Nach EU-Wahl: "Immense Belastung für Koalition"

Nach EU-Wahl: "Immense Belastung für Koalition"
Kluft zwischen SPÖ und ÖVP vertieft, die Steuersenkung wird zur Existenzfrage.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer ist besorgt. Die Regierung kommt nicht wirklich in Schwung, und ihr Ansehen bei der Bevölkerung war schon besser. "Es ist eine immense Belastung für die Koalition, weil kein Mensch versteht, warum man keine steuerliche Entlastung macht und in der Regierung nicht einmal darüber redet", sagt Hundstorfer im Gespräch mit dem KURIER.

Tatsächlich steht im Koalitionspakt, dass im Jänner 2014 eine Arbeitsgruppe für eine Steuerreform eingerichtet wird. Bis heute, 1. Juni, gibt es sie jedoch noch nicht. Jetzt macht der ÖGB Druck, dass die Arbeitsgruppe endlich eingesetzt wird. Bis Ende 2014 verlangt der ÖGB durchgerechnete Konzepte, damit man 2015 schrittweise mit der Umsetzung der Steuerreform beginnen kann.

Vordringlich ist, dass die kalte Progression, die die Lohnzuwächse frisst, gedämpft wird. Außerdem muss so schnell wie möglich der Eingangssteuersatz sinken, am besten auf 20 Prozent. Die Gegenfinanzierung einer Steuersenkung ist aus SPÖ-Sicht keine große Hexerei. "Wenn man die Einkommen entlastet, bekommt der Staat sehr viel sofort wieder über den Konsum und die Umsatzsteuer zurück", sagt Hundstorfer. "Das wirkt vor allem bei den kleineren Einkommen."

Der Rest kann aus SPÖ-Sicht aus einer Mischung aus Einsparung und Millionärssteuer finanziert werden. Hundstorfer: "Warum Michael Spindelegger unbedingt die 83.000 Millionäre in Österreich schützen will, verstehen weder die wirklich Reichen noch viele in seiner Partei." Dass der ÖVP-Vorstand am vergangenen Montag eine Lohnsteuersenkung auch noch an die Bedingung knüpfte, dass gleichzeitig Unternehmenssteuern gesenkt werden müssen, hält Hundstorfer für nicht notwendig. Denn mit der Lohnsteuer sinke ohnehin auch die Einkommensteuer, womit Zigtausende Ein-Personen-Unternehmen im gleichen Ausmaß wie die Arbeitnehmer entlastet würden. "Viele von diesen Kleinunternehmern schrammen an der Armutsgrenze, für sie wäre eine Steuersenkung ebenfalls eine echte Erleichterung", sagt Hundstorfer.

Der Sozialminister drängt, dass man sich in der Regierung "endlich zusammensetzt und um eine Lösung bemüht".

Der Druck der SPÖ für eine Steuersenkung ist ernst zu nehmen. Angefangen hat es mit den Gewerkschaften, die den Zorn ihrer Mitglieder in den Betrieben zu spüren bekommen, dass die Steuer die Löhne frisst. Detto bei den Pensionisten: die mageren Pensionserhöhungen wandern zu zumindest 36,5 Prozent sofort wieder zurück an den Staat.

Seit dem mauen EU-Wahlergebnis ist den Parteioberen klar, dass Feuer am Dach ist. Sonst fallen sie nämlich beim Publikum durch: Kanzler Werner Faymann im Herbst auf dem SPÖ-Parteitag bei den Delegierten; und Bürgermeister Michael Häupl bei der Gemeinderatswahl 2015 bei den Wienern.

Ihr gemeinsames Problem: Ausgerechnet der Vizekanzler und Finanzminister gehört zu jenem Teil der ÖVP, der sich gegen eine Lohnsteuersenkung sträubt.

Die SPÖ hofft nun, dass innerhalb der ÖVP der Druck auf Spindelegger steigt.

Anzeichen dafür gibt es: Im ÖGB sind die Christgewerkschafter mit den Sozialdemokraten auf einer Linie. Schwarze Arbeitnehmervertreter wollen notfalls sogar per Volksvotum eine Steuersenkung ertrotzen.

In jenen Ländern, wo es 2015 Landtagswahlen gibt, ist eine Steuersenkung – no na – sehr gefragt. Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer spricht sich genau so dafür aus wie die steirische ÖVP.

Andererseits erscheint es unwahrscheinlicher denn je, dass sich diese Bundesregierung noch zu Bahnbrechendem durchringen kann. Denn das EU-Wahlergebnis hat die Kluft zwischen SPÖ und ÖVP erneut vertieft.

Auf der einen Seite kommt die SPÖ unter Druck – siehe oben –, nach Bankenrettung und Sparpaketen endlich etwas für die Arbeitnehmer durchzusetzen. "Unsere Leute haben den Eindruck, die ÖVP tanzt uns auf der Nase herum", sagt ein Spitzen-SPÖler.

Hingegen fühlt sich die ÖVP durch den EU-Sieg über die SPÖ beflügelt. Ganze drei Prozent vor "den Roten" – das ließ am Wahlsonntag unter schwarzen Spitzenfunktionäre Hochgefühl aufkommen. "Wir müssen jetzt bald die Ansage machen, dass das die letzte Koalition mit der SPÖ war. Für die Zukunft müssen wir uns alle Partner offen lassen, auch die FPÖ", sagte ein ÖVP-Promi. Den ungeliebten Koalitionspartner abschütteln, Erster werden, wieder selbst den Kanzler stellen – das waren die Träume von ÖVP-Spitzenfunktionären am EU-Wahlabend. Dass die derzeitige Regierung noch viereinhalb Jahre im Amt ist, mochte sich keiner von ihnen vorstellen.

Möglicherweise ist die Koalition ja früher zu Ende, als die ÖVP erträumt. Denn Faymann wird sich hüten, bei der Steuersenkung klein beizugeben. Als Alfred Gusenbauer im Frühjahr 2008 eine Steuerreform der Koalition mit der ÖVP opferte, war er zwei Monate später als SPÖ-Chef Geschichte.

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