SPÖ-Wirtschaft über Arbeitszeitverkürzung: "Debatte zur Unzeit"

Pamela Rendi-Wagner und Andreas Babler fordern die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Hans Peter Doskozil einen Mindestlohn von 2.000 Euro. Parteikollege Marcus Arige, Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Wien (SWV Wien), lehnt beides deutlich ab und stellt die Wirtschaftskompetenz der SPÖ infrage.
KURIER: Pamela Rendi-Wagner und Andreas Babler fordern die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Hans Peter Doskozil einen Mindestlohn von 2.000 Euro. Welche dieser Visionen teilen Sie?
Marcus Arige: Keine davon, diese Debatte kommt zur Unzeit. Da entsteht gerade etwas, das bei jenen Betrieben Ängste schürt, die ohnehin nicht wissen, wie sie die hohen Kosten noch stemmen sollen. Ich rede nicht von Großbetrieben, sondern vom kleinen Gasthaus, dem Installateur oder dem Tischler. Wir tun in Europa so, als wären wir ein Kontinent der Seligen, dabei kommen riesige Herausforderungen gleichzeitig auf uns zu: neue Technologien, der Strukturwandel, die Energiewende und vor allem der demographische Faktor.
Welche Debatte wäre sinnvoller?
Zum Beispiel eine über die Lohnnebenkosten, die halbiert gehören. Oder, wie man Arbeitszeit generell besser verteilt. Ich kenne viele Menschen, die lieber am Abend arbeiten würden. Das ist für den Betrieb aber teurer, weil Zuschläge anfallen. Wir brauchen eine generelle Debatte über zu strikte Arbeitszeiten und wie das Wirtschaftssystem in den kommenden Jahrzehnten ausschauen kann.
Ist es also linker Populismus, wenn die SPÖ jetzt über Arbeitszeitverkürzung debattiert?
Es sind schnelle Headlines, die falsche Hoffnungen bei den Menschen wecken. Das führt erst recht zu Politikverdruss. Den Transformationsprozess in Richtung Klimaneutralität werden vor allem die Kleinbetriebe schultern. Wenn uns dort Arbeiter fehlen, weil Fachkräfte weniger arbeiten oder Niedrigqualifizierte plötzlich 2.000 Euro netto verdienen und zu teuer sind, ist das Wahnsinn. So weit sind wir nicht einmal in den 80er-Jahren gegangen, als die 35-Stunden-Woche gefordert wurde.
Argumentiert die SPÖ an den kleinen Unternehmen vorbei?
Sie hat sie nicht ausreichend im Blick. Wir werden in den nächsten Jahren einen unglaublichen Verteilungskampf um Arbeitskräfte haben: zwischen Großbetrieben, der öffentlichen Hand und KMUs. Schon jetzt bilden kleine Betriebe Arbeitskräfte aus, die dann zum Beispiel von großen Bauunternehmen abgeworben werden. Ich verüble das den Jungen nicht. Aber auf den Ausbildungskosten bleiben die Kleinbetriebe sitzen, die dann niemanden haben, um ihre Aufträge zu bewältigen.
Wie schaut es mit der wissenschaftlichen Evidenz aus? Eine US-Studie hat ergeben, dass Angestellte, die nur vier statt fünf Wochentage arbeiten, weniger Stress haben und genauso produktiv sind.
Ein Koch oder Kellner, der nicht da ist, kann gar nicht produktiv sein. In der Gastronomie gibt es an Schließtagen keine Produktivität. Und die Konsumenten essen deshalb auch nicht an anderen Tagen mehr. Das geht nur in Branchen, wo Kopfarbeit und keine Anwesenheit gefordert ist.

Kennen Sie Betriebe, die eine 32-Stunden-Woche ausprobiert haben und gescheitert sind?
Ich habe in den vergangenen Wochen immer wieder Kontakt mit Betrieben aufgenommen, wo es heißt, sie hätten eine Vier-Tage-Woche umgesetzt. Es sind derzeit nur wenige Einzelfälle, von denen ich keine Evidenz heraushören kann. Bei vielen gilt jedenfalls nicht der volle Lohnausgleich, da verdienen die Mitarbeiter aliquot weniger.
Was hören Sie sonst?
In Gesprächen mit Unternehmen fragen mich diese, ob die Politik noch ganz bei Sinnen ist. Problem Nummer eins für die Betriebe ist der Arbeitskräftemangel. Mangel bedeutet, dass ich nicht genügend Menschen habe, um die Stunden, die ich leisten will, abzudecken. Eine Arbeitszeitverkürzung verstärkt dieses Problem. Wo soll man die Menschen finden, die diese Lücke schließen? Die Arbeit wird nicht weniger.
Sehen Sie eine Präferenz für Rendi-Wagner, Babler oder Doskozil im Wirtschaftsflügel der SPÖ?
Ich glaube, dass das Thema Wirtschaftskompetenz in der SPÖ generell noch sehr viel Luft nach oben hat. Ich würde mir einen intensiveren Dialog mit uns wünschen. Und zwar nicht ausgehend von der Prämisse, dass wir die bösen Manchester-Kapitalisten sind, sondern wie wir gemeinsam ein Gesamtkonzept entwickeln können.
Immer mehr Menschen wollen kürzer arbeiten. Das ist ein klarer Trend. Was gehört denn politisch unternommen, um den umzudrehen?
Den Trend werden wir nicht sofort umdrehen. Was jedenfalls immer mehr verloren geht: Dass man sich in Österreich mit einem durchschnittlichen Einkommen etwas aufbauen kann. Warum wird also der Faktor Arbeit unendlich besteuert, während Unternehmen für Maschinen und Algorithmen, die Wertschöpfung generieren, nicht in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen müssen? Wir brauchen eine grundlegende Reform.
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