SPÖ-Urgestein: „Den schwersten Fehler machte Gusenbauer“

Der ehemalige Betriebsrat und SPÖ-Mitglied seit vielen Jahren liest seiner Partei die Leviten.
Stimme von der Basis. Franz Schuh war Betriebsrat in einem roten Unternehmen. Er sagt, warum die SPÖ in der Krise ist.

„Rot bis in den Tod“ – eine politische Attitüde, die de facto vom Aussterben bedroht ist. In der Familie Schuh wird diese Tradition seit drei Generationen gelebt. Großvater und Vater waren überzeugte Sozialdemokraten – auch Franz Schuh (64) schlug diesen Weg ein. „Ich kannte nichts anderes.“

1977, mit 22 Jahren, in der Hochblüte von Bundeskanzler Bruno Kreisky, wurde der gelernte Karosseriespengler SPÖ-Mitglied. „Alle zwei Monate spürten wir damals, dass es im Lohnsackerl eine finanzielle Steigerung gab. Das war ein Wahnsinn. Plötzlich konnte man sich ein Motorrad, eine Stereoanlage oder einen Strandurlaub leisten. Die Arbeiter konnten zu einem bescheidenen Reichtum kommen“, erzählt er. Später wurde er Betriebsrat von Simmering-Graz-Pauker, einem Paradeunternehmen des roten Wien. In dieser Position erlebte Schuh auch, wie bei der SPÖ nach den goldenen Zeiten langsam aber konsequent der Wählerschwund einsetzte.

Problem ist hausgemacht

Viele Gründe für die Negativstimmung sind für Schuh „hausgemacht“. „Kreisky gab der Arbeiterschaft das Gefühl, dass er für die Arbeiter da ist. Seit vielen Jahren fühlen sich die Arbeiterfamilien aber im Stich gelassen“, klagt er.

Wahlen, so dachten die Sozialdemokraten lange, sind für sie „eine g’mahte Wiesn“, so Schuh. Eine Fehlkalkulation, auf die der Ex-Betriebsrat, immer wieder innerhalb der Gewerkschaft aufmerksam machte. „Denn die g’mahte Wiesn ist die rutschigste Wiesn“. Gehört wurde er nicht.

Auch verlernte die SPÖ die Sprache für die Menschen an der Basis. Die FPÖ-Politiker seien „geschulte Kampfrhetoriker“. Das, so der Ex-Betriebsrat, passe zum Zeitgeist. „Denn die Jungen schauen keine Hans Moser- oder Peter Alexander-Filme mehr, sondern einen Bruce Willis, wo es brutal zu geht.“

SPÖ hatte Kontakt zum "kleinen Mann"

Detto seien die Blauen in den Bierzelten anzutreffen, das komme gut an. Die SPÖ habe in ihrer Hochblüte auch den Kontakt zum kleinen Mann gesucht – mit einer einfachen Methode. „Der Parteimitgliedsbeitrag wurde von den Funktionären eingehoben. Sie gingen von Haustür zu Haustür. Man konnte ihnen sagen, was nicht passt. Dann kam die Umstellung auf den Erlagschein. Plötzlich gab es kein Vis-à-vis mehr. Die Menschen hatten das Gefühl, dass ihnen niemand mehr zuhört.“

Einen gravierenden Fehler beging in Schuhs Augen Ex-SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer. Seinem Traum aus der Sandkiste opferte Gusenbauer zu viel, nämlich die Gewerkschaft. Gusenbauer verbannte die Gewerkschafter aus dem Parlamentsklub. Anlass war die Krise der Gewerkschaftsbank Bawag. Gusenbauer befürchtete, dass die Wähler wegen des Bawag-Skandals der SPÖ davonlaufen würden.

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Rotes Evangelium

Schuh: „Aber wer ist für die Partei gelaufen? Wer hat das rote Evangelium in den Betrieben verbreitet? Das war die Gewerkschaft. Damit haben sich die Genossen von der Partei verabschiedet. Aber nicht einige wenige. Da gab es einen Schneeballeffekt.“ Und Schuh meint weiter: „Viele Blaue waren einmal Genossen.“

Die Entfernung zwischen roter Spitze und Basis setzte sich konsequent fort. Selbst als Betriebsrat eines großen Unternehmens wollte Schuh jungen SPÖ-Hoffnungen eine Bühne bei der Basis verschaffen. Er schrieb damals das ehemalige SPÖ-Talent Laura Rudas an. „Vier Mal habe ich sie eingeladen. Sie hat nicht einmal reagiert.“

Eine ähnliche Ignoranz, um nicht zu sagen Arroganz, beobachtete Schuh auf den ÖGB-Kongressen. Kanzler Kern und die restliche rote Spitze verweilten nur so lange beim Kongress, bis die wichtigsten Protagonisten aufgetreten waren. „Das ist eine Plattform, wo die Betriebsräte auf die Probleme aufmerksam machen wollen. Manche fragten sich, wozu sie überhaupt eine Rede halten.“ Von Kern, der anfangs wie der Messias gefeiert wurde, ist Schuh enttäuscht: „Er ist ein blitzgescheiter Mensch, aber er wirkt unnahbar.“ Pamela Rendi-Wagner sieht er hingegen als Glücksgabe für die SPÖ.

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