Schulreif, aber keine Deutschkenntnisse: Was tun?

Für die Sprachförderung fehlt das durchgängige Konzept - vom Kindergarten zur Schule.
Warum trotz Kindergarten viele in der Schule ein Förderfall bleiben und was bei der Sprachförderung funktionieren könnte.

Kinder, die in der Schule noch immer kein Wort Deutsch können? Kommt immer öfter vor, klagte erst kürzlich eine Volksschuldirektorin im KURIER. Zur Lösung des Problems brachten die Grünen am Montag so genannte Deutsch-Quoten für Klassen ins Spiel, ÖVP und FPÖ pochen hingegen auf separate Deutschklassen. Der KURIER ging der Frage nach, welche Rezepte zur Sprachförderung am besten taugen könnten.

Wie viele Kinder brauchen Sprachförderung?

Eine nichtdeutsche Muttersprache hatten laut Statistik Austria im Schuljahr 2015/16 österreichweit 24 Prozent der Schüler – 1,6 Prozent mehr als 2014/15. In Wien liegt der Anteil bei rund 50 Prozent. In den Neuen Mittelschulen in Wien geht man von bis zu 70 Prozent aus. In Kindergärten haben 31 Prozent eine andere Muttersprache als Deutsch.

Wird in den Kindergärten genug getan?

Bund und Länder stellen den Gemeinden, die für die Kinderbetreuung zuständig sind, per 15a-Vereinbarung jährlich 90 Millionen Euro zur Sprachförderung zur Verfügung. Mit dem Geld können sie eigene Konzepte finanzieren – ein flächendeckendes gibt es nicht.

Wie kommt es, dass Kinder bei Schuleintritt trotzdem nicht Deutsch können?

Für Familienministerin Sophie Karmasin ist unvollständige Abdeckung beim Pflicht-Kindergartenjahr mit Schuld – in Wien liegt die Quote bei 97 Prozent. Das ergibt 800 Kinder, die im Alter von fünf Jahren noch nicht in den Kindergarten gehen. "Bei vielen liegt der Verdacht nahe, dass sie aus einem Umfeld kommen, in dem nicht Deutsch gesprochen wird. Das Pflicht-Jahr ist nur so gut wie die Umsetzung in den Ländern", sagt Karmasin, die sich für ein zweites Pflicht-Jahr einsetzt. Die Forderung von Kurz, Islam-Kindergärten zu schließen, unterstützt sie: "Weil Kindern durch die Abschottung ein erfolgreicher Start ihrer Schullaufbahn verwehrt wird."

Wie geht es in den Volksschulen weiter?

In Oberösterreich wird ab Herbst der Bildungskompass getestet. Dabei sollen im Kindergarten u.a. kommunikative Kompetenzen geprüft werden. Dieses "Zeugnis" bekommen die Eltern in Hinblick auf den Schulantritt. Familienministerin Karmasin reicht den Kelch an SPÖ-Bildungsministerin Sonja Hammerschmid weiter: "Es wäre sinnvoll, das als Ausgangspunkt zu nehmen, um das Kind in der Schule gezielt zu beobachten."

Braucht es in den Schulen mehr Personal?

Ja, sagt Bildungsministerin Hammerschmid, die 5000 zusätzliche Lehrer gezielt in Schulen einsetzen will, die nach dem Chancenindex auf einer vierteiligen Skala mit den schlechtesten Noten 3 und 4 firmieren (erhöhter Förderbedarf). Konkret sollen in Volksschulklassen mit hohem Migrantenanteil Lehrer künftig zu zweit unterrichten. In den NMS wird das vereinzelt schon praktiziert, Hammerschmid will das deutlich ausbauen. Kostenpunkt: Rund 300 Millionen Euro pro Jahr.

Wieso wollen die Grünen eine Deutsch-Quote?

Ein Drittel Schüler mit Sprachdefiziten pro Klasse – das wäre laut dem Grünen Bildungssprecher Harald Walser das "pädagogische Ideal". Weil die Realität anders ausschaut, sollten Schulen mit höherem Migrantenanteil stärker und jene mit niedrigem – etwa Privatschulen – weniger gefördert werden. Walser plädiert außerdem für einen durchgängigen Plan bei der Sprachförderung – derzeit sind mit zwei Ministerien, Ländern und Gemeinden zu viele verschiedene Stellen zuständig: "Bildung gehört in eine Hand."

Wieso pocht ÖVP-Minister Kurz auf separate Deutschklassen?

Der Integrationsminister ist der Ansicht, dass Migrantenkinder in eigenen Klassen und auf begrenzte Zeit gezielt Deutsch lernen sollen, bevor sie in das reguläre Schulsystem einsteigen. Experten wenden ein, dass Migranten, wenn sie unter sich sind, erst recht wieder in ihrer Muttersprache kommunizieren. Stichwort: Ghetto-Klassen.

Die Erfahrung ist unter Austro-Türken kein Einzelfall: Man ist zu Besuch bei Verwandten in Deutschland. Auf einmal beginnt man, untereinander Deutsch zu sprechen – und zwar fließend. Seit Jahren beobachten viele Austo-Türken mit Erstaunen , wie gut ihre Bekannten die jeweiligen Landessprachen beherrschen bzw. benutzen.

Auch untereinander wird je nach dem neuen Heimatland Deutsch, Französisch oder Niederländisch gesprochen. Viele türkische Eltern beschweren sich dort, dass ihre Kinder kaum mehr Türkisch können. Mit ihrem gebrochenem Türkisch werden sie in der Türkei sogar ausgelacht.

Wobei in Österreich genau das Gegenteil überwiegt. Sehr wenige Türken sprechen zu Haus miteinander Deutsch, was wiederum dazu führt, dass die Jüngeren nicht zweisprachig oder gar deutschsprachig aufwachsen können.

Erst im Kindergarten werden die Migrantenkinder mit der deutschen Sprache konfrontiert. Bei vielen reicht es dann nicht aus, in dieser kurzen Zeit bis zur Volksschule, ausreichend Deutschkenntnisse zu erwerben.

Hoher Förderbedarf

Auch danach wird die deutsche Sprache zu selten benutzt – meist nur in der Schule oder bei der Arbeit. Die Kinder wachsen mit türkischen Serien, türkischen Talk-Shows auf – auch Nachrichten werden auf Türkisch konsumiert. Meistens beherrschen dann die Kinder aber ihre Muttersprache Türkisch trotzdem nicht, weil sie die türkische Grammatik nicht lernen. So entsteht ein doppeltes Problem.

Diese subjektive Beobachtung spiegelt sich auch in den Statistiken wieder. Während der Anteil der Nicht-Muttersprachler laufend erhoben wird, gibt es zum Sprachförderbedarf aber nur ältere Daten.

Im Jahr 2006 galten laut dem deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 55 Prozent der deutschen Migrantenkinder als sprachförderungsbedürftig. Laut einer vergleichbaren Studie des Bundesinstituts für Bildungsforschung waren es im Jahr 2007 in Österreich 77 Prozent.

In Deutschland benötigen also nur die Hälfte der Migrantenkinder im Vorschulalter Sprachförderung, in Österreich mehr als drei Viertel. Dieser enormer Unterschied hat die unterschiedlichsten Gründe. Fakt ist: In Österreich besteht in Sachen Deutsch akut Aufholbedarf .

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