisten können, nichts für das Netz zahlen müssen. Das gleiche bei den Energiegemeinschaften, die auch keine Systemkosten tragen, obwohl sie das Netz brauchen. Denn das heißt, dass die Netzkosten auf den restlichen Verbrauchern hängen bleiben, die es sich nicht richten können, also etwa all jene Menschen in Mietwohnungen. Diese Regelung für Energiegemeinschaften halte ich nicht für volkswirtschaftlich fair, weil sich einige wenige dadurch Vorteile verschaffen, die die Allgemeinheit dann tragen muss.
Noch einmal zu den Netzen: Haben wir mit dem Netzinfrastrukturplan ÖNIP nicht eine Vorgabe für den Netzausbau?
Leider ist das nicht mehr als eine höfliche Empfehlung. Die Entscheidungen werden bei den neun Landesenergiebetreiber getroffen, die neun Verwaltungen und neun eigene Blickwinkel auf die Welt haben und Entscheidungen treffen, die sie mit den anderen neun abstimmen müssen. Da kann mir niemand erzählen, dass das volkswirtschaftlich effizient ist. Darüber sollten wir jetzt reden, aber es braucht den Mut zu Veränderung, und den sehe ich nicht.
Weil Österreich ein föderaler Staat mit neun Bundesländern ist?
Naja, da sind wir alle Österreicher genug, um zu verstehen, dass die föderalistische Struktur am schwierigsten zu ändern ist. Dabei macht die althergebrachte Struktur viele Schäden, eben weil es nicht volkswirtschaftlich effizient ist. Egal ob bei der Bildung oder bei der Gesundheit, da müssen wir aufhören, uns an Ländergrenzen zu orientieren. Mir ist aber klar, so etwas zu verändern, ist wirklich schwer. Dazu bräuchte es einen Impuls, der von der Politik aufgegriffen wird, dass wir etwas ändern wollen. Aber auch diese Regierung hat von Anfang an gesagt: wir ändern nichts, nichts bei Pensionen, im Gesundheitssystem oder bei den Ladenöffnungszeiten. Daher glaube ich auch nicht, dass sich bei der Netzstruktur etwas ändern wird.
Dabei werden die hohen Stromkosten immer wieder genannt als wesentliches Problem für den Wirtschaftsstandort Österreich.
Das ist alles schädlich für den Wirtschaftsstandort Österreich. Wir betreiben insgesamt keine unternehmensfreundliche Wirtschaftspolitik, die Unternehmen nach Österreich zieht oder Unternehmen hier hält. Es entstehen deshalb auch keine Arbeitsplätze mehr in Österreich in der Privatwirtschaft, weil es so schwierig ist, hier zu reüssieren. Es entstehen nur noch Arbeitsplätze beim Staat. Die Staatsquote ist inzwischen bei 56 Prozent. Von einhundert in Österreich verdienten Euro holt sich der Staat 56 Euro. Dabei hatten wir einmal den Bundeskanzler Sebastian Kurz, der sagte, die Staatsquote muss unter 40 Prozent. Passiert ist das Gegenteil, Unternehmen werden mit aberwitzigen Bürokratielasten überzogen, Unternehmen kriegen Sondersteuern, wie die Bankenabgabe oder den Energiekrisenbeitrag Strom, der bis 2030 geht. Es gibt aber gar keine Energiekrise, das sind einfach Sondersteuern. Verwaltet wird also weiterhin nur der Stillstand.
Kommentare