Start des U-Ausschusses: Die Kanzlerpartei im Visier
Allein die Zahlen rundum sind enorm: Wenn kommenden Mittwoch die Befragungen im ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss mit Kanzler Karl Nehammer beginnen, hat die Verwaltung eine logistische Großtat vollbracht: 1.956 Ordner mit rund einer halben Million Dokumenten wurden an den U-Ausschuss geliefert; damit die teils höchst sensiblen Dokumente vertraulich gelagert werden können, wurden Stahlschränke im Wert von 15.000 Euro angeschafft. Die enorme Menge an Unterlagen ist dem umfangreichen Untersuchungsgegenstand geschuldet – es sind vier Themenfelder abgesteckt.
Wie leicht oder schwer sich die Abgeordneten in den 28 veranschlagten Sitzungstagen tun werden, ist offen. Fest steht: Einer der zentralen Zeugen wird fehlen. Thomas Schmid, dessen Chats zu Ermittlungen und letztlich auch diesem U-Ausschuss geführt haben, hat seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt und ist für das Parlament damit vorerst nicht greifbar.
Der U-Ausschuss benötigt die großen Namen wie Kanzler Karl Nehammer (er macht den Auftakt am Mittwoch), damit die Öffentlichkeit hinblickt. Doch geübte U-Ausschuss-Beobachter wissen – die großen Namen liefern einen verbalen Zick-Zack-Kurs, um bisweilen mit absurden Antworten den Fragen auszuweichen (Stichwort: „Ich habe keinen Laptop“).
Die interessanten Informationen liefern meist die weit weniger prominenten Auskunftspersonen – weil sie keine Beschuldigten in einem Strafverfahren sind und daher kein Recht auf Entschlagung haben. Oder weil es Beamte sind, die endlich die Bühne des U-Ausschusses nützen wollen, um zu sagen, was im Verwaltungssystem wirklich alles faul ist.
Großinvestor Siegfried Wolf hat beispielsweise für Mittwoch abgesagt. Da er Beschuldigter in einem Strafverfahren rund um seine Steuercausa ist, ist von ihm ohnehin keine große Auskunftsfreudigkeit zu erwarten. Weit interessanter dürften da die Aussagen von den Sektionschefs im Finanzministerium und vor allem vom Leiter des Finanzamts in Wiener Neustadt werden. Was lief bei Wolf im Hintergrund ab? Wie groß war der Druck vom damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling (er ist auch als Auskunftsperson geladen) und Thomas Schmid (er ist geladen, kommt aber nicht)?
Eine Show garantiert der Auftritt von Peter Pilz. Der Ex-Abgeordnete will mit seiner Aussage vor allem Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (auch er wird aussagen müssen) unter Druck bringen – er kündigt seit Wochen an, dass er im Besitz von neuen Chats sei, die rund um den Vorwurf des Postenschachers brisant seien.
Mit Interesse sollte man die Aussage von Michael Kloibmüller verfolgen. Dem Ex-Kabinettschef im Innenministerium wurde das Handy gestohlen, seine Chats sind Pilz’ Munition. Einiges aufklären in Bezug auf Postenschacher muss und will auch Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter. Auch Wolfgang Peschorn, der Chef der Finanzprokuratur, kann Interessantes über die Studien im Finanzministerium erzählen. Und last but not least waren die Auftritte der WKStA-Staatsanwälte wie Matthias Purkart bis jetzt immer ein Highlight.
Was der neue U-Ausschuss klären soll
Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind bisweilen schwer zu überblicken – bei all den Themen und angesichts der Dutzenden Zeugen verliert man leicht den Überblick. Das gilt auch für den bevorstehenden ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss. Denn auch diesmal stehen höchst unterschiedliche Vorwürfe im Raum.
1. Die Vergabeverfahren
Hier geht es, vereinfacht gesagt, um die Frage, ob ÖVP-geführte Ministerien Geld der Steuerzahler verschwendet oder veruntreut haben, indem Aufträge an ÖVP-nahe Unternehmen vergeben bzw. für die ÖVP nützliche Aufträge erteilt worden sind. Exemplarisch sei das „Beinschab-Österreich-Tool“ erwähnt. Hier geht es um den Vorwurf, Meinungsforscherin Sabine Beinschab habe Umfragen im Sinne der ÖVP durchgeführt, deren Kosten unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen vom Finanzministerium beglichen wurden.
2. Malversationen bei Bundesbeteiligungen
Haben die ÖVP bzw. ihre Vertreter Unternehmen, an denen der Bund direkt oder indirekt beteiligt ist, für ihre Zwecke missbraucht? Das ist der Vorhalt, der in diesem Themenkreis geklärt werden soll. Der augenscheinlichste Fall ist der des gefallenen ÖBAG-Chefs Thomas Schmid, der sich, wie Chats nahelegen, selbst den Chef-Posten in der ÖBAG „zurechtgezimmert“ hat.
3. Behinderung von Ermittlungen
Einer der schwerwiegendsten Vorwürfe, die man Verwaltungsbeamten und Ministern machen kann, ist, dass sie den Rechtsstaat behindern würden. Genau das wird in diesem Themenkomplex aber aktiven bzw. ehemaligen Spitzenbeamten wie Christian Pilnacek und Michael Kloibmüller vorgeworfen. Konkret sollen sie „in für die ÖVP politisch relevanten Fällen“ ihre Befugnisse missbraucht und beispielsweise die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) „schikanös“ behandelt haben.
4. Vetternwirtschaft
Ausschreibungen sollen „maßgeschneidert“ und Planstellen durch politische Büros von ÖVP-Regierungsmitgliedern besetzt worden sein. Das ist ein weiterer zu untersuchender Vorwurf. Es könnte dadurch „möglicher Schaden für den Bund“ entstanden sein, heißt es. Wie? Indem Posten vorzeitig neu besetzt bzw. Jobs überhaupt neu geschaffen wurden, um ÖVP-Parteigänger zu bevorzugen.
Die Fraktionsführer
Andreas Hänger - der Ausputzer
Seine Karriere lässt sich kurz und bündig so beschreiben: Vom unbekannten Hinterbänkler im Parlament avancierte er zum Bulldozer der ÖVP. Im letzten Drittel des Ibiza-U-Ausschusses übernahm Andreas Hanger (53) von Wolfgang Gerstl den Job als ÖVP-Fraktionsführer. Schnell machte sich der Niederösterreicher mit der markanten Igelfrisur einen Namen als Ausputzer. Er sprach von einem „Unterstellungsausschuss“, er attestierte, dass es in der Justiz „linke Zellen“ gebe. Doch nun, zum Start des ÖVP-U-Ausschusses, kommt Hanger mit einer neuen Masche: Er will verbinden, bezeichnet sich selbst als „geläutert“. Eine echte Wandlung oder nur eine neue Strategie? Hanger beteuert, er sei tatsächlich geläutert. Wie kam es dazu? Auslöser soll der Chat von Thomas Schmid in der Siegfried-Wolf-Steuer-Causa gewesen sein, wo Schmid von der „Hure für die Reichen“ sprach. Da nutzte auch die beste Teflonbeschichtung nichts mehr.
Stephanie Krisper - die Hartnäckige
Sie spricht mit leiser Stimme – sodass manche Auskunftspersonen oft Schwierigkeiten haben, ihre Fragen akustisch zu hören. Ihre Stimme scheint sanft zu sein, der Charakter der Neos-Abgeordneten ist dafür umso hartnäckiger. Die 41-jährige dreifache Mutter wird von einem Gerechtigkeitssinn angetrieben, eine Zeit lang habe sie überlegt, Richterin zu werden, sagt Krisper. Mit diesen Attitüden entwickelte sie sich schnell zum Feind Nummer 1 für die Volkspartei. Sie verfasste so viele parlamentarische Anfragen wie kaum eine Abgeordnete – mehr als 500 sind es schon. Sie zeigte Sebastian Kurz wegen Falschaussage im U-Ausschuss an.
Ihr politisches Leibthema ist eigentlich ein anderes. Im Jusstudium stieß sie darauf: die Menschenrechte. „Es ist mir ein Bedürfnis, dass jeder gleiche Chancen hat“, sagt sie. Deswegen reist Krisper – wie erst kürzlich – nach Kroatien, um Pushbacks von Flüchtlingen an der EU-Grenze zu recherchieren.
Nina Tomaselli - die Gratwanderin
Sie hat vermutlich den schwierigsten Job von allen Fraktionsführern: Nina Tomaselli (36) führt das grüne Team im U-Ausschuss. Genügt sie dem Anspruch, den ihre Partei für sich stellt, nämlich für maximale Transparenz und Aufklärung zu sorgen, könnte es für den Koalitionspartner schnell ungemütlich werden; ist sie zu nachsichtig und lasch, wurmt das grüne Funktionäre und Wähler. Wie also legt sie’s an? Laut Tomaselli „gab es einen Machtzirkel von jungen Männern, die das Land getäuscht haben“. Ja, es werde für die ÖVP wohl unbequeme Momente im Ausschuss geben. „Aber für uns Grüne ist klar, wo wir stehen: auf der Seite der Aufklärung.“ Sieht das die ÖVP genauso? Tomaselli gibt sich optimistisch: „Die Clique rund um Sebastian Kurz ist nicht übermäßig an Aufklärung interessiert. Amtierende ÖVP-Spitzen haben jedoch versichert, an der Aufklärung im U-Ausschuss mitwirken zu wollen. Wir werden die ÖVP an ihren Taten messen.“
Kai Jan Krainer - der Chefankläger
Rhetorisch begabt, hat sich der im urbanen Wien sozialisierte Langzeitparlamentarier (Krainer ist seit 20 Jahren Abgeordneter) mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im vergangenen U-Ausschuss eine beträchtliche Anzahl an Debatten zur Geschäftsordnung geliefert. Krainer hält Sobotkas Vorsitzführung – gelinde gesagt – für daneben. Mit Neos-Mandatarin Krisper bildet der 53-Jährige ein ernst zu nehmendes Oppositionsduo, dem gelingt, woran andere Abgeordnete grundsätzlich scheitern, nämlich: eine schlüssige Geschichte zu erzählen, die Nicht-Insider verstehen. Dass die Ergebnisse der Befragungen für Krainer oft schon am Tag vor der Befragung festzustehen scheinen, ist ein anderes Thema. Krainer führt die Auseinandersetzung mit der ÖVP mit großer Leidenschaft. Die Schmid-Chats, die zu Ermittlungen und dem U-Ausschuss geführt haben, hält er für „erschütternd“. Im Hinblick auf die ÖVP sind sie für ihn aber „nicht überraschend“.
Christian Hafenecker - der Pragmatiker
Eines muss man dem früheren Generalsekretär der Freiheitlichen lassen: Christian Hafenecker (41) hat es de facto geschafft, dass die vom früheren Chef der FPÖ ausgelöste Ibiza-Affäre bzw. der entsprechende Untersuchungsausschuss wenig bis gar nichts mehr mit der FPÖ zu tun hatten. Schon klar: Mit den Chat-Nachrichten von Thomas Schmid fanden sich lohnende andere politische Spuren, die angesichts der längst erfolgten Rücktritte von Heinz-Christian Strache und Konsorten politisch relevanter waren. Aber dennoch: Dem rhetorisch durchaus geschickten FPÖ-Fraktionsführer ist es gelungen, Seite an Seite mit SPÖ und Neos die politische Oppositionsbühne zu bespielen. Liegt es daran, dass er politisch pragmatischer und leichter einzuschätzen ist als Parteichef Herbert Kickl? Liegt es daran, dass SPÖ, Neos und FPÖ eine tiefe Abneigung gegen die frühere VP-Führungsriege eint? Vermutlich ist es von allem ein bisschen.
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