Zwei-Klassen-Justiz: Der teure Weg zum Recht

Zwei-Klassen-Justiz: Der teure Weg zum Recht
Lange Verfahren und hohe Kosten bedeuten oft den Ruin.

Seit 83 Prozesstagen sitzen sie aufgefädelt in einer Reihe mit Karl-Heinz Grasser, Walter Meischberger und Peter Hochegger. Seit 83 Tagen füllen sie nicht mehr als eine Statistenrolle in dem Monsterprozess aus. Was viele schon vergessen haben: Im Buwog-Prozess gibt es insgesamt 16 Angeklagte. Nur fünf davon sind die Big Player in der Causa – die restlichen elf können wenig zur Wahrheitsfindung beitragen. Beinahe arbeitslos sitzen ihre Anwälte tagelang im Schwurgerichtssaal herum. Däumchen drehend dürfen diese Schattenangeklagten auf ihr Urteil warten, und das kann noch dauern. "Wenn wir Glück haben, bekommen wir 2020 ein Urteil", schätzt Grasser-Verteidiger Norbert Wess.

Das Einzige, was für die Nebenangeklagten mit Hochgeschwindigkeit läuft, ist der Taxameter. Rund 400 Euro kostet sie eine Advokaten-Stunde. Das verursacht an einem Prozesstag Kosten von 3000 Euro.

Vor allem jene, die wegen der Nebengleis-Causa Terminal Tower (Einmietung der Linzer Finanzbehörden in den Terminal Tower. Meischberger bekam 200.000 Euro Provision. Bestechungsgeld nennt es die Anklage) wegen Untreue oder Bestechung angeklagt sind, befinden sich am Rande ihrer Kräfte. Einige kämpfen um die Existenz ihrer Familien. Andere sind in psychologischer Behandlung.

In der Causa Terminal Tower geht es um einen Schaden von 200.000 Euro. Damit übersteigen die Prozesskosten die Schadenssumme bei weitem – sie liegen jetzt schon pro Angeklagtem über 200.000 Euro. "Diese Endlosprozesse sind kein gutes Zeichen für das Vertrauen in die Justiz", analysiert Neos-Abgeordnete und Ex-OGH-Richterin Irmgard Griss.

Wer in die Mühlen der Justiz gerät, ist oft ohnmächtig den Abläufen vor Gericht ausgeliefert – und die können mitunter unleistbar und langsam sein. Zwar argumentiert das Justizministerium, dass sie im internationalen Vergleich gut liegen. So sind Zivilverfahren nach viereinhalb Monaten in Österreich erledigt – gegenüber durchschnittlich 233 Tagen in Europa. Scheidungen dauerten zuletzt in Österreich 161 Tage. Bei Strafverfahren kommt es nach durchschnittlich 4,2 Monate zum rechtskräftigen Urteil. So weit die Statistik.

Herzinfarkt

Gerade in komplexen Wirtschaftsfällen muss man derzeit aber mit einer Verfahrensdauer zwischen sechs und zehn Jahren rechnen. Das war so beim YLine-Prozess oder beim Bawag-Skandal. "Ich hatte drei Mandanten, die trotz Freisprüchen nach so einem überlangen Prozess einen Herzinfarkt erlitten. Nach der jahrelangen Anspannung versagt der Organismus", so Grasser-Anwalt Wess.

Für Verblüffung sorgten auch die erst kürzlich entdeckten Ermittlungen gegen Grasser im Eurofighter-Fall. Kurioserweise ermittelt die Staatsanwaltschaft seit 2011 gegen den Ex-Minister wegen Amtsmissbrauch und Geldwäsche. Nur wurde Grasser weder verständigt noch einvernommen. Willkommen in der Willkür.

Doch nicht nur die Verteidiger kritisieren das Zeitlupen-Tempo. So beklagt Volksanwältin Gertrude Brinek das Schneckentempo beispielsweise beim Obsorgerecht (siehe Interview unten).

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Irmgard Griss

Zu wenig Gutachter

Mitschuld an der Misere sind vor allem die Gutachten. "Oft benötigen die Gutachter für einen Obsorgefall, wo es zu einer Kindesabnahme kam, zwei bis drei Jahre für ihre Expertise. Und meistens heißt es dann im Gutachten, das Kind sei nach zwei Jahren vom Elternteil ohnehin schon zu entwöhnt. Das kann nicht sein. Manchesmal habe ich das Gefühl, vor Gericht wird komplett ausgeblendet, wie es den Betroffenen in so einer Situation geht", sagt Brinek.

Auch Griss ortet als eine Ursache für die langen Verfahren einen Mangel an Gutachtern. Gerade bei den komplexen Fällen gibt es oft "nur drei Spezialisten für dieses Gebiet", kritisiert die Ex-OGH-Richterin. Auf diese Gutachten müsse die Staatsanwaltschaft dann oft ein Jahr warten. Einen guten Weg habe die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft eingeschlagen, die ihre Staatsanwälte in die Weiterbildung für internationale Geldflüsse & Co. schicke, sagt Griss.

Auch die Anzahl der Staatsanwälte müsse aufgestockt werden, um die Verfahren zu verkürzen, fordert Griss. "Es ist aufwendig, aber der Staat muss die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen." Von Zeitlimits für die Staatsanwaltschaft hält Griss aber nichts.

Justiz ist zu teuer

Neben dem emotionalen Druck rollt auf die Betroffenen auch eine Lawine von Kosten zu. Griss fordert daher vollen Ersatz der Verfahrenskosten für Angeklagte, wenn es einen Freispruch im Strafverfahren gibt. "Wir brauchen eine Regelung, die sicherstellt, dass bei Strafverfahren im Falle eines Freispruchs ähnlich wie bei Obsiegen im Zivilverfahren Kostenersatz nach dem tatsächlichen Aufwand geleistet wird", sagt Griss.

Denn derzeit grenzt die Rückerstattung an Hohn. Wer in einem landesgerichtlichen Verfahren von einem Einzelrichter freigesprochen wird, kann mit einem staatlichen Beitrag zu seinen Verteidigerkosten von bis zu 3000 Euro rechnen. Bei Schöffen- und Geschworenenverfahren erhöht sich der Betrag auf bis zu 5000 bzw. 10.000 Euro. Im unrühmlichen Tierschützerprozess beliefen sich die Kosten für den Hauptangeklagten Martin Balluch auf stolze 600.000 Euro.

Auch die Freiheitlichen machen sich für einen höheren Kostenersatz stark. "Was ist das für ein strafrechtlicher Sieg, wenn der Betroffene dann möglicherweise wegen der hohen Prozesskosten in Privatkonkurs gehen muss? Die Justiz ist viel zu teuer geworden. Auch bei Zivilrechtsverfahren. Es ist nicht mehr leistbar, zu seinem Recht zu kommen", kritisiert der FPÖ-Abgeordnete und Rechtsanwalt Christian Ragger.

Österreich kommt in diesem Punkt im internationalen Vergleich unter Druck. Denn in Deutschland, Kroatien, der Schweiz oder Tschechien ist der Kostenersatz schon Gesetz. "Die Folgen sind keine höheren Kosten für den Staat. Denn die Staatsanwaltschaft prüft die Anklagen sorgfältiger. Nur wenn es eine 51-prozentige Wahrscheinlichkeit auf eine Verurteilung gibt, kommt es zur Anklage." Dieses Prinzip sei eigentlich auch in Österreich gültig, so Wess.

In der Praxis komme es aber nicht zum Tragen, sondern es würden "nach dem Schrotflintensystem so viele wie möglich angeklagt" – in der Hoffnung, dass ein Angeklagter unter Druck kommt und auspackt.

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