Schattenportfolio lag nicht im Dunkeln
Im Salzburger U-Ausschuss um die hochriskanten Spekulationsgeschäfte steigt die Spannung. Heute, Donnerstag, muss Monika Rathgeber, eine Hauptdarstellerin des Zocker-Skandals, den Landtagsabgeordneten Rede und Antwort stehen. Als Referatsleiterin der Finanzabteilung hatte sie jahrelang die Fäden bei den Finanzwetten gezogen.
Im Mai 2012 soll sie ihre Befugnis überschritten haben, im Sommer wurde sie beurlaubt und im Dezember ist sie fristlos entlassen worden. Ihr wird u.a. vorgeworfen, Spekulationsgeschäfte mit einem Volumen von 855 Millionen Euro verheimlicht zu haben. Die Auflösung dieses „Schattenportfolios“ (253 Finanzwetten) hat dem Land Ende November 2012 rund 121 Millionen Euro Verlust eingebracht.
Ermittlungsakte 1 St 51/12s
Die 41-jährige Juristin bekämpft ihren Rausschmiss vor dem Arbeitsgericht. Gegen Rathgeber, ihren ehemaligen Kollegen Christian M. und und ihren Ex-Chef Eduard Paulus ist bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue anhängig. Sie bestreiten die Vorwürfe.
Rathgeber wurde bereits drei Mal von Oberstaatsanwältin Eva Habicher einvernommen. Das bisher unveröffentlichte, dritte Einvernahmeprotokoll der Korruptionsstaatsanwaltschaft liegt dem KURIER vor. Darin gibt Rathgeber an, in den vergangenen Jahren mit den Finanzgeschäften insgesamt rund 400 Millionen Euro Verlust eingefahren, aber in den Jahren davor auch etwa 500 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet zu haben. Ende August 2012 war das Finanzportfolio des Landes jedenfalls mit 240 Millionen Euro im Minus.
Fragwürdige Ansichten
Laut Rathgeber ist es auch richtig, dass rund 250 Derivatgeschäfte („Schattenportfolio“) nicht an die Risikomanagement-Abteilung der Deutschen Bank gemeldet wurden, die die Geschäfte bewerten musste. „Es handelt sich bei diesen Geschäften ausnahmslos um solche, die dem Landeswohnbaufonds und dem Versorgungs- und Unterstützungsfonds (VUF) zu zuordnen sind“, erklärte Rathgeber den Ermittlern. „Auch Devisentermingeschäfte mit einer Laufzeit von bis zu drei Monaten waren aufgrund der Kurzfristigkeit nicht in der Risikobewertung drinnen.“ Diese Finanzgeschäfte in das „Reporting“ einzubeziehen, also der deutschen Bank zu melden, hätte einen erhöhten Verwaltungsaufwand und eine höhere Rechnung der Deutschen Bank (zwei bis drei Millionen Euro jährlich) bedeutet. „Was wir nicht wollten“, fügte sie hinzu. Auch soll es keine Vereinbarungen gegeben haben, was der Deutschen Bank zu berichten ist – und was nicht.
Das „Schattenportfolio“ will sie nicht auf ihre Kappe nehmen. So hätte sie Gespräche mit Banken „nie alleine geführt“, sondern es seien ihr Kollege Christian M., ihr Chef Eduard Paulus und mitunter auch Ex-Finanzlandesrat David Brenner dabei gewesen. Doch Brenner & Co wollen vom „Schattenportfolio“ nichts gewusst haben.
„Ich kann in keiner Weise nachvollziehen, wie man die Existenz dieser – nicht an die Deutsche Bank gemeldeten – Finanzgeschäfte verleugnen kann“, gab Rathgeber zu Protokoll.
Dass dieses angeblich Schattenportfolio gerade von Harald Kutschera entdeckt wurde, der im Oktober 2012 von der Deutschen Bank in die Salzburger Finanzabteilung gewechselt war, dafür glaubt sie eine Erklärung zu haben. Rathgeber: „Kutschera wollte meine Position übernehmen.“
Tag fünf im Salzburger Untersuchungsausschuss zur Spekulationsaffäre – und erstmals mussten Zeugen dem Gremium öffentlich Rede und Antwort stehen. Manfred Müller hatte die zweifelhafte Ehre, den Reigen zu eröffnen. Als Chef des Salzburger Rechnungshofes prüfte er seit 2005 die Rechnungsabschlüsse des Landes – oder besser: hätte sie prüfen sollen. „Wir haben gar nicht die Ressourcen und das Know-how, um das alles zu durchleuchten“, sagte er am Mittwoch. Vielmehr habe man sich auf einen Bericht des Bundesrechnungshofes aus den Jahren 2007/2008 verlassen. Für Aufsehen sorgte im Ausschuss auch ein Anlegerprofil des Landes bei einer Bank: Das Land kreuzte dabei die „allerhöchste Risikostufe“ an – bis zum Totalausfall des eingesetzten Kapitals.
Ob er, Müller, denn jemals selbst einen Akt der Finanzabteilung angeschaut habe? „Nein.“ Kopfschütteln im Publikum. Ob er nie die Fremdwährungsdeals des Landes hinterfragt habe? „Uns wurde gesagt, man sei 2008 aus allen riskanten Geschäften ausgestiegen.“ Wieder Kopfschütteln. „Wir haben darauf vertraut, dass man uns nicht dumm sterben lässt.“ Genau das ist aber laut Müller passiert: „Noch am 28. November wurde der Landtag von Brenner, Paulus und Rathgeber unvollständig und falsch informiert.“ Sein Resümee: „Das interne Kontrollsystem hat versagt.“
Schuld daran sei auch der Streit zwischen Buchhaltung und Budgetreferat gewesen. Müller, der bis 2005 die Landesbuchhaltung leitete, wollte in dieser Funktion Einblick in die Finanzgeschäfte nehmen. „Mir war klar: Wo es Erträge gibt, gibt es auch Risiko. Aber beweisen konnte ich es nicht.“ Seine Warnungen blieben ungehört. Der damalige ÖVP-Finanzlandesrat Wolfgang Eisl erteilte Müller im Jänner 2004 die Weisung, die Geschäfte der Finanzabteilung nicht zu hinterfragen. „Es war uns nicht mehr erlaubt, lästig zu sein.“
„Hier wurde bewusst und gewollt die Kontrolle ausgeschaltet“, urteilte die Grünen-Chefin und U-Ausschuss-Vorsitzende Astrid Rössler. Sie fand Müllers Aussagen „erschütternd“ und forderte, dass seine Funktion neu besetzt wird. Müller sei dafür „nicht qualifiziert“.
In Salzburg soll eine Referatsleiterin der Landes-Finanzabteilung 340 Millionen Euro Steuergeld verspekuliert haben. Die Aufklärung des Falles dürfte Wochen bis Monate dauern. Die Wurzeln für den Finanzskandal liegen lange zurück.
28. Februar 2000: Die damals 28-jährige Hauptverdächtige im Salzburger Finanzskandal, Monika R., wird Leiterin des Budgetreferats der Finanzabteilung des Landes Salzburg.
2001: Salzburg beschließt unter LHStv. Wolfgang Eisl (V) die Einführung des sogenannten Schuldenmanagements. Dabei werden Zinstauschverträge zur Reduktion der Zinslast vorgenommen. Das Modell entpuppt in der Folge als höchst lukrativ, seit 2002 dürften dem Land auf diesem Wege Einnahmen in der Höhe von über 150 Millionen Euro zugeflossen sein.
6. Februar 2003: Die Referatsleiterin R. erhält eine Vollmacht für eine Reihe risikoreicher Finanzgeschäfte. Ausdrücklich genannt werden Future-Optionsscheine, Finanzterminkontrakte, Devisenoptionsgeschäfte, Finanz-Swaps, Zinsbegrenzungsgeschäfte und "exotische Zinsderivate". Es gilt das 4-Augen-Prinzip. Verträge und Bestätigungen sind von jeweils zwei von drei Bevollmächtigen zu unterschreiben. Die Vollmacht wurde von Eisl unterzeichnet. Aus den risikoreichen Geschäften dürften vor allem in den Jahren 2006 und 2007 enorme Verluste entstanden sein.
4. Juni 2007: Der damalige Finanzreferent Othmar Raus (S) erlässt "Richtlinien für das Finanzmanagement“. So habe etwa eine monatliche Risiko- und Barwertberechnung des Portfolios durch eine externe und unabhängige Stelle zu erfolgen. Das "offizielle" Portfolio hat laut SPÖ dabei stets einen positiven Barwert gehabt.
13. Dezember 2007: David Brenner (S) übernimmt die Finanzagenden von seinem Vorgänger Othmar Raus. Im Jänner gibt er den Auftrag, die Risikolimits weiter zu reduzieren, am 13. März 2008 werden die Richtlinien vom Finanzbeirat – ein Gremium bestehend aus dem Leiter der Finanzabteilung Eduard Paulus und zwei externen Experten – weiter "verschärft". Offenbar darf der Verlust im schlimmsten Fall 90 Prozent des Barwerts nicht übersteigen. Zuvor waren es 100 Prozent.
Oktober 2008: Einem Bericht der "Salzburger Nachrichten" zufolge soll Paulus von einer der involvierten Banken erfahren haben, dass alleine bei diesem Institut ein Minus von über 30 Millionen Euro entstanden ist. Unklar ist, ob Brenner davon erfuhr. Sein Terminkalender in diesem Monat nennt keinen Bankentermin. Die Regionalbank forderte damals Garantien vom Land. Paulus habe abgelehnt, mit dem Hinweis darauf, dass die Politik ohnedies eingeweiht wäre. Eine andere Bank steigt ein.
Juli 2009: Der Rechnungshof kritisiert das Ausmaß der Derivatgeschäfte im Land: Salzburg habe diese mit zu hohem Volumen und zu hohem Risiko durchgeführt, ohne ausreichend über die Gesamtrisiken informiert gewesen zu sein. Allerdings stellt der Rechnungshof auch fest: Die Erträge aus den Derivatgeschäften haben den Landeshaushalt zwischen 2002 und 2007 um 65,04 Mio. Euro entlastet.
13. Juli 2012: Der Leiter der "roten" Finanzabteilung, der der ÖVP zugeordnete Eduard Paulus, informiert den Leiter der "schwarzen" Personalabteilung. Monika R. habe klar gegen Richtlinien und Dienstanweisungen gehandelt und das 4-Augen-Prinzip verletzt. Paulus fordert den Personalchef auf, die Frau „streng zu ermahnen und ihr für den Wiederholungsfall die Auflösung des Dienstverhältnisses anzudrohen“, die Personalabteilung kommt dem nach.
17. Juli 2012: Paulus informiert Brenner telefonisch über wiederholte Verstöße. Brenner erteilt eine schriftliche Weisung, der Mitarbeiterin mit sofortiger Wirkung die Vollmachten für alle Finanzgeschäfte zu entziehen, ihre Geschäfte zu prüfen, sämtliche Zugänge zum Landesnetz und dem Handelssystem zu sperren. Die Frau wird für mehrere Wochen beurlaubt
August/September 2012: Die Finanzabteilung berichtet laut SPÖ mehrfach, dass die angewiesenen Überprüfungen der Frau keine Auffälligkeiten gezeigt haben und das Portfolio "sauber" sein soll.
17. September 2012: Die Referatsleiterin kehrt aus dem Urlaub zurück
21. September 2012: Die Referatsleiterin beschwert sich in einem E-Mail bei der Landeshauptfrau, dass ihr alle persönlichen Rechte genommen werden und ihr der Zugang zu den Daten verweigert wird. Sie hängt dem Schreiben eine vorangegangene Korrespondenz mit Paulus an, der ihr vorwirft, in ihrem Urlaub Geschäfte gemacht zu haben und sich nicht an Anweisungen gehalten zu haben. In diesem Schreiben warnt R., dass vom Finanzbeirat getätigte Empfehlungen im Zinsbereich dem Land mehr als 130 Millionen Euro kosten werden.
27. September 2012: Es kommt zu einem persönlichen Treffen zwischen Landehauptfrau Gabi Burgstaller (S) und R. Die Frau spricht über ihre entzogene Vollmacht, eine Warnung über drohende Verluste gibt es nicht.
15. Oktober 2012: Ein Anfang Oktober eingestellter Mitarbeiter im Referat entdeckt, dass R. auch Geschäfte im Verborgenen macht, die gegen die Richtlinien des Finanzmanagements verstoßen und meldet das seinem Vorgesetzten. Offenbar existieren auch zusätzliche 253 Derivatgeschäfte, die der Portfolio-Rechenstelle der Deutschen Bank in Frankfurt nicht wie üblich gemeldet worden sind. Paulus informiert Brenner, der weist an, die Geschäfte aufzulösen, so dies ohne finanziellen Schaden möglich ist. Das soll auch passiert sein.
26. November 2012: Paulus und der neue Mitarbeiter informieren Brenner über den Verdacht, dass die Frau den Kauf von Wertpapieren auf Durchläuferkonten so verbucht haben könnte, dass die Sache nicht auffällt. Am Nachmittag wird R. mit dem Verdacht konfrontiert, um 17.00 Uhr kommt es zu einer Besprechung im Büro von Brenner. R. gibt vor allen Anwesenden an, dass sie in der beginnenden Finanzkrise 2006/2007 eine Schieflage der von ihr in den Vorjahren seit 2001 abgeschlossenen Derivate zur Kenntnis nehmen musste. Sie habe darüber nicht berichtet, um Kollegen und Vorgesetzte zu schonen. „Es sei ihr Ehrgeiz gewesen, diesen Verlust selbstständig aufzuholen“, heißt es in einem Aktenvermerk zur Sitzung. R. glaube, dass „aktuell nur mehr rund 340 Mio. Euro offen seien“, ein Betrag der „leicht verdient“ werden könne.
28. November 2012: Trotz ihrem mutmaßlichen Geständnis nimmt Monika R. an der Seite von Brenner noch bei Beratungen im Budgetausschuss im Land teil.
3. Dezember 2012: Landeshauptfrau Gabi Burgstaller wird über den Fall informiert
5. Dezember 2012: Brenner sagt, an diesem Tag über mutmaßliche Urkunden- und Unterschriftenfälschungen der Frau informiert worden zu sein.
6. Dezember 2012: Brenner informiert den Koalitionspartner ÖVP und die Öffentlichkeit und erstattet Strafanzeige. Im Raum stehen der Verdacht der Untreue, des Amtsmissbrauchs und der Urkundenfälschung. Die Frau soll "weisungswidrig spekulative Geschäfte getätigt“ und eigenen Angaben zufolge dem Land Salzburg extrem hohe Bewertungsverluste in einem inoffiziellen, ausschließlich von ihr selbst gemanagten Derivatportfolio zugefügt haben. R. habe „nach vorläufigem Wissenstand“ in sechs Fällen die Unterschrift des zweiten Bevollmächtigten elektronisch unter Dokumente gesetzt und voraussichtlich 19 Protokolle über Sitzungen des Finanzbeirates im Nachhinein verändert.
7. Dezember 2012: Die Anzeige einer anonymen "Salzburger Beamtenschaft – deren aufrechter Rest" geht bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien ein. Die Anzeige wurde bereits im November erstattet. Drei Tage später folgt die Anzeige des Landes.
10. Dezember 2012: Ermittler des BAK beginnen in Salzburg mit Vernehmungen und Sicherstellungen. In einer Regierungssitzung einigen sich SPÖ und ÖVP auf die weitere Vorgehensweise bei der Aufdeckung des Skandals. Am Abend kündigt die ÖVP einen Neuwahlantrag an. Die SPÖ lehnt Neuwahlen ab, die Grünen halten sie für notwendig. Die FPÖ, deren Stimmen für einen Neuwahlantrag notwendig sind, wollen erst in der ersten turnusmäßigen Landtagssitzung am 6. Februar zustimmen. Wahlen wären damit Anfang Mai möglich.
13. Dezember 2012: Die Aufarbeitung des Skandals beginnt. Bis zum 16. Jänner soll dem Finanzüberwachungsausschuss ein Bericht über den aktuellen Stand aller Kredite, Veranlagungen, Derivate und Wertpapiere vorgelegt werden.
14. Dezember 2012: LHStv. David Brenner gibt seinen Rücktritt bekannt. Er wird seine Funktionen in der außerordentlichen Landtagssitzung voraussichtlich am 23. Jänner niederlegen, wenn das Budgets für 2013 beschlossen werden soll.
21. Dezember 2012: Klage auf "Feststellung des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses": Die beschuldigte Landesbedienstete Monika R. bekämpft ihre fristlose Entlassung bei Gericht. Verhandlungstermin ist der 1. Februar 2013.
3. Jänner 2013: Der Leiter der Finanzabteilung im Land Salzburg, Hofrat Eduard Paulus, wird mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert. "Ich bin das Bauernopfer oder der Sündenbock", empörte sich Paulus.
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