Strasser-Prozess: Karas als Zeuge der Anklage

Strasser-Prozess: Karas als Zeuge der Anklage
Der Angeklagte wird diese Nacht nicht sehr gut geschlafen haben. Denn mit Othmar Karas wird heute der wichtigste Zeuge der Anklage gegen ihn aussagen.

Das Gericht darf sich von Karas’ Aussage eine Antwort auf die entscheidende Frage erhoffen: Wollte Strasser die von den vermeintlichen Lobbyisten vorgelegten Gesetzesänderungen tatsächlich im EU-Parlament einbringen, um dafür später Bares kassieren zu können? Strasser hatte „seine“ Gesetzesänderungen bei Karas mehrfach urgiert, ohne ihn zu informieren, wer und was dahintersteckt. Der Rest ist bekannt: Die Lobbyisten waren undercover-Journalisten, die im EU-Parlament auf der Jagd nach käuflichen Abgeordneten waren.

Persönliche Niederlage

Karas ist aus gutem Grund Ernst Strasser nicht gerade wohlgesonnen. Strasser wurde von den ÖVP-Granden ihm gegenüber mehrmals bevorzugt: Bei den Koalitionsverhandlungen 2008 fühlte sich Karas düpiert, weil Strasser – und nicht er – die außenpolitischen Verhandlungen anführte. Karas sah damit seine Chancen, neuer Außenminister zu werden, schwinden. Wenige Monate später dann die nächste Erniedrigung aus der ÖVP-Parteizentrale: Karas sah sich als „logischer“ Spitzenkandidat der ÖVP für die EU-Wahl 2009. Der Schock war groß, als der damalige ÖVP-Chef Josef Pröll plötzlich Strasser zum Spitzenkandidaten machte. Die Überlegung Prölls war, dass Strasser das bessere, wenn auch polarisierendere Zugpferd im Wahlkampf wäre. Karas galt als EU-freundlicher Langeweiler. Weiterer Beweggrund: Strasser stehe loyaler zur ÖVP, Karas kritisierte die ÖVP-Europapolitik aus dem fernen Brüssel zunehmend leidenschaftlich.

Der EU-Wahlkampf schaukelte sich zu einem Match Strasser gegen Karas hoch, zu einem Streit um grundsätzlich verschiedene Politikstile und gegensätzliches Verständnis der EU. Ergebnis war ein überraschender Wahlsieg der ÖVP – und erstaunliche 112.954 Vorzugsstimmen für Karas. Trotz dieses Triumphs verlor Karas danach gleich wieder ein Match gegen Strasser; dieser wurde von allen anderen ÖVP-Abgeordneten zum Delegationschef gewählt.

Es sollte seine letzte Niederlage gegen Strasser gewesen sein. Jetzt darf Karas über seinen Parteifreund vor Gericht Zeugnis ablegen. Über jenen Mann, der ihn hintergangen und beinahe hereingelegt hat. Für ein Gefühl wie Rache scheint Karas zu anständig zu sein; aber Genugtuung wird er heute im Zeugenstand wohl verspüren.

Strasser, für den die Unschuldsvermutung gilt, droht bei einer Verurteilung eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren.

Seit Montag vergangener Woche sitzt Ernst Strasser wegen Bestechlichkeit auf der Anklagebank im Wiener Straflandesgericht – es drohen ihm bis zu zehn Jahre Gefängnis. Der studierte Jurist, einstige Innenminister und ehemalige Delegationsleiter der ÖVP im Europäischen Parlament soll im November 2010 zwei als Lobbyisten getarnten britischen Journalisten bei einem Abendessen angeboten haben, für ein Honorar von 100.000 Euro die Gesetzgebung im EU-Parlament zu beeinflussen.

Im Mittelpunkt des Prozesses stehen die Videobänder, welche die als Mitarbeiter der angeblichen Lobbyingagentur Bergman & Lynch getarnten Journalisten bei den Treffen mit Strasser heimlich mitlaufen ließen. Strasser sagt dort: „Mir ist es lieber, wir haben einen Vertrag auf, sagen wir, jährlicher Basis ... ich bin nicht wirklich ein Fan davon, Stunden zu zählen ... also meine Klienten zahlen mir im Jahr 100.000 Euro, ja.“

Dafür könne er wunschgemäß jedes von den „Gutmenschen“ im EU-Parlament behandelte Thema beeinflussen, seien es der Anlegerschutz oder gentechnisch veränderte Nutzpflanzen. Alles nur Provokation, um die Journalisten, die er für Geheimdienstler gehalten habe, aus der Reserve zu locken, sagt Strasser jetzt.

Im Zuge der Lobbygate-Affäre wurden auch unmoralische Angebote anderer EU-Politiker publik - darunter Adrian Severin (Rumänien), Zoran Thaler (Slowenien) und Pablo Zalba Bidegain (Spanien). Thaler trat nach dem Skandal zurück, die anderen beiden Mandatare sind nach wie vor im EU-Parlament tätig.

Strasser musste nach der Veröffentlichung der Videos Ende März 2011 auf Drängen der VP zurücktreten. Das Urteil soll im Jänner fallen.

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