"Autoritäre Führer sind die größte Gefahr"

Dem ungarischen Rechtspopulisten Viktor Orban weist Roth Verbindungen zur organisierten Kriminalität nach.
Für Jürgen Roth haben die Rechtspopulisten die liberale Demokratie im Visier. Regierungen und die EU-Institutionen tragen Mitschuld.

Das Vertrauen der Bürger in demokratische Institutionen schwindet. Der deutsche Journalist Jürgen Roth geht im Buch "Schmutzige Demokratie" der Frage nach, warum das so ist und wer davon profitiert.

KURIER: Die Bürger misstrauen zunehmend den Eliten in Wirtschaft, Politik und Justiz. Was macht Ihnen die größte Sorge?

Jürgen Roth: Diejenigen Parteien und Bewegungen, die einen autoritären Führer und Staat wollen, die sich nicht an der demokratischen Kultur beteiligen wollen, sondern nur ihre völkischen, also autoritären nationalistischen Interessen durchsetzen wollen. Das ist die größte Gefahr in Europa.

Immer mehr glauben, dass die Rechtspopulisten die wahren Demokraten seien. Können Sie das nachvollziehen?

"Autoritäre Führer sind die größte Gefahr"
Jürgen Roth
Es gibt in der Geschichte kein einziges Beispiel dafür, dass Rechtspopulisten oder gar rechtsradikale Parteien eine demokratische Erneuerung herbeigeführt haben. Im Gegenteil. Immer haben sie zu autoritären, antidemokratischen Verhältnissen geführt. Das sollte jeder, der diese Parteien wählt, wissen. Ich glaube, dass viele AfD- oder FPÖ-Wähler ein bestimmtes Geschichtsbild haben: Sie lassen sich nur noch von bestimmten Medien beeinflussen, die ihre Vorurteile, ihre Ressentiments weiter verstärken. Sie benötigen ein Feindbild. Was einst die Juden sind heute die Muslime. Sie glauben den Lügen, etwa dass die FPÖ nichts mit den "Identitären" zu tun hat – Neonazis, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ende Oktober findet zum Beispiel ein Kongress gegen die "ethnokulturelle Verdrängung der europäischen Völker" in Linz statt, wo ein führender FPÖ-Mann Referent ist, neben einem AfD-Mann, einem Vertreter der Neuen Rechten und einem bekannten deutschen Verschwörungstheoretiker, der die Identitären unterstützt.

Was haben die traditionellen Parteien falsch gemacht?

Sie gehen nicht mehr in dem Maße, wie es notwendig ist, auf die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen eines Teils der Bevölkerung ein. Deshalb ist die Kritik, die sich gegen die EU-Institutionen richtet, nicht falsch, selbst wenn sie von den Rechten kommt. Dabei bieten diese keine Alternative an, sondern sind Teil des neoliberalen Systems – Beispiel Schweizer SVP. Das ist eine Partei der Milliardäre.

Das scheint ihren Wählern egal zu sein. Suchen diese Menschen nach Identität, die die Populisten ihnen geben?

Das spielt sicher eine Rolle. Derzeit prallen unterschiedliche Kulturen aufeinander – eine weltoffene städtische und eine traditionelle ländliche. Dabei ist auf dem Land die "Bedrohung" durch Migranten nicht vorhanden. Da haben wir Idylle. Es gibt aber auch eine sozial und kulturell entleerte Idylle, wo keine Infrastruktur mehr vorhanden ist. In dem Moment, wo keine sozialen und kulturellen Infrastrukturmaßnahmen durchgesetzt wurden, hat man braun gewählt.

Warum ist man im Osten besonders anfällig für Nationalismus?

Das ist ein Problem des nicht gelösten Transformationsprozesses. Eine korrupte Elite ist durch die andere ersetzt worden, eine demokratische Bewegung gab es nur rudimentär. Die wird derzeit zerschlagen, was man in Ungarn besonders gut sieht. Die Trumpfkarte, um demokratische Bewegungen auszuschalten, ist in arabischen Ländern der Islam, in Osteuropa der autoritäre Nationalismus. Dabei zeichnen sich die Rechtspopulisten, wenn an der Macht, durch korrupte, mafiöse Strukturen aus. Ungarn ist der Präzedenzfall. Selbst das US-Außenministerium sagt: "Es hat die Übernahme des Staates durch Privatpersonen stattgefunden, die Verbindungen zur Korruption und organisierten Kriminalität haben." Zudem spielt die orthodoxe Kirche eine unheilvolle reaktionäre Rolle. Verbindungen zu Rechtspopulisten in Deutschland und Österreich sind offensichtlich.

Was könnte das Vertrauen in die Demokratie stärken?

Die Zeiten, in denen die Parteien alleine die Politik bestimmen, sind vorbei. Es kommt darauf an, dass sich die Zivilgesellschaft zu Wort meldet. Nicht isoliert, sie muss eine gemeinsame Abwehrfront bilden. Nur so ist die Entwicklung hin zu einem nationalistischen Autoritarismus zu verhindern. Und EU-Institutionen müssen demokratisiert werden. Es kann nicht sein, dass finanzstarke Lobbys bestimmen, welche Gesetze nationale Parlamente erlassen. Es kann nicht sein, dass Steuerhinterziehung geduldet wird. Es ist ein öffentlicher Aufschrei notwendig, der sagt: Wir nehmen das derzeit herrschende neoliberale System nicht mehr hin. Wir wollen in keinem Fall von einem System beherrscht werden, das die glücklicherweise immer noch bestehende lebendige multikulturelle Demokratie zerstört. Und das wollen alle Rechtspopulisten wie FPÖ oder Front National. Die orientieren sich – das ist auffällig – alle an dem "unheimlich" undemokratischen Putin.

Sie mahnen eine ehrliche Diskussion über die Integration ein.

Sicher besteht die Gefahr, dass die Fremdenfeindlichkeit verstärkt wird. Für mich stellt sich die Frage, ob man es wagen kann, das Problem lösungsorientiert anszusprechen. Ich glaube schon. Die Lösung wäre jedenfalls nicht, alle Flüchtlinge rauszuschmeißen. Es geht darum, durch soziale Maßnahmen denen zu helfen, die bei uns Schutz suchen.

"Autoritäre Führer sind die größte Gefahr"
Jürgen roth
Info: Jürgen Roth, 71, ist als „Kenner der Szene“, aber auch für seine Polemik bekannt. Er wurde bereits mehrmals wegen seiner Publikationen verklagt, u. a. vom deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder.

Jürgen Roth: "Schmutzige Demokratie", Verlag Ecowin, 24 Euro

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