"Es ist wie bei Drogenabhängigen"

In zahlreichen Ländern hat Edit Schlaffer Mütter getroffen, deren Söhne oder Töchter von Terroristen für den Dschihad rekrutiert werden sollten – oder rekrutiert wurden.
Die Soziologin Edit Schlaffer hilft Familien, deren Kinder dem radikalen Islam verfallen sind.

Es ist ein Albtraum für die Angehörigen. 190 Österreicher sind laut Innenministerium bisher in den Dschihad gezogen. Nur etwa ein Drittel ist wieder zurückgekehrt. Rund 30 können nicht mehr zurückkommen. Sie sind tot.

Es sind vor allem junge Burschen, aber auch einige Mädchen, die sich von radikalen Islamisten aufhetzen – und in den "Heiligen Krieg" locken lassen. Die Eltern fühlen sich meist hilflos, sie kommen oft nicht an ihre Kinder heran. "Da gibt es starke Analogien zur Drogenabhängigkeit", erklärt die Soziologin Edit Schlaffer dem KURIER.

Präventionsprojekt

Sie hat 2012 das Präventionsprojekt "Mütterschulen gegen Extremismus" initiiert. In Ländern wie Indien und Pakistan hat Schlaffer mit ihrer Organisation "Frauen ohne Grenzen" 800 Mütter darin geschult, wie sie verhindern können, dass der Nachwuchs dem radikalen Islam verfällt bzw. wie man ihn wieder von dem Irrweg abbringen kann. Ein Teil der Mütter trägt das Wissen nun an andere Betroffene weiter. Schlaffer: "Es ist das Tupperware-Prinzip."

Vor wenigen Tagen hat die Expertin ihr Konzept bei einem Anti-Terror-Gipfel in Washington präsentiert. Sogar US-Außenminister John Kerry zeigte Interesse daran.

Nun wird in Österreich – und damit erstmals im Westen – gezielt mit Angehörigen gearbeitet. Unterstützung ist, wie erwähnt, hierzulande nötig. "Und die Mechanismen sind überall dieselben", weiß die Wissenschaftlerin.

Mütter als Adressaten

"Motherschools go west", heißt die Initiative, die am Montag in Wien präsentiert wird. Leiterinnen von Mütterschulen in Indien, Kaschmir und Pakistan werden dabei über ihre Erfahrungen berichten. Auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer ist dabei, sein Ressort unterstützt das Projekt tatkräftig.

Warum sind Mütter die Adressaten – und nicht Väter?

"In den Ländern, in denen wir waren, kamen wir eher an die Mütter heran. Außerdem sind in patriarchalischen Systemen die Mütter näher an den Kindern dran als die Väter", erläutert Schlaffer. In einem nächsten Schritt werde man aber auch die Männer "hereinholen".

Zunächst sollen aber Mütter in Workshops Sorgen und Erfahrungen austauschen können. Sie sollen lernen, Frühwarnsignale zu erkennen – und erfahren, wie sie reagieren sollen und wo sie zusätzlich Hilfe bekommen.

Was sind erste Anzeichen dafür, dass Kinder den "Verlockungen" des Islamischen Staates (IS) verfallen sind?

Schlaffer zählt Beispiele auf: "Kinder werden plötzlich extrem religiös, obwohl die Religion bis dato keinen so großen Stellenwert in ihrem Alltag hatte. Manchmal stört sie plötzlich die Musik im Haus. Viele brechen den Kontakt zu ihren Freunden ab. Auch der Umgang mit dem anderen Geschlecht ändert sich. Burschen weigern sich, weiblichen Besuchern die Hand zu geben. Brüder wollen oft nicht, dass ihre Schwestern ausgehen."

Kontakt halten

Am Wichtigsten sei in diesen Fällen, die Gesprächsbasis zu den Kindern aufrechtzuerhalten, aber nicht auf Konfrontation zu gehen. Denn das führe oft dazu, dass der Kontakt abbreche.

Eltern müssten auch ermutigt werden, professionelle Hilfe von außen zu suchen. Eine Anlaufstelle für Betroffene ist die "Hotline gegen Extremismus" (0800/202044) im Familienministerium, mit der auch die Mütterschule kooperieren wird.

Schlaffer hofft, dass ihr Präventionsprojekt viele Nachahmer findet: "Wir haben schon Anfragen aus Schweden, Dänemark und England. Unsere Vision ist, dass es ein gesamteuropäisches Modell wird." Denn eines steht die Fachfrau fest: "Die erste Verteidigungslinie ist die Familie. Mit militärischen Mitteln allein ist der Kampf gegen den Extremismus nicht zu gewinnen."

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