Reformer müssen nachsitzen

Unsere Schulreform (Zusammenfassung)
Autonomie nur light / Kompetenz-Wirrwarr verlängert / Gymnasium darf bleiben.

Viel Schlaf hatten die Verhandler von Bund und Ländern nicht. Bis in die frühen Morgenstunden am Dienstag wurde um eine Einigung bei der Schulreform gerungen. Es gibt sicher keine Revolution im Bildungsbereich, die Reform ist aber defintiv kein "Reförmchen", wie Landeschefs wie Erwin Pröll vermutet hatten.

Sehr gut bis Gut

Positiv sind die Aufwertung der Kindergarten-Pädagogik, die Schul-Autonomie, bei der die Standorte viel mehr für die Ausbildung der Kinder in die Pflicht genommen werden und mehr Transparenz in der Verwaltung und offenbar auch in den Bildungsdaten.

Genügend

Wie erwartet schwach ist das Ergebnis des Machtpokers, wer künftig alle Lehrer verwalten soll. Geplant sind "Bildungsdirektionen", Zwitterwesen mit Bund- und Landeskompetenz, was nach einem klassischen österreichischen Kompromiss klingt.

Offen

Unklar bleibt die Frage der "Modellregion" zur Gesamtschule. Hier dürfte keine Einigung unter den Verhandlern möglich gewesen sein, das Ergebnis ist ein dürftiges Konzept. Bei allen Reformversprechen bleibt die große offene Frage, ob die Regierung ihre Versprechen auch halten kann – also ob die Gesetze dem Papier Rechnung tragen werden. So sehen die Eckpunkte aus:

Schulautonomie

Die Schulleiter werden an den Testergebnissen und der Schulentwicklung gemessen. Sie werden nur mehr für fünf Jahre bestellt und müssen sich dann erneut bewerben. Sie haben bei der Anstellung neuer Lehrer ein Veto-Recht, auch bei der Verlängerung von Lehrern an ihrer Schule. Sie können Lehrer zur Fortbildung verpflichten, wenn sie Defizite feststellen.

Jeder Direktor kann entscheiden, fünf Prozent seines pädagogischen Personals in Supportpersonal "umzuwandeln" , z. B. Sozialarbeiter, Psychologen, Künstler oder Gärtner. Also sind damit auch externe Lehrbeauftragte (ohne Lehrerausbildung) möglich.

Öffnungszeiten

An jedem Standort kann bestimmt werden, wann die Schule aufsperrt, wann der Unterricht beginnt und wann dieser endet. Entscheiden soll das der Direktor mit den Schulpartnern (Schüler, Eltern, Lehrer) – mit einfacher Mehrheit (bisher Zweidrittelmehrheit jeweils der Lehrer, Eltern und Schüler). Viel mehr Geld wird es für die Schulen allerdings nicht geben. Die Reform soll "kostenneutral" sein – sie soll sich durch Einsparungen im System finanzieren.

Kindergarten

Wer früh fördert, fördert besonders effizient. Die frühe Bildung spart dem Staat und somit dem Steuerzahler viel Geld. Wohl ein Grund, dass der Finanzminister hierfür Geld in die Hand nimmt. Fix ist ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr – mit Ausnahmen. Neu ist ein Bildungskompass für jedes Kind, der mit 3,5 Jahren ausgestellt werden soll. In dem werden die Potenziale und Entwicklungsfortschritte eines Kindes bis ans Ende seiner Schullaufbahn dokumentiert. Eine Idee, die der Genetiker Markus Hengstschläger im KURIER erstmals präsentiert hat.

Im Kindergarten wird sich einiges ändern: Bund und Länder sollen gemeinsam Mindeststandards festlegen. Die Ausbildung der Leiterinnen und Helferinnen wird professionalisiert, die BAKIP (Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik) werden berufsbildende höhere Schulen. Neu gestaltet wird der Übergang in die Schule: Pädagogen beider Einrichtungen sollen sich besser vernetzen.

Bildungsdirektionen

Sie lösen die Landesschulräte ab. Der oberste Beamte wird vom Landeshauptmann bestellt, ist aber dem Ministerium weisungsgebunden. Das war der Landeshauptmann als Chef des Landesschulrats bisher auch, es gab in der 2. Republik keine einzige Weisung, weil LHs in der Praxis oft mächtiger sind als Minister. Neu ist, dass die Verrechnung aller Lehrer über das Bundesrechenzentrum abgewickelt wird – das könnte etwas mehr Transparenz bringen. IHS-Forscher Lorenz Lassnigg warnt vor einer "Verländerung" und neun Schulsystemen.

Gesamtschule

Sie kommt nicht – das Gymnasium bleibt. Allerdings können maximal 15 Prozent der Schulen in einem Bundesland in Modellregionen zusammengeschlossen werden, in denen es weder AHS noch NMS gibt, sondern nur eine Gesamtschule – auch ohne Zustimmung der Schulpartner. Kurios: Diese Regionen müssen nicht geografischen Region (z. B. Bezirken) entsprechen. Die Umsetzung bleibt jedem Bundesland überlassen. Wegen der Vorbereitung wird es frühestens 2018 Modelle geben, 2025 wird das System erstmals evaluiert.

Welche Note gebührt der "Schularbeit", die Rot-Schwarz nach monatelangem Pauken hingelegt haben? Gerade noch ein Dreier: An einem "Genügend" nur knapp vorbei, von einem "Gut" noch meilenweit entfernt. Vieles bleibt vorläufig nur gut gemeint. Jede Schule kann künftig bis ein Drittel des Lehrplans und ihre Öffnungszeiten selber festsetzen. Das muss erst den Praxistest bestehen. Auch über Ganztagsschulen wurde bisher autonom befunden. Sie sind wiederholt am Unwillen von Lehrern gescheitert, länger als notwendig (an einem unzureichenden Arbeitsplatz ) in der Schule zuzubringen.

Für eine autonome Auswahl des Personals hat die Reformkraft nicht gereicht. Der Schuldirektor bekommt ein Vetorecht bei neuen Lehrern. Mit den bereits vorhandenen muss er, sofern diese keine goldenen Löffel stehlen, ob er will oder nicht ein Direktorenleben lang auskommen. Autonome Chefs sehen anders aus.

Das nun fixe zweite Kindergarten-Pflichtjahr allein würde für ein "Sehr gut" reichen – als Highlight eines Katalogs von Verbesserungsmaßnahmen für die Vorschüler. Wäre da nicht ein – im schlechten Sinn österreichischer – Kompromiss: Statt des Nebeneinanders von Landeslehrern (für Pflichtschulen) und Bundeslehrern (für weiterführende Schulen) kommt die Verländerung aller Lehrer; der Bund übernimmt die Rechnung für alle und darf die Rolle des obersten Chefs spielen. Die Dienstaufsicht über alle Pädagogen erhält ein – auf Vorschlag des Landeshauptmanns ernannter – Bildungsdirektor. Als Diener zweier Herren wird er sich nicht aussuchen können, auf wen er eher hört, will er wiederbestellt werden.

Bald ein halbes Jahrhundert weiterhin aufgeschoben bleibt die endgültige Entscheidung über die "Gemeinsame Schule". Vorarlberg oder Wien als Modellregion wird es nicht spielen; es dürfen überall ein paar Schulversuche mehr werden. Die "erstmalige Evaluierung" des Weiterwurschtelns ist mit 2025 terminisiert.

Der Globus dreht sich immer schneller, nur die Schulpolitik glaubt noch immer, alle Zeit der Welt zu haben.

Das verdient ein Nicht genügend.

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