"So viel Überschussware gibt es nicht"

„Lebensmittel sind ein wertvolles Gut“: Steiner missfiel, dass viele Nahrungsmittel im Mist landen. So entstand die Idee der Sozialmärkte.
Wie eine kleine Gruppe von engagierten Österreichern gegen Widerstände ihre Idee verwirklichte.

Betriebswirt Gerhard Steiner hat 1999 in Linz einen Sozialmarkt gegründet. Aus der Idee sind bisher 35 Märkte in ganz Österreich entstanden. Das Engagement des gebürtigen Kärntners zeigt, dass auch einzelne Bürger viel bewegen können.

KURIER: Herr Steiner, Warum haben Sie vor 15 Jahren Ihren ersten Sozialmarkt gegründet?

Gerhard Steiner: Ich bin einer von sieben Gründern. Wir sind Freunde. Wir haben damals diskutiert, was in Österreich schlecht läuft – und was man verbessern könnte. Eine Freundin hatte von Streetworkern in Linz erfahren, dass viele Leute kaum etwas zu essen hatten. Die Freundin und meine Frau haben gesagt, wir sollten den Worten Taten folgen lassen, also nicht nur philosophieren. Ich war damals Geschäftsführer eines Nahrungsmittelunternehmens. Ein Freund war Geschäftsführer einer Einkaufsgesellschaft, einer Rechtsanwalt und einer Steuerberater.

Jeder hat also ein spezielles Know-how mitgebracht.

Genau. Wir wussten, dass extrem viele Lebensmittel weggeworfen wurden.

Warum landet so viel im Mist?

Das liegt zum Beispiel am Ablaufdatum, das ja in Wahrheit ein Mindesthaltbarkeitsdatum ist.

Nach Ablauf kann die Ware nicht mehr verkauft werden.

Sie darf noch verkauft werden, aber die Haftung geht praktisch vom Produzenten auf den Verkäufer über. Dass so viele Lebensmittel entsorgt werden, liegt aber auch daran, dass die Konsumenten immer alles und das frisch verfügbar haben wollen. Daher bleiben viele Waren übrig.

Die Armutsbekämpfung stand gar nicht im Vordergrund?

Es ging uns primär darum zu verhindern, dass so viele Lebensmittel vernichtet werden. In zweiter Linie wollten wir ärmeren Menschen helfen. Wir wollten die Waren aber nicht verschenken, also Almosen verteilen. Wir wollten die Produkte zu einem symbolischen Preis anbieten. Damit die Menschen nicht das Gefühl haben, sie müssten um etwas betteln. Wir wollten, dass sie sich als Kunden fühlen und auch so behandelt werden. Wir wollten aber keine Konkurrenz zum Handel sein. Wir haben kein ständig gleiches, sondern ein wechselndes Sortiment. Wir haben nur, was Handel und Industrie zu viel haben. Die Kunden, die bei uns einkaufen, ersparen sich Geld, das sie dann im Handel ausgeben können – für jene Produkte, die es bei uns nicht gibt.

Wie kam es von der konkreten Idee dann zur Umsetzung?

Wir haben unser Konzept zuerst dem Handel und der Industrie präsentiert. Wir haben gesagt: ,Wir helfen euch, Waren an den Mann zu bringen, die ihr nicht an den Mann bringt, und sparen euch dadurch auch Kosten.‘ Die waren sofort dafür. Dann sind wir zu politischen Parteien und zur Kirche gegangen, aber anfangs hieß es dort nur: ,Das brauchen wir nicht. Diese Armut gibt es gar nicht.‘ Einer aus der Politik hat gesagt: ,Das sind doch nur Ideen der alten 68er.‘

Sie gaben aber nicht auf.

Wir sieben Freunde haben dann gesagt, wir stellen vorab so viel Geld zur Verfügung, wie wir für einen Urlaub ausgeben würden. Wenn es nicht funktioniert, dann ist dieses Geld eben verloren. Wir fanden dann in Linz ein günstiges Mietlokal. Dann haben uns der Abt von Wilhering und eine Ordensschwester sowie der damalige Linzer Bürgermeister (Dobusch, SPÖ) unterstützt. Die Stadt half finanziell und hat uns Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Handel und Industrie schickten uns so viele Waren, dass wir sogar ein Lager anmieten mussten. Wir wollten, dass in den Kirchen verkündet und in der Presse berichtet wird, dass wir am 9. 9. 1999 eröffnen. Aber das Interesse war gering.

Sie befürchteten, dass keine Leute kommen?

Ja, wir hatten großes Bauchweh. Aber es kamen so viele Leute, dass sie nicht im Geschäft Platz hatten. Vor dem Eingang staute sich die Menge. Die Polizei kam, weil sie dachte, das sei eine Veranstaltung. Dann kam auch die Presse. So wurde unsere Idee bekannt, wir erhielten diverse Auszeichnungen. Nach einigen Jahren haben wir "Soma Österreich und Partner" gegründet. Heute haben wir mit unseren Partnern, wie etwa das Hilfswerk, 35 Märkte.

Wie viele sollen es werden?

Unser Ziel sind nicht möglichst viele Märkte. Sozialmärkte sind nicht das Armutsbekämpfungsinstrument Nummer eins. Sie sind nur ein kleiner Beitrag. In Österreich gibt es rund 1,1 Millionen armutsgefährdete Menschen. Die können wir nicht erreichen. So viel Überschussware gibt es nicht.

Ist das nicht beschämend?

Es ist natürlich nicht akzeptabel, dass in einem der reichsten Länder der EU so viele Leute armutsgefährdet sind, aber trotzdem ist Österreich sicher eines der sozialsten Länder in Europa.

Sollte sich die Gesellschaft stärker sozial engagieren?

Ich glaube, dass sich in Österreich schon sehr viele Menschen ehrenamtlich engagieren, etwa bei der Feuerwehr oder der Rettung. Aber die Gesellschaft müsste noch viel mehr darauf drängen, dass die Politik etwas verändert. Primär sind da die Jungen gefordert. Wenn deren Pensionen nicht sicher sind, müssten sie zu Tausenden auf dem Ballhausplatz aufmarschieren. Wäre ich heute jung, würde ich das tun.

Sollte eine Vermögenssteuer kommen? Die Schere zwischen Arm und Reich geht ja auf?

Die Abgabenlast in Österreich ist bereits enorm hoch. Daher geht es in erster Linie um die richtige Verteilung, also um eine Umschichtung, und darum, effizienter im Staat zu sein. Die Politik ist eindeutig zu inaktiv.

Es geht also zu wenig weiter.

Ja. Hat die Regierung eine Idee, sind Länder dagegen. Hat die ÖVP eine Idee, ist die SPÖ dagegen und umgekehrt, weil sie Angst haben, die andere Partei könnte sich profilieren. Es gibt nicht das gemeinsame Ziel, etwas voranzutreiben. Es fehlt die Vision, Österreich zu verbessern. Es wird nur immer an die jeweiligen Lager gedacht. Das Unwort des Jahrzehntes ist für mich "Verwaltungsreform". Ich kann es nicht mehr hören. Ich glaube, die Politikverdrossenheit ist deshalb so groß, weil nichts passiert.

Der Soma-Präsident und die Soma-Märkte

Gerhard Steiner: Der gebürtige Kärntner, der in Oberösterreich lebt, hat ein BWL-Studium absolviert. Er war war jahrelang als Unternehmer tätig, u. a. als Geschäftsführer eines Nahrungsmittelbetriebes. Heute ist der 64-Jährige in der Firma seiner Frau beschäftigt.

Derzeit 35 Märkte: Die Soma-Märkte bekommen von Handel & Industrie überschüssige Waren und bieten diese zu günstigen Preisen an. Kunden benötigen einen Pass (max. rund 860 Euro Einkommen). Heute gibt es 35 Märkte und rund 65.000 Kunden. Gerhard Steiner werkt ehrenamtlich.

Kommentare