Nervosität vor Wahldebakel

Mitterlehner undFaymann mit neuen Reformplänen
Mit Tausenden Polizisten & Soldaten will sich die Regierung retten.

Im schlechtesten Fall für SPÖ und ÖVP wird es heute am Abend eine Landkarte geben, auf der kein einziges Bundesland mehr die Farbe Schwarz oder Rot trägt, möglicherweise auch kein Wiener Bezirk mehr rot gefärbt ist.

Dominieren werden die Farben Grün und Blau, dazwischen Gelb für die parteiunabhängige Präsidentschaftswerberin Irmgard Griss.

Bei bisherigen bundesweiten Wahlen war Andersfarbigkeit die Ausnahme. In Kärnten wurde 1999 und in der Steiermark 2013 die FPÖ bei Nationalratswahlen zur relativ stärksten Partei gewählt.

SPÖ und ÖVP wollten bis zuletzt den Umfragen nicht trauen und hofften, dass alles nicht so schlimm wird. "Wer weiß, vielleicht wird unsere Mobilisierungskraft unterschätzt?", sagt ein roter Parteimanager. "Wer weiß, vielleicht haben sie die FPÖ wieder viel zu hoch in den Umfragen wie schon im Herbst in Wien?", hieß es noch wenige Stunden vor dem Öffnen der Wahllokale im Wiener Rathaus.

Die SPÖ hofft, dass ihr Kandidat Rudolf Hundstorfer vielleicht doch nur ein paar wenige Prozentpunkte hinter dem Blauen Norbert Hofer liegt, "dann wäre alles halb so wild".

In der ÖVP wurde bis zuletzt für Andreas Khol mobilisiert, damit er nicht allzu weit hinter Hundstorfer zurückbleibt. Das Kalkül: Wenn die Regierungsparteien etwa gleich schlecht abschneiden, kann man die eigene Basis mit dem Hinweis beruhigen, dass es dem Koalitionspartner auch nicht besser geht.

Diese Stimmungsbilder aus den diversen Ecken der Regierungsparteien deuten auf eines hin: Am liebsten wäre ihnen – historisches Debakel hin oder her –, wenn alles weiter ginge wie bisher. Kein Hinterfragen, ob man auf dem richtigen Kurs ist. Keine Personaldebatten. Maximal der eine oder andere Parteimanager oder Wahlkampf-Leiter soll sein Fett abbekommen.

Das oberste SPÖ-Parteigremium, das Bundes-Präsidium, hat sich in seiner Sitzung am Freitag dann auch darauf verständigt, "keine Personaldebatten" zu führen. Wortführer für den Verbleib von Werner Faymann & Co sollen Vertreter Wiens sowie Burgenlands Hans Niessl gewesen sein. Mit dem Schwur, "keine Personaldebatten" anzuzetteln, sei das Thema Bundespräsidentenwahl in der Runde der roten Granden erledigt gewesen.

In der ÖVP wird Parteichef Reinhold Mitterlehner mit liebevollen Aufmunterungen bedacht – aus Angst, dass er es sich heute Abend doch überlegen und alles hinschmeißen könnte. Mitterlehner selbst sagte zuletzt im kleinen Kreis, dass er bleiben und noch einmal durchstarten wolle.

Die Regierung will dem Vernehmen nach mit einem mehrere Punkte umfassenden "Reform-Programm" durchstarten, doch solche Ankündigungen gab es schon viele. Zumindest der Aktivitäten-Plan für kommende Woche ist dicht:

Finanzminister Hans Jörg Schelling legt den neuen Finanzrahmen vor, bis Ende April sind die Zahlen nach Brüssel zu melden.

Ein Sozialpartner-Gipfel wird sich mit Integrationsmaßnahmen beschäftigen.

Der neue Innenminister Wolfgang Sobotka wird dem Nationalrat vorgestellt, Kanzler und Vizekanzler geben Erklärungen ab.

Sobotka kann gleich zum Einstand einen Riesenerfolg vermelden. Er bekommt mehr als 4000 neue Dienstposten: 1500 Polizisten heuer, weitere 2000 bis 2020; 250 Verwaltungsposten und 500 Posten im Asyl- und Fremdenwesen. Zusammen mit der Aufstockung des Heeres von derzeit 2200 auf 6000 Kaderpersonal versucht die Regierung, den Wähler-Zustrom zur FPÖ zu stoppen.

Dass dieser Law-&-Order-Kurs erfolgversprechend ist, davon sind in der SPÖ bei Weitem nicht alle überzeugt. "Mehr Polizisten einzustellen, ist zwar richtig. Aber gewählt wird dafür nicht die SPÖ, sondern die FPÖ", sagt ein SPÖ-Stratege. Diese SPÖ-interne Debatte über die richtige Linie wird kommende Woche auch bei der Abstimmung im Nationalrat über das Asylrecht sichtbar werden. Zwar hieß es am Freitag, im SPÖ-Präsidium hätten sich Faymann und Michael Häupl auf eine Linie geeinigt. Aber in der Wiener SPÖ wollte man nicht die Hand dafür ins Feuer legen, ob wirklich alle Wiener Abgeordneten wegen der Flüchtlinge den "Notstand" erklären wollen. Gegen massives Ausscheren bei der Abstimmung spricht jedoch, dass das die Regierungsmehrheit gefährdet. Und Neuwahlen sind das Letzte, was SPÖ und ÖVP jetzt brauchen.

Die Linien-Debatte wird in der SPÖ auch Teil ihrer Nachwahl-Analyse sein. Die martialische Rhetorik ("Panzer zur Flüchtlings-Abwehr") spricht nicht nur den 1.-Mai-Gesängen Hohn ("Erkämpft das Menschenrecht"). Es bringt der SPÖ auch wahltaktisch nichts, wenn das rot-blau regierte Burgenland heute mehrheitlich blau, und das rot-grün regierte Wien mehrheitlich grün wird. Damit wird dokumentiert, dass die SPÖ bei diesem Schlingerkurs in beide Richtungen ausrinnt,weil sie für beide Gruppen – die humanitär Gesinnten und die Law-&-Order-Fraktion – nicht mehr der Schmied, sondern der Schmiedl ist.

Falls Irmgard Griss nicht Bundespräsidentin wird, sitzt die ÖVP in der Tinte. Die Richterin hat Gefallen an der Politik gefunden und angekündigt, dass sie politisch aktiv bleiben will. Bei Nationalratswahlen fiele die Griss-Konkurrenz zum überwiegenden Teil der ÖVP auf den Kopf. Möglich wäre, Griss zur Rechnungshof-Präsidentin zu machen, um sie als Konkurrentin aus dem Verkehr zu ziehen.

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