"Schrecklich verunglückt": Die Ausgangssperre, die keine war
Mit April laufen die Ausgangsbeschränkungen aus. Rein formal hat es sie gar nie gegeben. Die Regierung kommunizierte schärfer, als es die Verordnung hergab.
Als Rudolf Anschober am Dienstag im Bundeskanzleramt den Satz sagte „Wir können die Ausgangsbeschränkungen auslaufen lassen“, wäre das eigentlich ein Grund zur Freude gewesen.
Man trete, so ventilierte der Gesundheitsminister, nun in eine Phase ein, in der „die Bürger wieder ausgehen“ können. Und damit fallen ab 1. Mai all jene Gründe weg, die seit 16. März idealerweise erfüllt werden sollten, um sich im öffentlichen Raum zu bewegen, sprich: das Spazierengehen, das Einkaufen, das zur Arbeit fahren …
In der Regierung will im Zusammenhang mit den Ausgangsbeschränkungen derzeit aber kein großer Jubel aufkommen. Und das hat unter anderem damit zu tun, dass eine zunehmende Anzahl an Experten ganz offen sagt, was für juristische Feinspitze schon länger klar war, nämlich: Die formal verhängte Ausgangssperre hat es so ohnehin nie gegeben. Und das, was Regierungsvertreter seit 16. März wieder und wieder in Mikrofone sprachen (vereinfacht gesagt: man darf ohne guten Grund nicht nach draußen gehen), ist, wie am Dienstag auch Verfassungsjurist Heinz Mayer im Ö1-Mittagsjournal festhielt, durch die entsprechende Verordnung gar nicht gedeckt. Man kommunizierte schärfer, als man es rechtlich beschlossen hatte.
Klingt seltsam? Ist es auch. Um zu verstehen, warum es die verkündeten Ausgangsbeschränkungen formal gar nie gegeben hat, muss man die entsprechende Verordnung des Gesundheitsministeriums lesen.
Darin hat der Minister „zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 das Betreten öffentlicher Orte verboten“ – und zwar ab 16. März. Ausgenommen vom Verbot sind Menschen, die arbeiten, einkaufen, jemandem helfen oder spaziergehen. Die Gründe sind taxativ aufgelistet.
Ausgangsbeschränkungen laufen aus
Ebenfalls ausgenommen vom Verbot – und das ist das juristisch Pikante – sind laut einem Zusatzpunkt, der berüchtigten Ziffer 5, zudem alle Menschen, die alleine oder mit Mitbewohnern im Abstand von einem Meter unterwegs sind. Mit anderen Worten: Wer einen Meter Abstand hält, darf jederzeit und überall unterwegs sein.
Für den Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk ist die Verordnung „legistisch notleidend und schrecklich verunglückt“: „Die Ziffer 5 steht im Widerspruch zur Generalanordnung, also der Ausgangsbeschränkung“, sagt Funk zum KURIER. Mit anderen Worten: Da wurde handwerklich gepfuscht.
Für Funk ergibt sich eine Reihe von Folgeproblemen: Wenn eine Verordnung derart unklar sei, könne man weder von der Polizei noch von den Bürgern verlangen zu wissen, was nun rechtens ist.
Zudem ist unklar, ob die Covid-19-Gesetze es juristisch überhaupt hergeben, dass der Gesundheitsminister auf ihrer Basis Ausgangsbeschränkungen verordnet.
Ob die umstrittene Verordnung der Verfassung widerspricht, wird der Verfassungsgerichtshof prüfen müssen – entsprechende Beschwerden sind auf dem Weg.
Politisch spannend – und damit ist man bei der Ausgangsfrage – ist, wie die Regierung in den nächsten Wochen agiert. Denn bei Treffen im öffentlichen Raum will man auch nach dem 1. Mai Beschränkungen aufrechterhalten – maximal zehn Personen sollen sich treffen dürfen.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International warnen vorsorglich: Was Grundrechte und Demonstrationen angeht, müsse man tunlichst darauf achten, dass Menschen nicht willkürlich vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden.
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