Karmasin: "Der Begriff Emanze ist überholt"

Sophie Karmasin: "Ich möchte niemandem vorschreiben, was er als Familie bezeichnet."
Familienministerin Sophie Karmasin sprach mit dem KURIER über Karrierefrauen, Quoten und die Homo-Ehe.

Bisher hat Sophie Karmasin die Motive von Bürgern ergründet und Politiker im TV analysiert. Nun steht sie auf der anderen Seite. Seit Montag ist die Motivforscherin Familien- und Jugendministerin (parteiunabhängig). Der KURIER befragte sie nach ihren Motiven für den Einstige in die Politik.

KURIER: Frau Minister, wie lange hatten Sie Zeit, um sich für den Job zu entscheiden?
Sophie Karmasin: Es waren 23 Stunden. Mittwochabend kam der Anruf von Michael Spindelegger. Ich habe sofort mit meinem Mann gesprochen. Mit meiner Mutter habe ich bis Mitternacht geredet. Dann habe ich gedacht, am nächsten Morgen weiß ich, was ich tun soll, aber ich habe es nicht gewusst. Ich war bis Mittag hin- und hergerissen, aber jetzt bin ich froh, die Entscheidung so getroffen zu haben.

Was waren die Argumente zuzusagen?
Ich habe 20 Jahre mit den Bedürfnissen, Sorgen, Träumen von Frauen und Familien zu tun gehabt. Ich habe auch in meinem Leben erfahren, wie es ist, wenn man einen herausfordernden Job und zwei Kinder auf die Reihe bringen muss. Ich habe ein gutes Bild davon, was sich Frauen wünschen und was Familien brauchen. Jetzt ist die Gelegenheit, das in der Regierung einzubringen. Das hat mich gereizt.

Ihr Ressort wird als Schmalspur- und PR-Ministerium bezeichnet, das nur 120 Mitarbeiter hat. Das Wissenschaftsressort wurde abgeschafft.
Es geht nicht um die Anzahl der Mitarbeiter, sondern um die Frage, welcher Sache wir uns annehmen. Meine Überzeugung ist, Familie und Jugend sind das Zukunftsthema. Ich sehe es positiv, wenn ich die Stimme für Familien bin. Dann können wir ein familienfreundlicheres Land schaffen.

"Ich sehe mich als Bürgerin, die in die Politik geht. Ich werde sicher keine Berufspolitikerin."

Haben Sie das Gefühl, dass die Österreicher ein größeres Herz für Tiere als für Kinder haben?
In manchen Bereichen, ja.

Sie haben selbst zwei Kinder. Wie lange soll eine Mutter zu Hause bleiben?
Es ist jedem selbst überlassen, wie er sich entscheidet. Ich bin nicht die moralische Instanz.

Wie war es bei Ihnen? Wir haben gelesen, dass Sie beim ersten Kind quasi arbeitend ins Spital gegangen sind.
Beim zweiten Kind auch. Da hatte ich aber den Luxus, zwei Monate nach der Geburt zu Hause bleiben zu können, weil meine Mutter in der Firma alles übernommen hat.

Haben Sie das Handy im Spital abgedreht – oder haben Sie nach der Geburt gleich weitergearbeitet?
Beim zweiten Kind hat mir meine Mutter Charts ins Krankenhaus gebracht und sie mit mir besprochen. Ich bin sehr schnell wieder in den Job eingestiegen. Aber da gibt es einen Unterschied zwischen einer Unternehmerin und einer Mitarbeiterin. Ich bin aber privilegiert, habe eine verständnisvolle, liebevolle Familie, bin finanziell gesegnet. Trotzdem war es auch für mich mehr als herausfordernd.

Sie hatten wahrscheinlich auch ein Kindermädchen ...
Wir hatten verschiedene Modelle, aber den Großteil hat meine Familie übernommen, also mein Mann, meine Mutter, mein Bruder.

Glauben Sie nicht, dass es auf Durchschnittsfrauen Druck ausübt, wenn sie von Frauen wie Ihnen hören?
Mein Modell soll nicht als Zielbild für alle fungieren. Ich will, dass jeder seine eigene Wahl trifft – und das soll man politisch möglichst gut unterstützen.

Waren Ihre Kinder im Kindergarten?
Ja, ab zwei Jahren.

Gab es Momente, in denen Sie ein schlechtes Gewissen hatten?
Die gab es schon oft. Familien stehen einfach unter einer großen Belastung. Heute hat mich zum Beispiel mein Sohn angerufen – er hat bei einem Freund übernachtet – und gesagt: „Mama, mir geht es nicht gut. Ich habe Halsweh, ich bleibe zu Hause.“ Ich habe geantwortet: „Ich muss jetzt aber gehen.“ Er ist schon 13 Jahre, aber man muss trotzdem schnell was organisieren.

Hatten Sie auch Erschöpfungsphasen?
Freilich. Man kommt an seine Grenzen, vor allem am Anfang, wenn die Nächte kurz sind. Daher sage ich: Ich habe das vollste Verständnis dafür, was Familien leisten, aber die Wertschätzung ist gesellschaftlich und politisch zu schwach ausgeprägt.

Was sagen Ihre Kinder dazu, dass Sie Ministerin sind?
Mein 13-Jähriger sagt: „Das ist super, jetzt kannst du was für uns machen.“ Auch im Bekanntenkreis höre ich: „Endlich geht jemand in die Politik, der das selber erlebt hat.“ Ich sehe mich als Bürgerin, die in die Politik geht. Ich werde sicher keine Berufspolitikerin.

Die Geburtenrate ist niedrig. In Deutschland gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr. Sollte es das auch in Österreich geben?
Es ist noch zu diskutieren, ob das das richtige Instrument ist, aber es ist ein interessanter Ansatzpunkt.

Sollten Väter einen Rechtsanspruch auf einen Papamonat haben?
Papamonat ist der falsche Begriff. Das hört sich für mich danach an, dass der Papa nur einen Monat beim Kind sein soll. Das, finde ich, ist die falsche Botschaft. Wie man es schafft, dass sich Väter noch stärker an der Kindererziehung beteiligen, da gibt es mehrere Zugänge.

War Ihr Mann in Karenz?
Er war nicht offiziell in Karenz, er hat sich eine Zeit lang zwei, drei Tage in der Woche Urlaub genommen. Er hat sich also stark eingebracht.

Wie kann man die Geburtenrate heben?
Das ist eine sehr komplexe Fragestellung – und wird einer meiner ersten Analyseschritte sein. Denn wir geben im Europa-Schnitt relativ viel Geld für Familien aus, aber die Geburtenrate sinkt. Es liegt sicher an den Kinderbetreuungseinrichtungen, aber das ist nicht der einzige Schlüssel.

Sie haben sich einmal als Emanze bezeichnet, weil Sie in der Schule in zerrissenen Jeans herumgelaufen sind. Sehen Sie sich heute auch noch als Emanze?
Das war früher ein Begriff, der provoziert hat, aber heute ist er überholt und sagt auch nichts mehr aus, das irgendwie positiv wäre. Ich möchte auch Begriffe wie Quotenfrau, Warmduscher, Hausmütterchen und Karrierefrau aus dem Bewusstsein drängen, weil sie Stereotypen sind und einschränken.

Wie definieren Sie den Begriff Familie?
Das ist eine philosophische Frage. Familie ist dort, wo sich Menschen zu Hause fühlen. In Bezug auf meine Position als Ministerin bin ich für jene Familien verantwortlich, wo Kinder dabei sind.

Ist für Sie auch Familie, wenn zwei Homosexuelle ein Pflegekind betreuen?
Ich möchte niemandem vorschreiben, was er als Familie bezeichnet.

Sollen Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen?
Das kann man nur individuell betrachten – und nicht über einen Kamm scheren. Wenn man ehrlich ist, haben wir rund 300 eingetragene Partnerschaften pro Jahr. Ich respektiere diese Lebenssituationen und Fragen, aber wir haben andere Prioritäten.

Sollen Homosexuelle heiraten dürfen?
Die eingetragenen Partnerschaft war ein guter und richtiger Schritt. Der Unterschied zur Ehe ist nur ein kleiner.

Eine Frage, die zur Weihnachtszeit passt: Wie schaffen Sie es, dass Ihre Kinder keine Konsumjunkies sind?
Wir schauen sehr darauf, dass unsere Kinder lebensnah bleiben. Sie gehen in eine öffentliche Schule, haben zwar ein Smartphone, aber darüber hinaus achten wir sehr darauf, dass sie nicht abheben.

Wie viel Taschengeld bekommen sie?
Fünf Euro in der Woche der Große und drei Euro der Kleine. Sie kriegen auch noch Essensgeld. Am Anfang haben sie schon protestiert – auch gesagt: „Ich will den neuen iPod.“ Ich habe gesagt: „Überleg dir einmal, wie lange man dafür arbeiten muss, und nach zwei Monaten ist es wieder uninteressant.“ Mittlerweile sagt der Große schon dem Kleinen: „Spar dir das Geld lieber.“ Da bin ich schon stolz darauf.

Die Motivforscherin: Sophie Karmasin

Die Wienerin (46) studierte Psychologie und BWL. Während sie an ihrer Dissertation schrieb, arbeitete Karmasin als Produktmanagerin bei Henkel. Danach stieg sie in eine Firma ihrer Eltern – Meinungs- und Motivforscher Fritz († 2013) und Helene Karmasin – ein. 2011 wurde Sophie Karmasin Mehrheitseigentümerin der elterlichen Unternehmen (Gallup-Institut/Karmasin Marktforschung/Motivforschung). Die Mutter zweier Söhne (10 und 13 Jahre) ist mit einem Manager verheiratet.

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