Der Dreierkoalition wird der Außenminister nicht angehören. Warum er jetzt geht, was er Nachfolgerin Meinl-Reisinger rät und was er über das Treffen Trump und Selenskij denkt.
Alexander Schallenberg verlässt das politische Parkett. Im KURIER-Abschiedsinterview spricht der 55-Jährige über Donald Trump, Europa und ob er nachbetrachtet etwas lieber nicht gesagt hätte.
Das Gespräch wurde vor dem Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Wolodimir Selenskij geführt, eine entsprechende Frage nachgereicht mit * gekennzeichnet.
KURIER: Man sagt, Sie seien ein begnadeter Tänzer. Welches Lied beschreibt den jetzigen Zustand von Alexander Schallenberg am besten?
Alexander Schallenberg: "Start me up" von den Rolling Stones
Sie waren alles: Sektionschef, Außenminister, Übergangsminister, Kanzler. Jetzt gibt es eine Dreierkoalition, die Welt ordnet sich neu, und Sie verlassen ausgerechnet jetzt das politische Parkett. Warum?
Ich bin jetzt fast sechs Jahre in politischen Funktionen. Und ich glaube, es ist jetzt Zeit, dass ich mich neuen Ufern zuwende und neue Herausforderungen suche. Aber ich werde in Österreich bleiben.
Lassen Sie alle politischen Funktionen hinter sich? Oder werden wir Sie in einer anderen Funktion außen- oder innenpolitscher oder wirtschaftlicher Natur wieder sehen?
Ich bin und bleibe ein politisch denkender Mensch, der mit Herzblut jahrelang für die Außenpolitik dieses Landes gelebt hat. Aber ich sehe derzeit meine Zukunft woanders.
Gemäß Rolf Dobelli gefragt: Was war Ihrer Karriere förderlicher: Was Sie gesagt oder verschwiegen haben?
Was ich sage. Ganz klar.
Ihr zweiter Einsatz als Kanzler war weniger geräuschvoll als der erste. Was haben Sie dieses Mal besser gemacht?
Natürlich ist man beim zweiten Mal immer klüger. Aber 2021 war die innenpolitische Lage wegen der Pandemie eine ganz andere. Und jetzt war es letztlich eine geschäftsführende Bundesregierung, in der ich dieses Amt übernommen habe. Die Aufgabenstellung war anders.
Sie mussten viel Kritik einstecken, in der Zeit in Bild haben Sie die Aufregung über die Verteilung von Flüchtlingen auf Lesbos als "Geschrei" bezeichnet. Gibt es eine Aussage, die Sie in der Nachbetrachtung lieber nicht getätigt hätten?
Niemand ist fehlerfrei. Ich auch nicht. Ich habe damals schon kurz nach dem Interview gesagt, ich hätte besser eine andere Formulierung gewählt. In der Sache bleibe ich aber dabei. Es ging mir um diese übermäßige Emotionalisierung, die wir in diesem Bereich spüren. Man muss als Politiker jeden Tag Dutzende Entscheidungen treffen. Ich habe als Minister gedient in einer Phase, die besonders herausfordernd war. Denken Sie nur an die Pandemie, an den russischen Angriffskrieg, an die Situation im Nahen Osten, an die Teuerung.
Wenn ich etwas gesagt oder getan habe, das Menschen beleidigt oder verletzt hat, tut mir das persönlich leid. Aber ich habe jede Entscheidung immer nach bestem Wissen und Gewissen getroffen. Nach dem Wissensstand, den ich gerade in diesem Augenblick hatte. Das trifft auch auf die Impfpflicht zu.
Wie erleben Sie den scharfen Wind, der neuerdings aus den USA Richtung Europa bläst?
Er kommt nicht ganz überraschend. Aber wir sollten uns davor hüten, nur auf den Ton zu hören, bei jeder öffentlichen Äußerung die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und in Schnappatmung zu verfallen. Reagieren wir auf die Taten. Das ist jetzt eine sehr transaktionale Präsidentschaft. Aber man sieht doch immer wieder, dass Zusammenarbeit möglich ist. Es muss halt auch die Kommunikation eine andere werden.
Aber schafft nicht Donald Trump gerade Fakten? Reichen ihm nicht Staatenlenker wie Macron oder Starmer die Hand - und nimmt diese Hand nicht an?
Nicht alles, was öffentlich gesagt wird, ist sofort Faktum. Ganz grundsätzlich haben wir ein Übermaß an Emotionalität – neigen zu Instantbewertungen. Etwas mehr kühler Kopf und etwas mehr Distanz zu wahren im täglichen Rauschen tut einem gerade auch in der Außen- und Europapolitik gut.
*Wie haben Sie das Treffen zwischen Donald Trump und Wolodimir Selenskij wahrgenommen, in dem der US-Präsident vom Dritten Weltkrieg spricht?
Es geht hier um das Schicksal der Ukraine und letztlich um die Sicherheit Europas. In diesem Streit gäbe es nur einen Sieger und der sitzt in Moskau. Es darf keine Täter-Opfer-Umkehr geben. Selenskij fordert zu Recht Sicherheitsgarantien für sein Land und für die Menschen in der Ukraine. Wir Europäer müssen unsere Hausaufgaben machen und weiter intensiv an einem starken und strategisch autonomen Europa arbeiten.
Schauen wir wieder Richtung EU. Viele sagen, dass die EU sich anders aufstellen muss und hoffen dabei auf den künftigen deutschen Kanzler Friedrich Merz. Kann er erfüllen, was in ihn hineinprojiziert wird?
Wir haben eine sehr positive Erwartungshaltung an eine Regierung unter Friedrich Merz, gerade was Wirtschafts- und Industriepolitik betrifft. Auch, wenn wir über unsere Wehrhaftigkeit reden, nicht nur die militärische. Das ist genau die Stärke der EU: Sie besteht nicht nur aus Einem.
Es wäre zu billig, alle Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, auf einen Staat abzuwälzen. Was wir als Europäer jetzt wahrnehmen müssen: 30 Jahre Urlaub von der Geschichte sind spätestens seit dem 24. Februar 2022 vorbei.
Heißt das, dass wir einem Krieg näher rücken - nicht nur die Ukraine?
Ich hab mal den schönen Satz gehört: Europäer haben lange Zeit tatsächlich geglaubt, dass sie ihre Zukunft kennen. Wir haben lange Zeit so gelebt, dass wir dachten, unsere größten Probleme seien Mülltrennung und die Dekarbonisierung. Jetzt sind wir wieder dort gelandet, wo schon unsere Großeltern waren. Es geht ums Eingemachte. Wir waren in der Vergangenheit, als Europa, immer sehr stark, es gab Krisen und herausfordernde Momente. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir wieder stark sein werden. Es hilft doch nicht, wenn man versucht, sich in seiner Wohlfühlecke mit seiner Schmusedecke zu verkriechen. Diese Zeiten sind vorbei. Wir haben wieder Krieg auf unserem Kontinent. Und wir haben den Horror der Hamas gesehen. Wir haben eine Pandemie erlebt. Wir sind jetzt also endgültig in der Phase, in der wir endlich aufwachen müssen.
Was wir jetzt am meisten brauchen, ist ein Ende dieser intellektuellen Selbstaufgabe, der wir auf dem europäischen Kontinent huldigen. Das ist der Kontinent der Schwarzmaler und Untergangspropheten. Egal, welche Herausforderungen: Migration, Klima, Russland, die Reaktionen in Europa und auch in Österreich ist oft: "Das schaffen wir nicht.“
Müssen wir dann aus dieser Wohlfühldecke namens Neutralität heraus?
Das ist zu kurz gedacht. Vergessen wir nicht: Wir sind der Sitz von knapp 50 internationalen Organisationen. Noch vor zwei Jahren haben sich der amerikanische Nationale Sicherheitsberater und der höchste Außenpolitiker Chinas in Wien getroffen. Und beide Seiten haben gesagt: Das hat mit der Neutralität zu tun. Das hat einen Wert, in einer konfrontativen, multipolaren Welt umso mehr.
Andreas Babler, Christian Stocker, Beate Meinl-Reisinger
Sehen Sie in Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger, die Protagonisten auf der Bühne, die die Frage unserer Neutralität tatsächlich offen angehen?
Ich glaube, das ist die falsche Diskussion.
Wir diskutieren ja gar nichts.
Wir müssen nicht über Neutralität reden, sondern über die gemeinsame Sicherheit. Neutralität bringt uns keine Sicherheit. Neutralität heißt, wir schließen uns keinem Militärbündnis an und wollen keine Stützpunkte fremder Armeen auf österreichischem Boden. Das lässt die Frage nach unserer Sicherheit in Wirklichkeit aber unbeantwortet. Wir müssen also selber dafür sorgen.
Schallenberg mit dem damaligen Kanzler Kurz bei der UN-Vollversammlung in New York
Und die wichtige Frage ist: Was braucht es für eine österreichische Wehrhaftigkeit? Ich rede nicht nur vom Militär, ich rede vom Schutz unseres Industriestandorts. Ich rede von Handelsverträgen, aber auch von der geistigen Verfasstheit. Welchen Beitrag dazu können wir im Rahmen der Europäischen Union leisten?
Es gibt noch ein anderes Terrain, das Sie mit bespielt haben und wo Sie gern gesehener Gast waren- die Kunst und Kultur. Wird man Sie vielleicht dort wieder sehen? Stichwort Salzburger Festspiele?
Man kann darauf wetten, dass man mich auch in Zukunft bei Kulturveranstaltungen, in Galerien und so weiter sehen wird. Kunst und Kultur ist ein Teil meines Lebens und ich werde es genauso weiter handhaben. Wenn die Frage eine Anspielung ist auf eine formelle berufliche Rolle, lautet die Antwort: Nein
Ich habe Pläne, die aber noch nicht spruchreif sind.
Welchen Satz werden Sie Ihrer Nachfolgerin Beate Meinl-Reisinger mitgeben, wenn Sie das Außenministerium verlassen?
Ich werde einen sehr professionellen, kollegialen Übergang sicherstellen. Denn es geht um mehr als Ämter. Da geht es um Menschen. Das Amt des Ministers ist ein Wert für sich, gerade in der Außenpolitik. Das soll man auch genießen. Auch, wenn es auch weniger tolle Seiten gibt.
Zur Abschlussfrage: Herr Schallenberg schließen Sie aus, dass Sie als Bundespräsident kandidieren würden?
Das habe ich echt nicht am Radar. Ich muss jetzt einmal meinen neuen Lebensabschnitt organisieren. Es ist für mich eine Riesenzensur im Leben. Aber Leben ist Wandel.
Aber es ist eine freiwillig geschaffene Zäsur?
Ja. Ich habe diesen Beschluss gefasst. Das ist seit Anfang Jänner in mir gereift, Stück für Stück. Außenminister zu sein, ist mein Traumjob gewesen, in einer sehr aufregenden Zeit. Aber man muss auch wissen, wann man die Staffel weitergibt.
Kommentare