"Stiller Tod der Justiz": Personalloch bei Gerichten jetzt noch größer

Der Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts
Die grüne Justizministerin Zadić will „Trendwende“ geschafft haben, für die Richter habe sich laut deren Präsident Kanduth die Lage aber verschlimmert. 200 Planstellen fehlen im nächsten Jahr.

Als Clemens Jabloner 2019 als Justizminister der Übergangsregierung warnte, „Die Justiz stirbt einen stillen Tod“, war der Aufschrei groß. 

Seine Nachfolgerin Alma Zadić heftet sich auf die Fahnen, die „unabhängige Justiz“ gestärkt und den „stillen Tod“ verhindert zu haben. Erst im Vorjahr freute sie sich nach den Budgetverhandlungen, dass im Justizbereich eine „Trendwende“ gelungen sei.

Was nicht ins Bild passt: Bei den Bezirks- und Landesgerichten – einem nicht unwesentlichen Teilbereich der Justiz – fehlen mit Ende des Jahres 168 richterliche Planstellen. 2019 fehlten 84, also nur halb so viele. Gernot Kanduth, Präsident der Richtervereinigung, sagt zum KURIER: „Bei aller Wertschätzung für das Engagement der Justizministerin für die unabhängige Justiz: Die nackten Zahlen zeigen, dass wir jetzt einen deutlich stärkeren Fehlbestand haben als zu Beginn ihrer Amtszeit.“

Die 168 fehlenden Planstellen sind keine Fantasiezahl, sie leiten sich laut Kanduth aus einem Modell ab, das im Justizministerium angewendet wird – der sogenannten „Personalanforderungsrechnung“ (PAR). Demnach sind die Zivilgerichte derzeit zu 120 Prozent und die Strafgerichte zu ca. 107 Prozent ausgelastet – und damit jeweils überlastet.

Sparkurs gestoppt, aber …

Dass das Loch bei den Gerichten heute doppelt so groß ist wie vor fünf Jahren liege aber nicht daran, dass die Justizministerin untätig war. In Summe stieg das Budget in ihrer Amtszeit von 1,6 auf 2,4 Milliarden Euro pro Jahr, 650 neue Planstellen sind laut Auskunft des Justizministeriums geschaffen worden. Die Staatsanwaltschaften bekamen 70 Planstellen, eine Aufstockung beim juristischen Hilfspersonal, neue Medienexperten und ein IT-Forensikzentrum. Die Richterschaft bekam ebenfalls 70 Planstellen und Supportpersonal.

Wo liegt also das Problem?

Erstens, so Richter-Präsident Kanduth, seien die Anfallszahlen in den letzten fünf Jahren massiv gestiegen, zweitens sei im Zuge der Reformen im Justizbereich der personelle Mehrbedarf nicht ausreichend berücksichtigt worden. Zu den Anfallszahlen erklärt er: „Unter anderem ist es ein bekanntes Phänomen, dass in Krisenzeiten immer mehr gerichtsanhängige Fälle anfallen, vor allem im Bereich der Zivilgerichte. Dazu kommen dann wegen der wirtschaftlichen Lage vermehrt Insolvenzverfahren.“

Ein aktuelles Beispiel: Für die KTM-Pleite in Mattighofen ist das Landesgericht Ried im Innkreis (OÖ) zuständig. Dort gibt es einen einzigen Richter, der für Insolvenzrecht zuständig ist und jetzt diese komplexe Causa mit zig Gläubigern mit seinem angestammten Kanzleipersonal stemmen muss.

Wenn die nächste Regierung nun – wie zu befürchten ist – ein Sparpaket schnürt und dabei auch in der Justiz ansetzt, dann werde das in weiterer Folge auch die Volkswirtschaft und den Standort Österreich schwächen, sagt Kanduth: „Weil jedes Verfahren, das länger dauert, und jede Insolvenz, die nicht zeitgerecht abgehandelt wird, zulasten der Gläubiger und damit der Wirtschaftstreibenden geht.“

Neue Herausforderungen

Gefordert werden von der Richtervereinigung nun 200 neue Planstellen. Herausforderungen, die 2025 zusätzlich auf die Gerichte zukommen, sind miteingerechnet (siehe Kasten oben). Kosten würde das zusätzlich 30 Millionen Euro pro Jahr. Nebenbei erwähnt: Den neuen Verteidigerkostenersatz lässt sich die Republik künftig 70 Millionen Euro pro Jahr kosten.

Im Büro der Justizministerin bleibt man trotz Kritik dabei: Die Ministerin habe sich „gegen größten Widerstand in den Budgetverhandlungen vehement dafür eingesetzt, den davor jahrzehntelang erfolgten radikalen Sparmaßnahmen entgegenzuwirken und den viel zitierten stillen Tod in der Justiz abzuwenden“.

Zadić unterstützt auch die Forderung nach zusätzlichen Planstellen der Richtervereinigung, wie es auf KURIER-Anfrage heißt. Ihrem künftigen Nachfolger im Amt gibt sie mit auf den Weg: „Es wird Aufgabe der nächsten Regierung sein, wie auch immer diese aussehen wird, den erfolgreichen Weg fortzusetzen und dafür die notwendigen finanziellen Rahmenbedingungen zu schaffen.“

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