Sigrid Maurer: "Der Nationalrat ist keine Abnick-Veranstaltung"

Mit Sigrid Maurer wurde eine junge Grün-Politikerin Klubchefin, die der ÖVP immer kritisch gegenüberstand. Bei den Koalitionsverhandlungen leitete sie die Gruppe zu Bildung und Wissenschaft.Warum sie dem Bündnis mit den Türkisen zugestimmt hat, wo es noch Diskussionsbedarf gibt und wie sie sich im Nationalrat im Spannungsfeld zwischen freiem Mandat und Koalitionsräson bewegen will, erklärt sie im KURIER-Gespräch.
KURIER: Alma Zadić braucht seit ihrem ersten Arbeitstag als Justizministerin wegen Hass im Netz Polizeischutz. Was sagt das 2020 über unsere Gesellschaft aus?
Sigrid Maurer: Es sagt etwas darüber aus, wie die FPÖ tickt. Ziel ist eine junge Frau, noch dazu mit einer Fluchtgeschichte. Die FPÖ treibt ein klassisches rassistisches Motiv an. Es ist schade, wie viele Leute darauf einsteigen, es gibt aber auch breite Solidarität mit Alma Zadić.
Macht Sie das optimistisch?
Optimistisch wäre nicht das richtige Wort, aber es gibt beide Seiten. Jene, die es gut finden, so eine extrem kompetente Frau als Justizministerin zu haben, sind sicher die große Mehrheit.
Sie waren selbst von Hasspostings betroffen, sind offensiv damit umgegangen – was haben Sie ihr geraten?
Wir haben natürlich darüber gesprochen, aber sie weiß selbst, was sie tut.
Nationalrat: Maurer statt Kogler Klubchefin der Grünen
Rückblende: Grüne und ÖVPler haben einander zu Beginn der Verhandlungen ja erst kennenlernen müssen, mittlerweile nennen Sie Ihr Gegenüber, ÖVP-Klubchef August Wöginger, bei seinem Spitznamen "Gust". Wie ist es dazu gekommen?
Er hat sich so vorgestellt, und er nennt mich ja auch „Sigi“ (lacht). Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Wir wissen, was unser Job ist und machen den auch gern. Der Gust ist auch nicht ganz spaßbefreit, wir lachen viel miteinander.
Dass er im Wahlkampf gesagt hat, Kinder aus einem ÖVP-Haus dürften nicht nach Wien gehen und als Grüne zurückkommen, haben Sie ihm verziehen?
Das war ja nicht ganz so ernst gemeint, wenn man sich die ganze Rede anhört. Aber natürlich, die ÖVP hat ein etwas konservativeres Familienbild. Aber ich bin mir sicher, wenn seine Kinder nach Wien wollen und die Grünen wählen, wird er sie lassen.
Die Grünen waren während den Verhandlungen sehr diszipliniert, haben kaum auf Querschüsse oder Leaks reagiert. Hat es Sie nicht manchmal in den Fingern gejuckt?
Nein, ich hätte dazu auch gar keine Zeit gehabt. Der Rahmen für professionelle Verhandlungen war, dass man nicht öffentlich darüber diskutiert, und das war gut so. In den Medien sind teilweise Dinge aufgetaucht, die völlig an den Haaren herbeigezogen waren. Wenn man das kommentiert, befeuert man es nur weiter.
Sigrid Maurer, geboren am 19. März 1985 in Rum, Bachelor-Abschluss in Soziologie, von 2009 bis 2011 Vorsitzende der österreichischen Hochschülerschaft.
Nationalratsabgeordnete von 2013 bis 2017, seit Oktober 2019 geschäftsführende Parlamentarierin und Klubvize der Grünen.
Kritische Stimmen gab es auch beim grünen Bundeskongress. Haben Sie mit den 15 Delegierten, die dort gegen den Pakt gestimmt haben, das Gespräch gesucht?
Ja, mit einigen habe ich gesprochen. Jene, die dagegen waren, haben gut argumentiert und auch Verständnis dafür gezeigt, dass andere dafür waren. Die Diskursqualität bei den Grünen ist gut, wir sind keine zerstrittene Partie. Das hat der Bundeskongress gezeigt.
Die Grüne Jugend hat dort sehr deutlich gesagt, dass sie nichts von Sebastian Kurz hält und dass sie nicht hinter einer ÖVP-geführten Regierung steht. Wird die Organisation trotzdem endlich offiziell bei der Partei eingegliedert?
Ob die Jugendorganisation anerkannt wird, ist nicht damit verknüpfbar, welche Position sie einnimmt – das hielte ich für grundfalsch. Ich brauche keine Parteijugend, die brav Schilder in die Kamera hält. Wir halten es gut aus, dass es unterschiedliche Positionen gibt.

Wie reagiert Ihr Umfeld darauf? Ihre Freunde oder Ihre früheren Mitstreiter bei der GRAS (die grüne Fraktion in der Hochschülerschaft, deren Vorsitzende Maurer war)?
Es ist allen bewusst, dass wir eine große Verantwortung haben. Es wäre Verrat am Wähler gewesen, diese Verantwortung nicht wahrzunehmen. Natürlich gibt es manche, die meinen, das hat negative Konsequenzen für die Grünen als Partei. Aber es geht ja nicht primär darum, dass es den Grünen gut geht, sondern darum, dass es möglichst vielen Menschen in dieser Republik gut geht.
Was hat Sie als durchaus kritische Mitverhandlerin überzeugt, sich auf die Koalition einzulassen?
Das Gesamtergebnis. Die FPÖ zu verhindern, ist zu wenig. Wir haben zum Glück viel mehr erreicht, können in vielen Bereichen einlösen, was wir versprochen haben. Wir haben zum Beispiel den ambitioniertesten Klima-Plan, den es je gegeben hat.
Zum Bildungskapitel hingegen lautet das Fazit auch von linken Experten: „Besser das als nichts.“ Können Sie als Bildungspolitikerin damit zufrieden sein?
Wenn die Erwartung war, dass wir als 14-Prozent-Partei mehr weiterbringen als eine rote Bildungsministerin unter einem roten Kanzler, ist das unrealistisch. Ja, es ist nicht die eine große Reform, aber wir drehen an vielen Stellschrauben. Unserem Ziel, mehr Bildungsgerechtigkeit, kommen wir bedeutend näher.
Hätten Sie Staatssekretärin im türkisen Bildungsministerium werden wollen?
Die Idee ist mir gar nicht gekommen. Mein Platz ist im Klub.
Wie werden Sie Ihre Rolle als Klubobfrau anlegen?
Es gilt das Prinzip der Gewaltenteilung – da die Regierung, da das Parlament. Der grüne Klub wird ein selbstbewusster sein. Es ist keine Abnick-Veranstaltung, wir werden viel diskutieren. Die ÖVP hat in den Verhandlungen schon gelernt, dass wir anders ticken.
Aber es gibt ein Spannungsfeld, wenn man vereinbart, dass man im Nationalrat nicht gegen den Partner stimmt?
Man wird im Sinne der Koalitionsräson bewerten müssen: Riskiert man für eine Gegenmeinung, dass das große Ganze kippt? Aber nur, weil wir mit der ÖVP regieren, heißt das nicht, dass wir ihre Positionen übernehmen. Das ist eine Zweckgemeinschaft, und wir werden das gut über die Bühne bringen.
Das heißt, dass auch Sie sich erheben, wenn über die Ausweitung des Kopftuchverbots abgestimmt wird?
Wir Grüne sind immer dafür eingetreten, dass Frauen selbstbestimmt handeln, Verbote sind nicht unser Zugang. Aber ja, wenn es kommt, werde ich mit Blick auf das Gesamtpaket des Regierungsabkommens natürlich aufstehen.
Wie gehen Sie damit um, dass die SPÖ Sie im Parlament „von links“ attackiert?
Das ist ihr gutes Recht als Opposition. Ich hoffe auf gute und ernsthafte Kontrollarbeit. Was wir aktuell sehen, ist eher ein Schauspiel und wenig glaubwürdig.
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