"Dann ist die NATO am Ende und Putin am Ziel"

NATO-Soldaten
In Europa ist Feuer am Dach: Seit US-Präsident Trump klarstellte, dass er bei Verhandlungen mit Moskau über einen Waffenstillstand in der Ukraine keine Europäer am Tisch braucht, beraten Europas Spitzenpolitiker hektisch: Wie kann Europa Trump noch umstimmen, was kann Europa für einen Friedensdeal anbieten? Möglicherweise eine Friedenstruppe, sagt Militärexperte Carlo Masala - aber nur mit vollem Rückhalt durch die USA.
KURIER: Macht die Ukraine-Hilfe der EU unter den momentanen Voraussetzungen überhaupt noch Sinn? Trump düpiert die Europäer, und Ungarn will sowieso blockieren.
Carlo Masala: Natürlich macht das Sinn, weil der Krieg geht ja weiter. Nur, weil es möglicherweise Verhandlungen zwischen den USA und Russland gibt, stellt Russland seine Kriegsführung nicht ein. Die Waffenlieferungen aus den USA an die Ukraine sind jetzt noch immer jene, die unter Biden bewilligt wurden. Trump hat sie bisher nicht angehalten, obwohl er das machen könnte. Letzten Endes besteht weiter die Notwendigkeit, der Ukraine Waffen zur Verfügung zu stellen.

Militärexperte Carlo Masala
Was kann Europa jetzt überhaupt noch tun?
Europa kann seine Position bekräftigen, dass es keine Verhandlungen ohne die Ukraine geben darf. Und dass, was immer die Ukraine entscheidet, auch Europas Position ist. Gleichzeitig muss Europa - ich meine eine möglichst große Koalition europäischer Staaten - dafür sorgen, wenn amerikanische humanitäre Hilfe und Waffenlieferungen ausbleiben, diese Lücke zu ersetzen.
Was würden Sie als vernünftige Sicherheitsgarantien für die Ukraine bezeichnen?
Das eine ist eine NATO Mitgliedschaft - die wird die Ukraine aber nicht bekommen. Das zweite wäre eine europäische oder eine internationale Truppe. Die glaubwürdigste Sicherheitsgarantie wäre eine Erklärung der Amerikaner, dass sie für den Fall eines Angriffes auf diese Truppen aus dem sogenannten rückwärtigen Raum reagieren werden, also nicht aus der Ukraine heraus.
So könnten sie Marschflugkörper über die Sechste Flotte von der See her schicken; mit den in Europa stationierten F-35 unterstützen oder über die zweite Flotte in der Ostsee operieren. Diese Sicherheitsgarantie würde abschreckend wirken auf den Versuch Russlands, die Belastbarkeit einer solchen Truppe zu testen.
Es braucht also eine europäische Truppe für die Ukraine?
Es geht darum: Wenn Truppen vor Ort sind, ob international oder europäisch, muss man immer damit rechnen, dass Russland sie testet. Deswegen braucht man ein Signal, dass Moskau in diesem Fall ein Problem mit den Amerikanern bekommen würde. Aber wenn europäische Truppen angegriffen würden, und das kein Fall für Artikel 5 der NATO wäre, hätte das keine ausreichende abschreckende Wirkung auf Russland.
Eine Koalition innerhalb der europäischen NATO- oder innerhalb der EU-Staaten?
Es sollte schon eine Koalition europäischer EU Staaten sein, die auch offen ist für europäische Nicht-EU-Staaten. Ich denke zum Beispiel an Großbritannien, auch an die Türkei.
Sehen Sie jetzt schon mehr Anzeichen als nur Worte?
Ein paar Anzeichen gibt es: die Bereitschaft Großbritanniens und Frankreichs, gegebenenfalls Truppen in die Ukraine zu schicken - im Rahmen einer Absicherung des Waffenstillstandes. Wir haben Polen Premier Donald Tusk, der konkrete Initiativen vorgeschlagen hat. Wir wissen nicht, ob andere darauf anspringen werden. Zentral wird es sein, dass wir relativ schnell eine deutsche Regierung bekommen.
Wenn Deutschland zögert oder handlungsunfähig ist, werden sich einige europäische Staaten nicht bewegen. Wenn Deutschland mit in die in die erste Reihe der Staaten geht, die jetzt vorangehen wollen, werden auch viele kleinere europäische Staaten folgen
Wo sehen Sie da das neutrale Österreich?
Österreich wird sicher kein aktiver Part dabei sein, Truppen in die Ukraine zu schicken. Aber es könnte sich beteiligen als möglicher Transportweg, um Waffen von A nach B zu liefern oder bei der Finanzierung von Waffenlieferungen: Und wenn Österreich sich zudem einbringen sollte, nach Wegen zu suchen, wie man die konventionelle Verteidigung Europas sichern kann bei fehlender amerikanischer Unterstützung, spielt Österreich natürlich weiter eine Rolle. Etwa durch die Mitgliedschaft in der European Sky Shield Initiative. Es gibt Möglichkeiten, eine aktive Rolle zu spielen, ohne die Neutralität zu verletzen.
Trump könnte der Ukraine einen Friedensschluss aufzwingen - zu Bedingungen, die Kiew nicht will. Wie soll man sich das vorstellen?
Das wird nicht gehen. Dann wird der Krieg weitergehen.

Drei Jahre Krieg in der Ukraine
ist Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politik an der Uni der Bundeswehr München. Masala (56) gilt als einer der renommiertesten Militärexperten des deutschsprachigen Raums. Der überwiegend in Leipzig lebende Experte sieht die momentane geopolitische Gemengelage düster: Ohne US-Unterstützung könne sich
Europa kaum verteidigen
Sein neuestes Buch
wird am 20. März erscheinen: „Wenn Russland gewinnt. Ein Szenario“, C. H. Beck
Weil die Ukraine sich wehrt. Genau deswegen ist es so wichtig, dass wir die Position der Ukraine unterstützen und die fehlenden amerikanischen Hilfsleistungen ersetzen.
Orban könnte Europa dann vorwerfen, man prolongiere den Krieg.
Alles, was wir bisher von der Trump-Administration hören, läuft darauf hinaus, dass Trump Russland das gibt, was es will: die Ukraine muss auf Gebiete verzichten; sie wird nicht Mitglied der NATO; die USA werden sich nicht an der Absicherung eines Waffenstillstandes beteiligen; sie wollen ihre Beziehungen zu Russland normalisieren; Russland wieder in die G8 aufnehmen. Gleichzeitig müssen wir damit rechnen, dass die USA Truppen aus den baltischen Staaten und Polen abzieht. Die Italiener bereiten sich auch bereits auf einen möglichen Abzug amerikanischer Truppen aus dem Kosovo vor. Hier werden also letzten Endes russische Bedingungen zu 100 Prozent erfüllt.

Kann sich über die Russland-freundliche Trump-Administration freuen: Kremlchef Putin
Ich kenne dagegen keine einzige Forderung, die die Amerikaner an die Russen stellen, etwa, was Russland leisten muss, um zu einem Waffenstillstand zu kommen. Am Ende ist das ein Diktatfrieden. Der wird Putin nur ermuntern, nach einiger Zeit weiterzumachen. Das ist ja das Ziel Putins: Nicht nur ukrainisches Territorium zu erobern, sondern eigentlich die gesamte Ukraine zu haben. Von daher ist das Orban-Argument natürlich Unsinn, weil Orban Putins bester Verbündeter in der EU ist. Der will ja auch, dass Russland siegt.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Trump-Administration nun so sehr auf Russland einschwenkt?
Es gibt zwei Erklärungen. Eine lautet, dass es das große strategische Ziel dieser Administration sei, Russland aus der Umklammerung von China zu herauszulösen, an die Seite der USA zu stellen, um dann gegen China vorzugehen. Daran zweifle ich. Ich denke eher: Trump hat seinen Wählern einen schnellen Deal versprochen.
Zur NATO: Trump hat vor kurzem gesagt, es werde nicht passieren, dass er alle 90.000 oder 100.000 US-Soldaten aus Europa abzieht. Beruhigt Sie das?
Wir gehen in Richtung, dass ein Großteil dieser Truppen abgezogen wird. Ein kleines Kontingent wird bleiben - Ramstein, weil man das als Basis braucht, auch für Operationen im Mittleren und Nahen Osten oder Zentralasien im Kaukasus: Alles, was in Großbritannien ist, bleibt.
Aber wir hören aus verschiedenen Quellen, dass letzten Endes Truppen aus dem Baltikum, aus Rumänien und Bulgarien abgezogen werden sollen, also alles, was die Amerikaner nach 1997 in Mittel und Osteuropa stationiert haben. Das entspricht genau Putins Forderung.
Putin könnte dann das Baltikum angreifen oder sogar Polen. Ist das nicht total übertrieben?
Ich glaube nicht, dass Putin Polen angreifen wird. Noch nicht mal, dass er die baltischen Staaten angreifen wird. Putin geht kalkulierte Risiken ein. Und bei einem vollumfänglichen Angriff auf Polen wäre das Risiko, dass Artikel 5 der NATO greift, relativ groß. Das wäre dann die Auseinandersetzung zwischen NATO und Russland, von der keiner weiß, wie sie ausgehen wird und wo der Nuklearkrieg über den Köpfen aller schwebt. Ich gehe davon aus, dass Putin die NATO testen wird, wo das Risiko kalkulierbar ist.
Und das wäre wo?
So ein Szenario kennen wir aus der Ostukraine: In Estland und Litauen gibt es 30.000 bis 50.000 Einwohner-Städte, die in der Nähe der russischen Grenze liegen. Die haben einen hohen Anteil russischsprachiger Bevölkerung. Russland müsste nur beklagen, dass die Menschen dort diskriminiert würden - und dann nehmen sie relativ handstreichartig mit wenigen Truppen diese Städte ein. Dann gehen sie zur NATO und sagen: „Es geht uns nur um diese Stadt. Wir wollen die Interessen unserer russischen Mitbürger dort schützen. Wollt Ihr wegen der Befreiung einer 30.000 Einwohner Stadt den vollumfassenden Krieg gegen Russland mit einer Nuklearkomponente riskieren?“ Wenn die NATO dann kontern sollte: Ja, das ist ein Fall für Artikel 5, ziehen sich die russischen Truppen zurück. Wenn die NATO allerdings dann den Artikel 5 nicht ausruft, dann ist die NATO am Ende und Putin hat gewonnen. Das ist aus russischer Sicht ein sehr kalkulierbares Risiko.
Und auf diese Sicherheit, dass die USA im Ernstfall den Bündnisfall - Artikel 5 - ausrufen, kann sich Europa nicht mehr verlassen.
Präsident Trump hat bereits in seiner ersten Amtszeit in einem Interview gesagt, er würde doch nicht für Mazedonien den Dritten Weltkrieg riskieren. Mazedonien ein Land. Wir reden aber über eine Stadt, also sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Artikel 5 ausgerufen werden sollte. Und wenn das nicht passiert, dann hat die NATO keine Daseinsberechtigung mehr. Denn die NATO basiert nur auf diesem Versprechen von Artikel fünf.
Und das ist etwas, was Trump oder die USA wollen würde? Die NATO obsolet werden lassen?
Die USA wollen nicht mehr liberaler Hegemon der westlichen Welt sein. Es geht nicht um einen Rückzug aus der Welt, sondern um eine Politik, in der man sich auf die Schwerpunkte konzentriert, von denen man glaubt, dass sie gefährlich für die USA sind. Das ist Asien und nicht mehr Europa. Trump hat in seinem Post, in dem er Selenskij als Diktator bezeichnet hat hat, einen Satz geschrieben, der aus dieser Perspektive wirklich wichtig ist: "Wir haben einen wundervollen Ozean, der uns schützt." Und da sind wir in einer amerikanischen Denkfigur, die schon seit dem 19. Jahrhundert existiert. Na ja, wir sind eine Insel. Pazifik. Atlantik. Keiner kann uns erobern.
Wäre das dann nicht umkehrbar? Es könnte ja am Ende wieder eine demokratische Regierung kommen in den USA.
Wir müssen dahingehend ehrlich sein, dass das eigentlich die Bestrebung jeder amerikanischen Administration seit Obama ist: Das Umschwenken amerikanischer Ressourcen auf den asiatischen Raum. Aber keiner macht es so radikal wie Donald Trump.
Sehen Sie eine Möglichkeit für eine europäische NATO oder europäische Armee?
Eine europäische Armee ist Quatsch. Was es braucht, ist jetzt eine Koalition von europäischen Staaten. Die sehr schnell einen Plan entwickeln, woher sie Geld nehmen. Und welche Systeme es braucht, um Europa konventionell startklar zu machen. Das lässt der europäische Unionsvertrag zu.
Also nicht warten, bis sich alle Europäer einig sind, weil das werden sie nicht. Sondern die, die die Notwendigkeit zum Handeln sehen, zusammenzubringen und voranzuschreiten. Die kritische Masse ist groß genug.
Es wäre also machbar?
Machbar, aber eine riesige Kraftanstrengung, die geleistet werden muss. Schnell.
Sonst passiert was?
Wir haben dieses Menetekel, dass uns die Amerikaner ihren Schutz entziehen. Wenn wir den nicht schnell ersetzen, sind wir relativ hilflos gegenüber der Nuklearmacht Russland. Die gesamte Luftverteidigung für Deutschland stellen die Amerikaner bereit. Wir Deutschen haben sechs Patriot Batterien. Damit könnte man Berlin schützen - nur Berlin. In anderen Staaten sieht es auch nicht viel besser aus. 73 Prozent der satellitengestützten Aufklärungsfähigkeiten liefern die Amerikaner. Wenn die das nicht liefern, sind wir blind. Und: wir haben keine ausreichenden strategischen Transportfähigkeiten - um Soldaten und schweres Gerät von A nach B zu verlegen. Das sind alles Sachen, die die Amerikaner zur Verfügung stellen.
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