Salcher: "Habe Riesenangst, dass Reform scheitert"

Autor Andreas Salcher: "Einige Lobbys wollen keine Schulautonomie".
Andreas Salcher über die schwachen PISA-Ergebnisse, was daran positiv ist – und was sich ändern muss.

KURIER: Immer wieder PISA, und es zeigt sich, dass wir nicht vom Fleck kommen. Warum?

Andreas Salcher: Auffallend war, dass wir in allen drei getesteten Gebieten (Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaften) unter den Ergebnissen aus dem Jahr 2000 sind. In der Zwischenzeit haben wir mit viel Geld die Klassenschülerhöchstzahl reduziert, die Neue Mittelschule initiiert und andere kleine Änderungen herbeigeführt. Offensichtlich ist nichts davon wirksam, sonst hätten wir besser abgeschnitten.

In Mathematik lagen wir über dem OECD-Durchschnitt.

Das zeigt doch nur, dass wir in der Durchschnittsfalle gelandet sind. Unser Ziel kann nur sein, dass wir zu den Spitzenreitern gehören. In manchen Bereichen sind wir aber besonders schlecht, etwa bei den Risikoschülern.

So schlecht kann es auch nicht sein, wir haben ja eine vergleichsweise niedrige Jugendarbeitslosigkeit.

Auch da, wo wir uns lange bejubelt haben, werden wir in Wahrheit ebenfalls systematisch schlechter. Würde ich gefragt, was ein Zukunftsberuf sein wird, müsste ich ganz zynisch sagen: AMS-Betreuer, die Sozialhilfe auszahlen. Wir bauen in Wien nicht Gründerzentren, sondern AMS-Gebäude. Das ist doch ein eindeutiges Zeichen.

Gibt es nichts Positives über den PISA-Test zu sagen?

Doch. Sonja Hammerschmid ist die erste Ministerin, die nicht versucht hat, die Ergebnisse schönzureden, sondern klar sagt: Das Ergebnis ist inakzeptabel. Das ist anerkennenswert.

Warum haben die Reformen nichts gefruchtet? Etwa die Senkung der Klassenschülerhöchstzahl von 30 auf 25?

Weil alle Studien klar gesagt haben: Der Lehrer hat zwar subjektiv ein besseres Gefühl in einer kleineren Klasse. Er ändert aber seine Pädagogik und seinen Unterricht nicht, daher ändert sich nichts im Ergebnis. Wirklich besser wird es erst mit weniger als 12 Schülern, sagt die Wissenschaft klar. Also war das nur eine enorm teure Maßnahme, die nichts gebracht hat. Das Geld hätte man besser verwenden können, wie jene Länder zeigen, die in Lehrerausbildung und Unterrichtsqualität investiert haben.

Auch die Hauptschul-Reform hin zur Neuen Mittelschule blieb offenbar ohne Ergebnis. Warum?

Das Konzept war nicht schlecht. Nur sind zwei wesentliche Elemente nie umgesetzt worden: In den Hauptgegenständen hätte verpflichtend ein AHS- und ein NMS-Lehrer gemeinsam unterrichten sollen. Das ist nicht passiert. Und Teamteaching wurde von oben verordnet, ohne Kenntnisse der Lehrer, wie das geht. Das hat nur im Idealfall funktioniert, bei besonders engagierten Lehrern. Auch die Neue Mittelschule ist also teuer, aber ineffizient.

Jetzt sollen zwei Reformen kommen: Schulautonomie und Ganztagsschule. Die richtige Antwort?

Nur, wenn man das richtig umsetzt. Die Ziele der Regierung sind gut und realistisch. Aber einige Lobbys wollen keine Schulautonomie. Weil Macht verschoben wird, etwa vom Schulgemeinschaftsausschuss zum Direktor. Ich habe die riesige Angst, dass das jetzt scheitert, weil sich abzeichnet, dass die Reform systematisch verwässert wird. Ein bissl Schulautonomie funktioniert aber nicht – und Gegner könnten dann mit Recht sagen: Das hat nichts gebracht.

Salcher: "Habe Riesenangst, dass Reform scheitert"

Warum wird verwässert?

Der Direktor soll ja in Zukunft auf Zeit bestellt und an den Leistung seiner Schule gemessen werden. Daher muss ich ihm die Möglichkeit geben, sich seine Lehrer auszusuchen, sich von ungeeigneten Lehrern zu trennen, eine neue Pädagogik umzusetzen, die 50-Minuten-Einheit aufzulösen, und die Klassengröße flexibel zu gestalten.

Ohne Mitbestimmung von Eltern, Lehrer und Schüler?

Kein Direktor, der erfolgreich sein will, wird gegen den Widerstand der anderen alles durchboxen. Aber er muss das letzte Wort haben. Der Schulgemeinschaftsausschuss übernimmt ja keine Verantwortung.

Die Lobbys sind aber mächtig, also wird das scheitern?

Ich höre, dass die Regierung hier hart bleiben will, was gut ist. Meine Angst begründet sich darauf, dass der Gesetzesbeschluss verschoben wurde auf Jänner. Das ist eine alte Strategie, immer wieder neu- und nachverhandeln und verwässern – und dann einigt man sich auf Worthülsen, die niemandem weh tun, aber auch nichts bringen. Das war schon der Fehler bei der NMS.

Der Widerstand wird größer?

Wer das System verteidigt, verteidigt den aktuellen Zustand, der nicht befriedigend ist. Es ist kein Bashing des Schulsystems, wenn man sich darüber aufregt, dass jeder fünfte Schüler nach neun Jahren Pflichtschule nicht sinnerfassend lesen kann. Wenn das System nicht funktioniert, müssen wir es verändern. Denn das System orientiert sich jetzt an allen Interessen, nur nicht an jenen der Schüler.

Reformpaket vor Abstimmung 750 Millionen Euro sollen in den kommenden zehn Jahren in den Aus- und Umbau und in Personal investiert werden, um mehr Plätze in Ganztagsschulen zu schaffen. Im Jahr 2015 waren nur 776 Klassen echte Ganztagsklassen, das sind knapp 1,5 Prozent aller Klassen in Österreich. Davon 90 Prozent in Wien.

Nachfrage ist vorhanden Wie eine aktuelle gfk-Studie zeigt, ist die Nachfrage groß. 65 Prozent der Befragten wollen mehr ganztägige Schulformen. Damit widerspricht die Meinungsumfrage jenen, die behaupten, die Nachfrage, vor allem am Land, sei gar nicht vorhanden.

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